Ein Expeditions-Reisebericht von Clemens Ratschan ZWISCHEN JANA UND LENA Teil 2: Urlaub (vom Urlaub) am See |
Wir haben uns vom Lena-Zufluss gelöst und folgen jetzt zu Fuß stromauf dem Wildfluss Mjachen. Unser Ziel ist der 60 Kilometer entfernte See Lybalach, der hinter einem Pass auf der östlichen Seite des Werchojansker Gebirges liegt. Wir hoffen, dort große Saiblinge zu finden. Der Weg führt weiterhin durch eine menschenleere Naturlandschaft, ganz ohne Hinweise, dass je eine Menschenseele ihren Fuß in dieses Tal gesetzt hat. Der Fußmarsch ermöglicht einen ganz anderen Blickwinkel auf die den Fluss begleitende Aulandschaft als die Bootsfahrt der letzten Tage. Die unterschiedlichen Vegetationsformen und die vielen Tierspuren sind dabei besonders interessant. Neben den fast allgegenwärtigen Bärenspuren sehen wir viele Fährten von Wölfen, sowie vereinzelt von Elchen und Moschustieren, einer kleinen, mit den Hirschen verwandten Paarhuferart (nicht zu verwechseln mit Moschusochsen). |
Der Fußmarsch
startet an der Mündung des Mjachen
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Weit hinten
in diesem Tal liegt der Pass
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Abwechslungsreiches
Gelände
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Hier marschieren
wir auf dem Gelände über dem Fluss
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An unterschiedlichen
Standorten wachsen Rote...
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...
und Schwarze Johannisbeeren
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Bärenspur
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Trittsiegel
eines Moschustiers
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Das am ersten Tag noch weite Tal wird immer enger und steiler, sodass immer öfter Flussquerungen notwendig sind. Können wir Wildpfaden folgen, geht es deutlich leichter, als wenn wir unseren Weg durch dichtes Gestrüpp, weiche Moos- und Flechtenpolster oder über grobes Geröll und Felsen suchen müssen. Ein Marsch mit schwerem Rucksack in weglosem Gelände läuft meist nach demselben Schema: Am ersten Tag Sinnkrise (Wieso tu ich mir das auf die alten Tag’ überhaupt an?), schmerzender Rücken, Unzufriedenheit mit dem schleppenden Vorwärtskommen und der noch bevorstehenden Distanz. Am zweiten Tag Gewöhnung an die Last, gutes Marschtempo und phasenweise Spaß am Vorwärtskommen im abwechslungsreichen Gelände. Am dritten Tag körperliche Verschleißerscheinungen, Verspannungen im Nacken und wieder Sinnkrise. Der vierte Tag wäre wieder gut. Wir schaffen die 60 Kilometer zum See aber schon am dritten Tag und werfen am frühen Nachmittag dort angekommen die Rucksäcke mit einem starken Gefühl der Erleichterung auf den Kiesstrand. Und neugierig, wie es mit dem Fischbestand in dem herrlichen, von Bergen eingerahmten See wohl aussehen würde. |
Ständige
Querungen des Mjachen sind notwendig
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Der Oberlauf
des Tals wird landschaftlich immer spektakulärer
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Am dritten
Marschtag, schon kurz vor der Waldgrenze
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Pass kurz
vor dem See
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Unser Hochgefühl
beim Anblick des herrlichen Sees lässt sich kaum in Worte fassen (Panoramabild
anklicken zum Vergrößern)
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Herrlicher
Blick auf den See
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Unser Lager
in der Bucht
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Ich habe große Bedenken: Wie sollen wir die Saiblinge in diesem tiefen, geschichteten See ohne jegliche Hintergrundinformationen in der kurzen uns zur Verfügung stehenden Zeit finden? Der Lybalach See ist mit 900 ha größer als der Hallstätter See. Moritz geht die Sache mit weniger Respekt als ich Theoretiker an. Er montiert sogleich seine Rute, geht drei Schritte vom Rucksack ans Ufer und fängt beim ersten Wurf einen gut 30er Saibling! Was für eine Freude! Es folgt eine Strecke weiterer Fische bis 55 cm. In der Abenddämmerung bemerke ich beiläufig einen Schwall am flachen Ufer, ganz in der Nähe unseres Lagerplatzes. Es bedarf nur weniger Würfe, und schon hängt der Unruhestifter! Als ich ihn nach langen Fluchten endlich ans Ufer bringe sind wir baff: Der bullige Saibling misst 75 cm! Hätte der erste Halbtag „Urlaub am See“ besser verlaufen können? |
55 cm Saibling
– kein schlechter Start!
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„Normalsaiblinge“
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Lybalach-See
im Abendlicht (Panoramabild anklicken zum
Vergrößern)
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Phantastische
Abendstimmungen
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Der „Unruhestifter“
im Hauptabendprogramm des ersten Abends am See
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Am Morgen des zweiten Tages sind ein paar Würfe vor dem Frühstück natürlich Pflicht. Prompt hängt schon wieder ein Saibling mit gut 70 cm. Doch noch deutlich mehr beeindruckt mich der große, rote Drillbegleiter, der wiederholt mit ins Flachwasser kommt. Ich rufe Jakob, er wirft ihn an, der Fisch folgt prompt in nur 30 cm seichtes Wasser, reißt das Maul auf, ich rufe „Anschlag“, und schon sind wir beide am Drillen! Dieser Biss war an Dramatik kaum zu übertreffen! Der zweite Fisch misst 85 cm und nach dem Paralleldrill können wir ein Foto von zwei kapitalen Saiblingen machen, bevor wir die Schönheiten zurück in ihr glasklares Element gleiten lassen. |
Unglaubliche
Saiblings-Dublette
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Roter Riese
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Erster
Gang: „Lachs“brötchen
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Zweiter
Gang: Saiblingsfilet an Reis
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Dritter
Gang: „Lachs“Nudeln vom Saibling
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Schmeckt
herrlich!
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Unser Selbstvertrauen
ist jetzt so weit gestärkt, dass wir voll an die Fischerei vom Ufer
aus glauben. Ich wate in den flachsten Bereichen so weit wie möglich
raus und beackere die große Wasserfläche sternförmig mit
meiner 10er Einhandrute, intermediate Schnur und diversen Streamern. Es
erweisen sich alle Muster als fängig, die Saiblinge hier sind wirklich
nicht wählerisch. In Intervallen zwischen einer Viertel- und halben
Stunde geht eine große Zahl weiterer Saiblinge an den Haken, bei
Größen von durchwegs 60 bis 70 cm.
Nach diesen kaum zu überbietenden Erlebnissen bei der Fischerei mit Streamern und diversen Spinnködern beginne ich mit Trockenfliegen und Nymphen an der leichten Fliegenrute zu experimentieren. Schnell sind damit ein paar kleinere Saiblinge gefangen. Doch was ist das? Ich sehe einen Fisch „head and tail“ steigen. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wäre da nicht verdammt viel Abstand zwischen „head“ und „tail“! Noch ein Kapitaler?! Jakob wirft sogleich ganz frech seinen Blinker in die Richtung, und ist kurz darauf schon wieder am Drillen. Dieser Fisch misst 84 cm und ist damit der zweitgrößte unserer Saiblingsfänge. Die Kampfkraft dieser Tiere ist wirklich beeindruckend, sogar am schweren Spinngerät mit geflochtener Schnur von knapp 30 kg Tragkraft – eigentlich zum Fang von Taimen (Sibirischen Huchen) gedacht – reißen diese Fische bei der ersten Flucht 50 m oder mehr von der Rolle, um aus dem Flachwasser ins Tiefe zu kommen. Mühsam herangepumpt, setzen sie häufig zu einer weiteren Flucht an und lassen sich erst dann erschöpft landen. Eines der vielen Highlights unseres „Urlaubs am See“ ist der Fang eines 80 cm Saiblings vom Boot aus, der mein Packraft im Drill über die halbe Bucht zieht. |
Dieser
Saibling zog mich im Packraft hunderte Meter über den See
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Moritz
mit noch einem Riesensaibling
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Weitere
rote Riesen
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Versuche
mit schnell sinkenden Schussköpfen im Freiwasser
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Streamer-Saibling
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Versuche mit geschleppten Streamern an extra schnell sinkenden Schnüren bringen hingegen keinen Erfolg. Wir haben mit der Fischerei im Flachwasser direkt vor unserem Lagerplatz also voll ins Schwarze getroffen, diese seichte Bucht zieht die großen Saiblinge vor allem bei leicht auflandigem Wind und in der Dämmerung magisch an. Im Magen eines 55 cm langen Saiblings finde ich einen noch fast unverdauten Saibling von 20 cm Länge. Die Raubsaiblinge kommen also ins Flachwasser um die kleineren Artgenossen zu erbeuten. Nach den Raubzügen verdauen sie vermutlich im kalten Tiefenwasser. |
Solche Wanderungen zwischen tiefem und flachem
Wasser sind bei vielen Arten von Seenfischen bekannt. Als Gründe dafür
werden vor allem die Vermeidung von Räubern, die Optimierung der Beuteverfügbarkeit,
und bei Seen mit Temperaturschichtung bioenergetische Vorteile angenommen.
Im Fall dieser großen, räuberischen Saiblinge könnten die
beiden letzten Hypothesen eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist
auch das Alter der Saiblinge interessant. Anhand der Jahresringe eines
Wirbels bestimme ich das Alter eines 75 cm langen Saiblings auf ca. 14
Jahre. Es handelt sich in diesem Gewässer auf großer Seehöhe
(936 m) und hoher geografischer Breite (66°45’) also – wie zu erwarten
– um alte Fische. Allerdings nicht um extrem alte, denn von Saiblingen
aus kalten nordostsibirischen Seen ist bekannt, dass sie ein Alter bis
über 30 Jahre erreichen.
Wirbel des 75cm Saiblings, ca. 14 Jahre |
Jakob drillt
schon wieder
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Er fängt
einen besonders bulligen 80er Saibling mit riesigem Maul
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Herrliche
Landschaft am Lybalach See
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Der Mond
begleitet uns jeden Abend
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Saibling
im abendlichen Gegenlicht
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Klotziger
Saibling im Mondlicht – ein Foto ohne Blitz...
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... und
einmal mit
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Die Saiblinge hier
gehören unzweifelhaft zum Artkomplex von Salvelinus alpinus,
also den Arktischen Saiblingen, zu denen bis vor einigen Jahren auch der
heimische Seesaibling gezählt wurde. Die Verwandschaftsverhältnisse
der Saiblinge Sibiriens und des Fernen Osten Russlands sind komplex, es
gibt eine Vielzahl an Seen mit eigenen, teils nebeneinander vorkommenden
Arten und Lebensformen. Die großen Exemplare hier zeichnen sich –
wie manche Saiblinge der weit entfernten Taimyr-Halbinsel (Salvelinus
drjagini; vgl. Reisebericht Nr. 343, http://www.fliegenfischer-forum.de/taimyr.html)
– durch gedrungene Proportionen, eine große Körperhöhe
und -breite sowie ein äußerst großes Maul aus. Die Flanken
werden durch eine hohe Zahl kleiner weißer Punkte gezeichnet. Manche
Exemplare zeigen schon eine beginnende Laichfärbung mit wunderschön
orangen Bäuchen, andere sind noch silbrig-grau gefärbt.
Zwischen den Gesteinsbrocken kann ich vereinzelt Saiblingsbrut beobachten. Ansonsten dürfte sich die Fischfauna neben den Saiblingen auf Äschen beschränken, die im Flachwasser umherziehen und mit Nymphen und Trockenfliegen leicht zu fangen sind. Interessanterweise handelt es sich bei den Äschen dieses Sees, der nach Osten Richtung Jana entwässert und nur wenige Kilometer über den nahen Pass vom Lena-Einzugsgebiet entfernt liegt, um Arktische Äschen (Thymallus arcticus) und nicht um Lena-Äschen (Th. baicalolenensis), die wir am Sobopol wenige Tage davor gefangen hatten. Die Arktischen Äschen hier weisen ein erkennbar spitzeres Maul auf, und die Kiemendeckel sind türkis und nicht wie bei der Lena-Äsche purpur gefärbt. Die Rückenflosse steigt langsamer nach hinten an und weist mehr als 5 Punktereihen auf. |
Vergleich
der beiden Äschenarten dies- und jenseits des Gebirges. Rechts die
Äsche aus dem Lybalach-See
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Abschied
vom See
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Rückmarsch
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Schon nach zwei Tagen
ist unsere fischereiliche Mission mehr als erfüllt, auch das Wetter
verschlechtert sich, sodass wir uns vom Lybalach See verabschieden. Schließlich
liegen noch ein langer Rückweg und vor allem eine 300 Kilometer lange
Fluss-Etappe bis zur Lena hinunter vor uns, mit vielen fischereilichen
Herausforderungen. Wir nehmen daher den Rückweg über den niedrigen
Pass und den Abstieg durch die Bachschlucht in Angriff. Nach einem halben
Marschtag erreichen wir am späteren Nachmittag einen für die
Bootsbefahrung ausreichend tiefen Abschnitt des Mjachen und steigen auf
die Packrafts um. Die Rückfahrt bis zur Mündung dauert einen
guten Tag. Der Bach weist fast durchwegs mittelschweres Wildwasser II und
III auf, wir haben beim Aufstieg schon alle Stellen einsehen können.
In Anbetracht unserer Boote und der aus Gewichtsgründen fehlenden
Sicherheitsausrüstung (Helm, Schwimmweste) ist der Schwierigkeitsgrad
also genau angemessen. Die lange Strecke durch das herrliche Gebirgstal,
das wir uns herauf geschunden haben, mühelos per Boot zurück
zu legen, wird ein ganz besonderer Spaß.
Ob wir unser Proviantdepot an der Mjachen-Mündung unversehrt wiedergefunden haben und wie es uns bei der Flussbefahrung bis zur Lena hinunter ergangen ist, erfahrt ihr im dritten Teil. |
Auf dem
Wildbach geht’s mühelos stromab
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Spektakuläre
Flusslandschaft
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Per Packraft
durch die Mjachen-Schlucht
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Abend am
Mjachen – am nächsten Tag geht’s bis runter bis zur Mündung (Panoramabild
anklicken zum Vergrößern)
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Ofen mit
„Ober- und Unterhitze“
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Den 1.Teil findest Du (HIER) und den 3. und letzten Teil kannst Du ab Mai '17 im Fliegenfischer- Forum lesen. Freue Dich schon jetzt auf das spannende Finale dieses Abenteuers und natürlich auch wieder auf tolle Fische! |
Ein Reisebericht in drei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - März bis Mai 2017. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten. zurück zu Russland und Asien | zurück zur Übersicht Reise & Report | zurück zur Startseite |