Weihnachten und keine Fliegenfischergeschichte

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Werner48

Weihnachten und keine Fliegenfischergeschichte

Beitrag von Werner48 »

Hallo
es weihnachtet. Dies scheint mit Anlass genug, mit der folgenden Geschichte daran zu erinnern, dass die meisten von uns ihre anglerischen Ursprünge nicht im Fliegenfischen haben und dass- man sollte es gelegentlich erinnern- wir mit anderen Anglern vieles gemeinsam haben.

"Schleiensonntage

Kurz vor Sonnenaufgang fuhren wir los, meistens zu dritt oder viert über baumgesäumte Landstraßen in den Morgen hinein. Die Welt schlief in dieser weiten, flachen Landschaft aus Wiesen, Feldern und hellgrünen Laubwäldern. Aus den Wiesen stieg der Nebel und die schlafenden oder gerade erwachenden Kühe schälten sich im Vorbeifahren wie unförmige Skulpturen aus dem Dunst. Wenn dann nach einer halbstündigen Fahrt die aufgehende Sonne goldene Blitze durch das Blätterdach der Landstraße warf, lag der See vor uns und schien zwischen Nacht und Tag noch zu träumen. Die Vögel trugen bereits ihren morgendlichen Wettstreit aus und mit höher steigender Sonne würde der Nebel verfliegen und der See allmählich erwachen.
In diesem Land links des großen Stromes fließen die Flüsse hinter geraden Pappelreihen so langsam, dass sie fast zu stehen scheinen. Die ehemaligen Torfstiche sind zu flachen Seen geworden, von einem der Flüsse aufgefüllt und oft verschwimmen die Grenzen von Fluss und See ineinander. Alles, was geschieht, atmet die Jahrtausende alte Gelassenheit der niederrheinischen Landschaft. Nachdenklichkeit scheint stets über dem Land und seinen Bewohnern zu liegen. Und diejenigen seiner Gäste, die das Sehen noch nicht verlernt haben, lässt das Land in seinem Rhythmus zur Ruhe kommen. Auch wir sprachen kaum ein Wort, während wir uns auf dem Steg zum Fischen einrichteten, und instinktiv vermieden wir jeden überflüssigen Lärm und jede unangemessene Hast.
Der Schilfgürtel des Sees wurde an einigen Stellen durch von den Anglern gebaute Stege durchstochen. Sie führten vom festen Ufer bis zur offenen Wasserfläche und knickten dort rechtwinklig nach rechts oder links ab, so dass man vor dem Schilf auf dem Steg sitzen konnte und den fast gleichmäßig flachen, an der tiefsten Stelle drei Meter tiefen See beangeln konnte.
Unsere Fischereischeine hatten wir in den grünen Holzkasten geworfen, der an der Wand des Landgasthauses an der Straße angebracht war. Im Gasthaus würden wir gegen Mittag unsere Scheine auslösen, den nun eigentlich nicht mehr benötigten Tagesschein bezahlen und annehmen, ein Altbier trinken und mit anderen Anglern ein paar Worte über den Fang wechseln. Wir würden den einheimischen Skatspielern bei ihrem im Zigarrenqualm verschwimmenden Spiel zusehen und nach einer Weile nach Hause fahren.

Der Dunst über dem See löste sich allmählich auf und erste Fische durchbrachen mit ihren Rückenflossen die Wasseroberfläche. Ringe zeigten sich, kleine und große. Ein Karpfen wälzte sich mit dem breiten Rücken aus der Wasserfläche und tauchte wieder ein. Schweigend brachten wir die beringten Stippruten in Position, lange, nicht zu feine Ruten, mit denen man große Schleien oder einen Karpfen vom Schilfgürtel fernhalten konnte. Die kräftigen Posen waren so ausgebleit, dass sie kurz über dem schlammigen Grund ein Madenbündel oder einen Mistwurm tragen konnten. Das Anfutter musste so beschaffen sein, dass es nicht im Schlamm versank, aber auch nicht auf der Oberfläche trieb, sondern kurz über Grund schwebte. Der Seegrund war fast eben und die Fische konnten mit dem Köder nicht in der Tiefe verschwinden, sondern schienen ihn eine Weile im Maul zu tragen, während sie auf ihren Schleienstraßen entlang des Schilfrandes und in den See hinaus patroullierten.

Wenn nun die letzten Dunstschleier abzogen, war die Zeit gekommen, in der die erste Pose bis zur Antenne heruntergezogen wurde und dann auf Wanderschaft ging : Schleienbiss ! Es gab nichts Aufregenderes als das Warten auf die erste „fahrende“ Pose an diesen Schleiensonntagen. Und dann konnte es sein, dass sie sich nur zehn Zentimeter in den See hinaus bewegte und der Fisch schon losgelassen hatte, bevor man sich zum Anhieb entschließen konnte
Über den richtigen Zeitpunkt des Anhiebs gegen die Richtung der fahrenden Pose gab es verschiedene Ansichten und der Erfolg war sehr oft vom richtigen „Gefühl“ abhängig und davon, ob sich zwei Maden oder ein größerer Wurm am Haken befanden. Die Schleien waren immer da, aber nicht immer einfach zu bekommen, denn auch sie schienen sich Zeit zu nehmen mit dem Schlucken des Köders. Es schien so, als ob sie darüber nachdächten, ob sie den im Maul herumgetragenen Wurm endgültig einschlürfen sollten. So konnte es geschehen, dass von 10 Anhieben nur einer eine Schleie an den Haken brachte, und das Experimentieren mit verschiedenen Posen, Ködern, Hakengrößen und Ausbleiungen nahm unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Aber irgendwann war es dann soweit, und die erste der ansehnlichen Schleien konnte über den Unterfangkescher geführt, im Sitzen herausgehoben und schweigend vom Haken gelöst werden.

Solche Schleien wie dort haben wir nie wieder gefangen, denn in dem aufgeheizten flachen See waren die Fische fast warm. Wenn man sie vom Haken löste, spürte man in der Hand die Wärme des Wassers und die Fische schienen lebendiger als alles Geschuppte, was wir bisher in der Hand gehalten hatten. Und an allen diesen durchsonnten Schleiensonntagen bewirkte eine verborgene, uns unbekannte Kraft, dass kaum ein Wort gesprochen wurde und unsere Handlungen sich vom Zwang des Fangenmüssens lösten. Wir waren Gäste dieses Sees, dem es gefiel, uns seine Schleien zu schenken. Und wenn die ersten im Setzkescher schwammen, war der Sommersonntagmorgen so weit gereift, dass er uns mit Gold überschüttete: Die Sonne verwandelte den warmen Braunton des Steges und des Wassers in Gold, die Schwertlilien leuchteten goldgelb aus dem Schilf und über den Unterfangkescher zogen wir Schleien, die als olivgoldener Fleck die Wasseroberfläche durchbrachen. Die noch niedrig stehende Sonne vergoldete das Blattwerk der Eichen um den See und an jedem dieser Schleiensonntage schwammen wir für eine Stunde in einem goldenen Meer.

Gegen 11 Uhr verlor der See den Zauber des Morgens und wir entschieden, welche Schleien zurückgesetzt wurden und welche wir mitnehmen wollten, entweder für die Pfanne oder gehältert als Besatz für den heimischen See. Die am See vorbeiführende Straße wurde nun laut und es war Zeit, diesen Ort zu verlassen und durch die nun heiße und abseits der Straßen stille Landschaft den Heimweg anzutreten noch nicht wissend, dass die goldene Fülle dieser Sonntage und die Wärme der aus dem Wasser gezogenen Schleien sich mir unauslöschlich einprägen würden."
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rikus
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Beitrag von rikus »

Hallo Werner,

schöne Geschichte,

BL, Rikus
RolandT

Beitrag von RolandT »

...
Zuletzt geändert von RolandT am 08.08.2007, 21:56, insgesamt 1-mal geändert.
Horst S.

Beitrag von Horst S. »

Lieber Werner,
du hast eine feine Geschichte geschrieben und dabei denke ich: "schön das jemand Worte hat für was man nicht sieht".

Horst
Werner48

Beitrag von Werner48 »

Hallo,
danke für die "Blumen".
Es freut mich, dass der ein oder andere offenbar sich noch an seine "Ursprünge" zu erinnern vermag und nicht aus den Augen verliert, dass auch Nichtfliegenfischer Natur erleben können.
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Harald aus LEV
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Beitrag von Harald aus LEV »

Hallo Werner,
eine sehr schöne Geschichte, die mich zurück in meine Jugendzeit gebracht hat.
Ja, in der heutigen, hektischen Zeit habe ich manchmal das Gefühl, dass solche Stimmungen und die Fähigkeit beobachten zu können, verloren gehen.
Oder leide ich bereits an Alterssentimentalismus?
Gruß
Harald
Fliegenfischen - Der natürliche Weg
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markus
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Beitrag von markus »

Hallo Werner,

ich meine, diese Geschichte aus einem Buch zu kennen: "Von Fischern und Fischen". Habe ich Dir schon gesagt, daß mir Dein Buch außerordentlich gut gefallen hat?

TL Markus
"Mit der Fluggerte ist man imstande, die seit grauer Vorzeit in uns schlummernden Jagdinstinkte auf unblutigste Weise zu stillen." (Steinfort, Voljc)
Werner48

Beitrag von Werner48 »

Hallo Markus,
es freut mich natürlich,Positives zu hören. Was hier im Forum steht, ist die Ursprungsfassung, die sich aber nur wenig von der Buchfassung unterscheiden dürfte.

Allerdings habe ich jetzt ein Problem :
Schon kurz nachdem ich die Geschichte ins Forum gestellt hatte, kam mir der Gedanke, dass das wohl etwas unüberlegt war.
Denn wenn jemand merken würde, dass die Geschichte aus einem Buch stammt, würde man mir zu Recht vorwerfen, dass ich auf eine ziemlich "hinterfotzige" Weise für mich selber Werbung mache. Dummerweise werde ich durch dein freundliches Posting mit genau diesem Ergebnis meines unüberlegten Handelns konfrontiert.

Ich werde Michael bitten, den Thread zu löschen, weil man mir schon jetzt vorwerfen/unterstellen wird, dass ich genau das tat, was ich in Bezug auf die "Loop-Werbung" selber nicht so gut fand.[/code]
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markus
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Beitrag von markus »

Werner48 hat geschrieben:Ich werde Michael bitten, den Thread zu löschen, weil man mir schon jetzt vorwerfen/unterstellen wird, dass ich genau das tat, was ich in Bezug auf die "Loop-Werbung" selber nicht so gut fand.
Hallo Werner,

ich bitte Dich, genau dieses nicht zu tun, weil Deine Geschichte wunderbar erzählt ist. Daß sie im Buch in veränderter Form zu finden ist, macht sie für mich eigentlich nur noch wertvoller. Die Loop-Werbung hat einen ganz anderen Hintergrund gehabt, deshalb ist Deine Selbstbefragung hier unnötig. Wir haben den Autoren und die ISBN nicht im Klartext verraten :D.

Ansonsten ist Dein Buch natürlich ein ganz heißer Tip für den Gabentisch. Schade, ich habe das Lesevergnügen schon hinter mir :).

TL Markus
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Beitrag von Michael. »

Hallo Werner,

ich möchte deine Bedenken gerne "zerstreuen" und würde die schöne Geschichte gerne hier stehenlassen.

Gruß
Michael
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todde
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Beitrag von todde »

Moin Werner!

"Schleiensonntage" ! Genau die hatte ich vor vielen Jahren als jugendlicher Wurmbader dereinst im Mai und Juni ebenfalls viele. Ein befreundeter Hobby-Schafzüchter hatte auf seiner Weide einen Teich mit viel Laichkraut und einem fantastischen Bestand an Schleien, die noch vom Vorbesitzer besetzt worden waren. Früh morgens gegen drei aus den Federn gesprungen, die Wurmdose mit den am Vorabend aus dem elterlichen Komposthaufen gesammelten Mistwürmern gegriffen und auf's Fahrrad geschwungen - die Angel fertig montiert in der Hand - bin ich durch's benachbarte Dorf in die Feldmark geradelt zu "meinem" Schleienteich. An's Ufer geschlichen wie ein Indianer und die Montage mit feiner Stachelschweinpose sachte in ein von Laichkrautblättern umranktes Loch geschlenzt - kaum zwei Meter vom Platz entfernt an dem ich im hohen Gras kauerte. Bis acht Uhr hatte ich meist zwei bis drei gute Schleien überlistet. Ohne vorher anzufüttern! Die Mistwürmer mit dem weißlich-gelblichen Sekret waren unschlagbar.
Regelmäßig kam dann an diesen Sonntagen mein ältester Bruder zu Besuch, der selbst nicht angelt, und wir verzehrten die frisch gefangenen und gegrillten Fische mit Schwarzbrot und viel Genuss. Das Schwarzbrot musste mein Bruder selbst mitbringen. Das war schon ein richtiges Ritual und diese, unsere "Schleiensonntage" werde ich mein Lebtag nicht vergessen.

gruß
todde
Kole Feut un Nordenwind, givt een krusen Büddel un een lütten Pint.
Werner48

Beitrag von Werner48 »

Hallo Todde,
je länger ich mit der Fiege fische, desto öfter erinnere ich mich meiner anglerischen Ursprünge- und bin dankbar dafür-. Ich glaube, dass das etwas damit zu tun hat, dass wir Fliegenfischer unsere Passion zu sehr intellektualisieren und "technisieren". ( Daran bin ich auch heftig beteiligt.)
Dein schönes "Bild" von den heimlich gefangenen und anschließend gegrillten Schleien macht mich nachdenklich und veranlasst mich zu der Frage, wann ich das letzte Mal eine selbstgefangene Forelle als Steckerlfisch über dem Feuer gegrillt habe. Lichtjahre muss das her sein.

Fester Vorsatz für nächstes Jahr : Weniger enge Schlaufen auf der Wiese und statt dessen die ein oder andere Forelle auf ein Stöckchen gespießt und im Feuer gegrillt.
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