Yukon 2000 : Angeltage im Paradies 
Dritter Teil:  3. September

von Hans-Werner Schneider


 
Unser dritter Angeltag beginnt mit einem Paukenschlag – aber nicht auf dem Wasser sondern an Land! Kaum haben wir mit unserem Allrad-Pickup den Haines Highway verlassen, ein lichtes Wäldchen durchquert, vorbei an dem großen Hinweisschild, dass wir uns jetzt in „bear country“ befinden, als im offeneren, buschbestandenen Gelände sich rechts von uns ein dunkles, muskulöses Tier aus dem Dickicht löst und mit ausladenden Schritten unseren Weg kreuzt. Es ist aber kein Bär sondern ein Elchbulle, 3 – 4 Jahre alt und das Schaufelgeweih zur Zeit noch im Bast, wie uns Roland, unser heutiger Guide (Hund: „Bailey“), als Jäger fachmännisch erklärt .Ich bin glücklich über diesen seltenen, noch nie gehabten Anblick, auch wenn er nicht lange währt, da das kraftvolle Hirschtier schon bald wieder im gegenüberliegenden Unterholz verschwindet.
Über steinige Pisten, durch Bachbetten mit und ohne Wasser, auf holprigen Waldwegen folgen wir einem alten Goldgräber-Trail. Unser Ziel ist diesmal der Mush-Lake und sein Verbindungsstück zum Bates-Lake. Auf über 20 km werden wir ordentlich durchgerüttelt. Roland hält ab und zu an und zeigt uns an Kratz- und Scheuerbäumen daran hängen gebliebene oder im Harz festgeklebte Haare von Grizzly und Schwarzbär. Ihre Lieferanten bekommen wir aber nicht zu Gesicht Bailey hat einen ruhigen Tag, denn die niedlich gestreiften Eichhörnchen und das vor uns flüchtende Halskrausen-Waldhuhn, die wir erblicken, stellen keine ernsthafte Herausforderung für eine echte Jagdhündin wie sie dar. Immerhin darf sie sich dann doch noch einmal ereifern, als nämlich ein Kojote furchtlos etliche Meter neben unserem Wagen herläuft, um sich dann zielstrebig aber ohne Eile wieder seitwärts in die Büsche zu schlagen.
Als sich der bunte Pappel-Wald nach links hin öffnet, gibt er den Blick auf eine grandiose Weite frei. Auf einer Anhöhe halten wir an und genießen dieses einmalige Panorama. 
Zu unseren Füßen breitet sich eine mit Zwergweiden bedeckte und von unzähligen Wasserlachen durchzogene Ebene bis hin zum Horizont aus, der von bewaldeten Hügelreihen und schneebedeckten Gipfelketten begrenzt wird. In der Mitte eines Teiches ganz in der Nähe erhebt sich eine stattliche Biberburg, deren Bewohner sich aber jetzt am helllichten Tag leider nicht zeigen. 

Dennoch – was für ein fantastisches Land!

Als wir bald darauf am Ufer des Mush-Lake ankommen, hat uns das strahlende Sonnenwetter der ersten Tage endgültig verlassen. Der See hüllt sich und die ihn umgebende Bergwelt in tiefhängende graue Regenwolken. Wir machen das dort liegende und der Lodge gehörende Motorboot startklar und beginnen die etwa 10 km lange Überfahrt zum Auslauf am anderen Ende des Mush. Um – wie ursprünglich geplant – in verschiedenen Seebuchten zuerst  auf Lake trout zu fischen, ist das Wetter zu schlecht. Über eine kurze Portage erreichen wir schließlich am anderen Seeufer das kurze Flussstück, das den Mush- mit dem Bates-Lake verbindet und das uns als Äschenrevier der absoluten Weltklasse angekündigt worden ist. Über einen niedrigen Wasserfall stürzt hier das Seewasser in einen kurzen Flusslauf und bildet gleich hinter den Stromschnellen langgezogene, tiefe Gumpen, aus denen es dunkelgrün und verheißungsvoll schimmert. Erwartungsvoll wate ich hinein – soweit es die Tiefe erlaubt – und platziere die bewährte Köcherfliegenimitation genau auf der Grenze zwischen Haupt- und Rückströmung.
Sie bleibt einen Moment wie unentschlossen ruhig liegen und wird dann vom Kehrwasser Richtung Gumpen gezogen. Aber weiter kommt sie nicht. Denn schon wird sie in ein kleines rundes Fischmaul gesogen, ein kleiner Schwall entsteht dort, wo sie eben noch gewesen ist, und bei sofort erhobener Rute stößt und zerrt der erste Fisch dieses Tages an der Leine, um  den sicheren Gewässergrund wieder zu erreichen. Da ich dies allerdings zu verhindern weiß, halte ich nach schönem festen Drill kurz darauf die erste Äsche dieses vielgepriesenen Ortes in der Hand. 
In den nächsten beiden Stunden erfolgt buchstäblich Biss auf Biss, nahezu gleich- gültig wohin ich die Fliege auch serviere. Noch nie habe ich solch eine traumhafte Äschenfischerei erlebt, selbst am 1. Angeltag am jenem Bachauslauf nicht. Und wieder sind es keine kleinwüchsigen, sondern gut ernährte, prächtig  abgewachsene Exemplare von mehr als 40 cm. Ihre Färbung ist hier dem dunkleren Flussgrund angepasst, so dass sie wieder mehr an ihre europäischen Verwandten erinnern. 
Wieder einmal völlig satt gefischt, höre ich schließlich auf und wende mich Rolands wärmendem Feuer zu und den Annehmlichkeiten, die dort auf mich warten.
Der Regen stört mich schon lange nicht mehr, auch auf der recht kalten und nassen Heimfahrt nicht. Ich sitze im Bug des Bootes und singe meine Zufriedenheit, meinen Dank und mein Wohlbefinden lauthals in das Toben um mich herum hinaus. – Die Freunde können es nicht hören: Wind, Regen, Wellen und der Motorenlärm verschlucken alle Töne – zum Glück auch die falschen!

Fortsetzung folgt...