Ein Reisebericht von Clemens Ratschan
Zurück in Grönland
Teil 1: Im Ewigkeitsfjord – Berge und Wale
V
orgeschichte

Es ist jetzt tatsächlich schon 20 Jahre her. Als jungen Studenten beeindruckte mich ein Artikel im Fliegenfischen (Ausgabe 1/98) mit dem Titel „Im Paradies“ derart, dass ich mein Konto plünderte, um im Sommer 1999 nach Westgrönland aufzubrechen. Mit mieser Ausrüstung, wenig Erfahrung – was prompt zu einer ziemlich kritischen Notlage führte – und umso mehr Motivation. Schon zwei Jahre später zog es mich ein zweites Mal in diese Gegend am Polarkreis.
Selbstauslöseraufnahme aus dem „Juvenilstadium“ (1999)
Die Packstrategie war damals noch ausbaufähig
Leider sind von diesen Reisen nur miese Fotos entstanden – im Gepäck war lediglich eine geliehene Kompaktkamera mit einer Handvoll 36er Filmrollen. Auch die Fischereiausrüstung mit einer für die dort vorkommenden, kampfkräftigen Saiblinge stark überforderten 6er Fliegenrute war noch eher „rudimentär“. In den verstrichenen Jahren hat sich viel getan. Die Foto- und Fischereiausrüstung ist technisch auf dem aktuellen Stand. Wir haben das Packrafting entdeckt, das einen problemlosen Wechsel zwischen Etappen auf dem Wasser- und Landweg ermöglicht, und einiges an Erfahrung und Training gesammelt. So wollen Jakob und ich 2017 noch einmal in diese Region reisen, um auf einer abwechslungsreichen Route von der Küste über Fjorde und Gletscher wieder ins bereits bekannte Hinterland zu gelangen und diese Tour fotografisch zu dokumentieren. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es diese unberührte Naturlandschaft wahrscheinlich schon bald so nicht mehr geben wird (siehe Teil 2). 

Im ersten Teil meines Reiseberichtes geht es um die Etappe und Fischerei im salzigen Fjord. Die Fliegenfischerei war hier nicht von Erfolg gekrönt, und ich hatte deshalb überlegt, keinen Bericht über diese Reise im FF-Forum zu veröffentlichen. Motiviert durch Rückmeldungen zum letzten Reisebericht habe ich mich dann doch dafür entschieden. Im zweiten Teil werden dann auch wunderschöne, mit der Fliege gefangene Fische zu sehen sein.

Packrafting + Segeln = Packsailing
Zuerst geht’s also per Flugzeug nach Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, das in innenpolitischer Hinsicht unabhängig ist und außenpolitisch von Dänemark vertreten wird. Hier bunkern wir Proviant und ein Linienschiff bringt uns weiter zur Siedung Kangamiut, die auf einer kleinen Insel vor dem Festland weiter nördlich an der Westküste liegt. Und dann wird’s spannend: Es steht nämlich eine mehrere Kilometer breite Meeres-Überquerung zur Festlandküste und zum anschließenden Fjord bevor, und das ist Premiere unserer Packrafts auf Salzwasser!

Ostgrönland
Schmelzseen auf dem Inlandeis
Rand des Inlandeises auf der westgrönländischen Seite
S
Inlandsflug – diesen türkisen Fjord werden wir am Ende unserer Route überqueren

Inlandsflug –in diesem Fjord werden wir schon in wenigen Tagen unterwegs sein
Die MS Sarfaq Ittuk der Arctic Umiaq
 Line bringt uns Richtung Norden
Packrafts sind gewichtsoptimierte Mini-Schlauchboote, daher auch sehr kurz und folglich laufen sie nur recht langsam. Um eine gewisse Beschleunigung der langen Flachwasserpassagen in den Fjorden zu erreichen, haben wir uns „Packsails“ besorgt, die wir hier erstmals einsetzen wollen. Das sind leichte, klein verpackbare Segel, die aufgeklappt werden können und dann einen Durchmesser von in unserem Fall 1,20 m aufweisen. Packrafting mit Packsail macht also auf neudeutsch „Packsailing“. Um mit einem so kurzen Rumpf und so kleinen Segel nennenswerte Geschwindigkeiten zu erreichen, sind schon höhere Windstärken erforderlich, aber starke Winde sollte es auf Grönland ja genug geben. Wir hoffen eher, dass sie nicht zu stark sein würden!
Unser Startpunkt, die Siedlung Kangamiut
Die Packrafts werden beladen
Aufbruch Richtung offenes Meer
Packsailing übers Meer
Hoch und tief
Mit viel Herzklopfen blasen wir also unsere Boote auf, beladen sie mit Proviant für drei Wochen, und stechen damit „in See“. Das Meer präsentiert sich zwar in nebelig-düsterer Stimmung, sodass wir das gegenüber liegende Festland nur schemenhaft erkennen können. Wind und Wellen sind uns aber gnädig, sodass wir nach etwa zwei Stunden erleichtert in den bezeichnenderweise Ewigkeitsfjord genannten Meeresarm einbiegen, dem wir eine knappe Woche ins Binnenland folgen werden. Tiefblicke in den fast 100 km langen, gewundenen Fjord zeigen riesige, einmündende Gletscher und bizarre, schneebedeckte Gipfel.
Packsailing in den Ewigkeitsfjord
Bizarre Gipfel und zerklüftete Gletscher
Der erste Lagerplatz
Vom Ufer aus geht gar nichts
Der erste Lagerplatz der Reise liegt in einer Bucht, wo wir erste Fischereiversuche starten. Mit der Fliege und mit Spinnzeug vom Ufer aus leider ohne Erfolg, aber wie sieht’s vom Packraft am Grund des Fjordes aus? Als ich einen Pilker in eine Tiefe von vielleicht 50 m lasse, dauert es eine Sekunde, und schon finde ich mich leicht verblüfft im Drill mit einem starken Gegner, der sich als Dorsch herausstellt. Wie die nächste Stunde zeigt, war das kein Glückstreffer, sondern hat System: Der Pilker erreicht teils nicht einmal den Boden, und wenn man ihn anhebt folgt spätestens nach zwei bis drei Sekunden ausnahmslos immer (!) ein Biss. Das in die Tiefe sinken lassen und der harte Drill dauern also unverhältnismäßig länger als das eigentliche „Fischen“. Die methodische Herausforderung besteht darin, die Abdrift des kleinen, unbeladenen Boot durch Korrekturschläge so zu steuern, dass das Kontakt Halten in Tiefen von 50 bis 100 m gelingt. 
Fischen vom Ufer ohne Erfolg
Knallharter Drill in der Tiefe
Jakob mit gepilkertem Dorsch
Schon wieder ein Dorsch
Eindrücke vom ersten Fischzug

Aus Sicherheitsgründen paddeln wir soweit möglich immer nahe dem Ufer. Die am nächsten Tag erforderliche erste Fjordüberquerung zwingt uns zu einer mehrstündigen Pause, weil Wind und Wellen zu stark sind. Wir warten genau an einem Handlungsort des berühmten historischen Romans „Evighedsfjorden“ von Kim Leine, wo sich gemäß fiktiver Handlung eine grönländische Kommune um einen abtrünnigen Propheten namens Habakuk angesiedelt hat. Dieser Ort heißt folglich „Habakuks Boplads“ [Boplads: dänisch für Siedlung] und ist gut gewählt, denn die Stelle zeichnet sich nicht nur durch einen atemberaubenden Rundum-Blick auf Seitenfjorde, Gletscher und pittoreske Gipfel aus. Wir finden hier auch alte Inuit-Gräber, Überreste primitiver Torfbauten und Unmengen verstreuter Knochen, die Zeugen einer alten Jäger-Kultur sind.
Blick von „Habakuks Boplads“ in den Ewigkeitsfjord (Panoramabild anklicken zum Vergrößern)
Markierung mit Steinmännchen
Historische Inuit-Gräber
Erst am Abend legt sich der Wind etwas, sodass wir uns auf die große Wasserfläche wagen. 4 km offenes, eiskaltes Wasser ohne Plan B für den Fall einer Kenterung oder eines Lecks in so einem Mini-Schlauchboot zu überqueren erfordert einiges an Überwindung. Umso größer ist die Freude, das Südufer zu erreichen, ums Kap zu fahren und eine noch grandiosere Landschaft vorzufinden. An den folgenden Tagen wird der Fjord immer enger und steiler, sodass viele Kilometer ohne irgendwelche Möglichkeiten für Rast- und Lagerplätze zurück zu legen sind. Wir finden nach längerem Suchen nur wenige Quadratmeter ebene Flächen, die gerade für ein Zelt ausreichen. Ist kein Süßwasser vorhanden, so schleppe ich mit dem Boot kleine Eisberge ans Ufer, von denen Brocken abgebrochen und mit dem Kocher geschmolzen werden. 
Eine der wenigen flachen Stellen
Mittlerer Fjordabschnitt
Enger Zeltplatz im Fjord
Dieselbe Stelle am Tag
Paddeln vorbei an kleinen Eisbergen
Schmelzen eines Eisklumpens
In den Ritzen der oft senkrechten Wände haften Unmengen an Miesmuscheln, die sich bei Ebbe vom Boot aus sehr bequem „pflücken“ lassen. Auch das Aufkochen der Muscheln im salzigen Fjordwasser gestaltet sich als sehr praktisch und beschert eine willkommene Abwechslung des Speiseplans. Die Ufer sind über weite Strecken so steil, dass sogar das Wassergeflügel – einmal aufgescheucht – Probleme hat sich wieder zu verstecken. So treiben wir auf dem Weg ins Fjordinnere unabsichtlich eine Gruppe Enten kilometerweit vor uns her. Eines der Tiere hat schließlich genug davon und sucht sein Heil in einer Felsspalte. Jakob sperrt mit seinem Boot den Fluchtweg ab und kann das arme Tier ganz einfach greifen. Lüstern befummeln wir die Brüste und Schenkel der Ente – viel ist ja nicht dran. Die Fleischeslust ist nach erst wenigen Tagen Abstinenz aber noch gezügelt, sodass wir das arme, liebe Tier etwas schweren Herzens wieder schwimmen lassen.
Muschelernte
Tag der untoten Ente
Eine steile Gletscherzunge kalbt Mini-Eisberge in den Fjord
Packraft: winziger blauer Punkt rechts vor der Felswand
Aus einer anderen Perspektive
Gefahren lauern hier nicht nur auf Enten, sondern auch auf uns. Nicht nur in Form von Fels- und Eisbrüchen, sondern auch durch Sturzwinde, die das Inlandeis in den Fjord schicken kann. Überdies haben wir vor dem tagsüber aufkommenden, thermischen „Fjordwind“ sehr großen Respekt. Meist bläst aber ein berechenbarer, mäßig starker Fjordwind, der unser Weiterkommen beschleunigt. Generell sind wir überrascht, welche imposanten Naturphänomene man hier beobachten kann. Beispielsweise das donnernde Bersten laufend brechender Gletscher, diverse Wasserströmungen und plötzlich auftretende Kalbungs- und Gezeitenwellen. Oder Einstöße von trübem Gletscherwasser, das sich an der Oberfläche des salzigen Fjords kaum einmischt und seltsame Farbschattierungen bildet. Kein Wunder, dass sich unter den Grönländern Mythen um geisterhafte Wesen ranken, die diesen Fjord bewohnen sollen. 

Während der gesamten Zeit von fünf Tagen, die wir fürs Zurücklegen der Strecke bis zum Ende des Fjordes brauchen, sehen wir keinen einzigen Fisch, obwohl das Wasser abseits von Gletscherbächen glasklar und mehrere Meter tief sichtig ist. Dementsprechend bleiben auch die Fischereiversuche vom Ufer aus weiterhin ohne Erfolg. Daher wirkt der erste Teil meines Berichts hier im Fliegenfischer-Forum vielleicht etwas deplaziert, aber jeder wird verstehen, dass Fliegenfischen unter solchen Verhältnissen nicht sinnvoll ist. 

Nur dort, wo herab reichende Gletscherzungen Material in den bis zu 700 m tiefen Fjord vorgelagert haben, dieser also nicht ganz so steil abfällt, klappts auch vom Ufer. Als ich einen Blinker mehrere Minuten lang absinken lasse, auf geschätzt 30 m Tiefe, und ihn dann ganz am Grund zum Ufer zupfe, gibt’s Fänge: Es sind kampfstarke Plattfische, und zwar etwa 40 – 50 cm lange „Doggerscharben“. Diese mit der Scholle verwandten Plattfische kommen im Nordatlantik weit verbreitet vor und haben den Ruf, kulinarisch minderwertig zu sein. Als Backfisch zubereitet, bereiten sie aber große Gaumenfreuden und sagen uns deutlich mehr zu als die landläufig hoch geschätzten Dorsche, deren Filets im Vergleich wässrig und weich erscheinen.

Doggerscharben
Schöner Dorsch, vom Ufer aus gefangen
Die Fischerei vom Packraft bleibt auch weiterhin eigentlich „zu gut“. An ausnahmslos jeder Stelle, wo wir mit 40 - 70 Gramm schweren Kleinpilkern den Grund erreichen, folgt Biss auf Biss. Als optimierte Strategie stellt sich eine Art „Arbeitsteilung“ heraus: Die Packrafts werden mit der Rückenseite zueinander durch eine Leine verbunden, und der „Steuermann“ im luvseitigen Boot paddelt langsam gegen den Wind, um die Drift auszugleichen. Der „Fischer“ im leeseitigen Boot kann so an völlig gestreckter Schnur den Grund in bis zu etwa 100 m erreichen, um sich mit krummer Rute bis zur Erschöpfung bei Drillorgien zu vergnügen. Schon nach kurzer Zeit und ein paar „Rollenwechseln“ wird uns dieses Spiel zu dumm – es ist schlicht zu einfach! In einer gewissen Tiefe dürfte es hier eine Art „Fischvorhang“ geben!
Hier lässt es sich herrlich ohne Zelt draußen schlafen ...
... und dabei in der Ferne blasende Wale beobachten
 

Ein weiterer Höhepunkt des Lebens im Ewigkeitsfjord wird das Beobachten von Walen, die entlang einer Fjordseite landeinwärts ziehen, und manchmal Stunden später auf der anderen Seite wieder retour. Etwa alle 10 bis 20 Minuten tauchen die Kolosse zum Atmen auf, wodurch sie sich durch die Fontäne kondensierenden Wassers (Blas) auf viele Kilometer Distanz verraten. Beim Abtauchen zeigt sich ihre mächtige Schwanzflosse, anhand derer sie als Buckelwale zu bestimmen sind.

Lagerplatz am Ende des Fjordes
Blick zurück in den imposanten Fjord
Die Boote werden verpackt und die Rucksäcke geschnürt
Schließlich erreichen wir nach einer Woche das hinterste Ende des Fjords. Hier lassen wir die Luft aus den Booten und schnüren die Rucksäcke, denn weiter geht’s auf Schusters Rappen. Wir lassen die übrigen Pilker zurück – sie sind schwer und auf der nachfolgenden Etappe über Gletscher und Berge zählt jedes Gramm. Die Fliegenbox kommt hingegen mit – darum wird’s im zweiten Teil auch mit der Fliege gefangene Fische zu sehen geben. 


Hier finden Sie den 2.Teil dieses außergewöhnlichen Reiseabenteuers: 



Ein Reisebericht in drei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - März/April 2018. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.
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