Yukon 2000 : Angeltage im Paradies 
Zweiter Teil:  2. September

von Hans-Werner Schneider


 
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Eine imponierende Flusslandschaft: der Kathleen-River, wie er sich in lang gezogenen Bögen oder auch in abrupten Wendungen – dazu immer wieder Seen bildend – durch die Waldgebiete der St. Elias-Mountians am östlichen Rande des Kluane-Nationalparks windet!
Zielfische sind hier neben der Äsche, die Lake trout und die Regenbogenforelle. 
Die Bezeichnung „lake trout“ ist deshalb irreführend, weil es sich hierbei nicht um eine wirkliche „trout“, also nicht um eine Forellenart, sondern um den amerikanischen Seesaibling handelt, mit indianischem Namen „namaycush“ genannt, der in den tiefen Seen zu kapitalen Exemplaren bis über 40 Pfund und zu Längen bis über 1m abwächst, hier aber meist nur in Größen von ca. 40 – 70cm vorkommt.
Die Regenbogenforellen des Katleen-River-Systems sind , da zu den letzten reinen Wildstämmen gehörend, im Yukon absolut geschützt und dürfen so – im Gegensatz zu anderen Fischarten – auch nicht im begrenzten Maße zum Verzehr entnommen werden.
Beide Fischarten folgen übrigens im September den ablaichenden Äschenschwärmen und sind deshalb in dieser Zeit besonders zahlreich im Fluss vertreten. Die fängigsten Stellen sind auch hier die tiefen Gumpen und die Scharkanten an den Innen- und Außenkurven der Strömung.
Heute ist Lonnie unser Guide, begleitet von seinem Schäferhund Douglas. Douglas stellt – wie auch die vierbeinigen Begleiter der anderen Angelführer – sozusagen unser Bären-Frühwarn-System dar. Es funktioniert ganz einfach: der Hund riecht den Bären und der Bär riecht den Hund, und das schon von weitem. So hat jeder Zeit und Gelegenheit, dem anderen rechtzeitig und weiträumig aus dem Weg zu gehen, und es kommt nicht zu überraschenden, ungewollten und unangenehmen Begegnungen.
Bei der oft geringen Wassertiefe des Kathleen-Rivers benutzen wir bei diesem Angelausflug das flachkielige, schraubenlose Jet-Boot , und schon bald brausen wir – 3 Mann (und 1 Hund) in einem Boot – über den im seichten glasklaren Wasser deutlich sichtbaren und mit großen Kieselsteinen bedeckten Flussgrund dahin. 
Vorbei geht es an herrlich aussehenden und viel Erfolg versprechenden Uferangelplätzen und dann über die Weite des Lower-Kathleen-Lakes dahin. Der kalte Fahrtwind bläst uns ins Gesicht, und Douglas rollt sich im Bug des Bootes wärmend zusammen.
Nahezu am Seeende angelangt, dort, wo die beiden bewaldeten Ufersäume sich fast wieder zusammenschließen, drosselt Lonnie den Motor, und wir gleiten zum Ufer. Herrlich von dort anzusehen das Panorama vor uns: das tiefblaue Wasser, der bewaldete Ufersaum gegenüber, die in der Ferne dahinter blau-grün aufsteigenden  Berge!
Hier also soll es ernst werden! – Schon beim Herangleiten hat uns Lonnie gezeigt, wo es zu fischen gilt. Deutlich ist die etwas tiefere Strömungsrinne des Flusses im Seewasser zu erkennen, und darin – mir bleibt das Herz fast stehen! – Schulen von jeweils 6, 8 oder 10 stattlicher Lake trouts, die dort auf Nahrungssuche rudelnd herumstreifen. Angesichts ihrer Größe greife ich lieber zur 7er Ausrüstung und knüpfe an das 18er Vorfach eine mit Metallaugen beschwerte Lachsfliege, denn die Namaycush steigen nicht. Ich muss mit der Fliege herunter zu ihnen.
Alle Anfangsversuche schlagen fehl. Zuerst das schnell sinkende, bleibeschwerte und dann das etwas leichtere, kupferverzwirnte Vorfach, das ich dazwischenschalte, um auf die vermutete Fischtiefe zu kommen, erweisen sich als zu schnell und zu schwer. Zu früh erreiche ich den Boden und damit den unerwünschten Boden- und nicht den ersehnten  Fisch-Kontakt. 
Lonnie rät mir, zum normalen Monofil zurückzukehren, dafür aber weiter nach rechts gegen die Strömung auszuwerfen, so dass die Fliege genug Zeit hat, in Ruhe zu den Standplätzen der Saiblinge abzusinken, die Flugschnur dann auf Zug zu bringen und in kurzen Rucken einzuholen. Ich befolge genau seine Anweisungen – und   siehe da! – es klappt! Endlich habe ich nach erfolgtem Anschlag nicht mehr gen ganzen Yukon am Haken, sondern starkes, pochendes, ziehendes Leben: meine 1. Lake trout! Wie sie kämpft und sich wehrt, immer wieder Fluchten erzwingend, und wie schön und lebhaft gezeichnet sie dann endlich an der kristallklaren Oberfläche erscheint! Ein herrlicher Fisch von über 50 cm Länge! Und ihr folgt kurz danach ein noch stärkeres Exemplar der gleichen Gattung. 
Als meine Konzentration nachlässt, und mein Köder deshalb etwas zu weit nach links in die stärker werdende Strömung des sich dort wieder verjüngenden Flusses hineintreibt, erhalte ich unvermutet dennoch einen starken Biss. Eine kräftige Regenbogenforelle hat die tieftreibende Imitation genommen und kämpft nun kraftvoll gegen den ungewohnten Zug. Das robuste Material vermindert die Chancen des Fisches, verkürzt den Drill und beruhigt die flatternden Nerven des Fischers. Die Forelle kommt näher, zeigt sich an der Oberfläche, taucht noch einmal ab und steht – eine Ruhepause einlegend – vor mir am Grund. Deutlich ist im klaren Wasser die rote Fliege in ihrem Maulwinkel zu sehen. Das Messen vor dem Zurücksetzen ergibt übrigens genaue 43 cm. Nach solchen Fangerfolgen ist uns allen eine Essens- und Entspannungspause mehr als willkommen.
Die ausgedehnte Mittagsrast bietet neben dem Regenerieren auch die Möglichkeit zur Unterhaltung und zur Beobachtung. Wir reden mit Lonnie über seine Arbeit mit uns Angelgästen, über die anstehende Elch- und Dallschaf-Jagd für die Fleischbeschaffung für den Winter und über die Schönheiten seiner kanadischen Heimat. Dabei beobachten wir einen auffällig bunt gefärbten Greifvogel, möglicherweise einen Cooper Hawk, der über unser Ufer streift, und auf der anderen Seite einen großen Kingfischer, einen Verwandten unseres Eisvogels –  mit seinem dunkelblauen Kopf, weißem Halsring und seinem sonst braun-weißen Gefieder nicht annähernd so bunt gefärbt wie der fliegende Edelstein unserer Gewässer, dafür aber viel größer und eindrucksvoller – wie er sich von seinem Sitzplatz auf einem kahlen Baum geschickt in die Fluten stürzt, um sie mit weitaus größerem Erfolg wieder zu verlassen, als wir ihn verzeichnen können.
Douglas, der uns bisher zwar noch keinen Bären dafür aber die Wurst in meinem Lunchpaket erwittert hat, wird durch deren Opfer zu meinem besten Freund – wenigstens vorübergehend!
Doch jetzt ist es vorbei mit dem Plaudern und Anknüpfen freundschaftlicher Beziehungen, denn im Wasser, dort, wo vorhin so unverhofft die erste Rainbow gebissen hat, zeigt sich Bewegung. Ringe entstehen in der Oberflächenströmung, und über dem hellgrünen Pflanzenuntergrund zeichnen sich ab und zu dunkle Fischleiber ab. Im Nu ist die 5er mit der 14er Ballon Caddis montiert. Noch im Hinauswaten messe ich in der Luft die ungefähre Schnurlänge ab und setze das Rehhaargebilde gut 1m vor den zuletzt erschienen Ringen ab. Kaum ist sie auf dem Wasser, schießt ein bräunlicher Blitz auf sie zu, und ich habe Kontakt. Eine nur 35er Äsche ist es, die sich nach kurzem anschließenden Drill ergibt. Aber dann wollen  sich auch ihre größeren Schwestern nicht länger bitten lassen und geben sich und mir die Ehre. Sie alle sind ganz anders gefärbt als die vom 1.Tag und gleichen eher denen aus unseren heimischen oder alpenländischen Gewässern.
Aber nicht nur Äschen sind es, die hier nach der Rehhaar-Sedge steigen. Plötzlich habe ich wieder eine der so wild kämpfenden Regenbogner am Haken, und ein unbeschreiblicher Tanz beginnt. Vehement zieht der Fisch in der Strömung etwa 10 Meter davon, springt dann mehrmals, um wieder auf mich zuzukommen. Wieder eine Kehrtwendung, ein Sprung usw. Ich lasse ihn zunächst gewähren, immer darauf bedacht, die Fühlung zu ihm nicht zu verlieren. Mit der 5er Rute kann ich nicht so viel Kraft gegen ihn aufwenden wie zuvor mit der 7er, spüre aber, wie seitlicher Zug zum Ufer hin ihn aus der Kontrolle bringt und ermüdet. Zwar kehrt er nach jedem Seitzug sofort wieder in die Strömungsflucht zurück, ist aber nach 4 bis 5 solchen Manövern dann doch abgekämpft und zum Herandrillen und Hakenlösen bereit. Von 5 Fischen, die ich auf diese Weise an diesem frühen Nachmittag über längere Zeit drille, gelangen jedoch nur 2 zur Landung, beide exakt 41cm lang. Die anderen kommen irgendwie und irgendwann ab. Aber: was sind das für herrliche Fische, und welch einen Kampf liefern sie!
Regenbogenforellen standen aufgrund meiner heimischen Erfahrungen mit eingesetzten, sogenannten „Teichlachsen“ nicht gerade sehr hoch auf der Beliebtheitsskala meiner Fischerwünsche, aber, was ich hier mit diesen silberblanken Kraftpaketen erlebe, lässt mich ihre Wertschätzung doch gewaltig revidieren.
Lonnie möchte uns noch den Rest des Kathleen-River-Systems zeigen, und so brechen wir die Fischerei hier ab und besteigen wieder unser Jet-Boot. Es geht jetzt in den flacheren und wilderen Teil der Flussstrecke, und unser Guide muss seine ganze Ortskenntnis und Steuerkunst aufbieten, um unser Boot sicher über all die Untiefen, Strudel und Kehrwasser zu bringen. Dafür werden wir aber nach jeder Kurve mit immer neuen atemberaubenden Ausblicken auf eine grandiose Naturlandschaft belohnt. Hinter hellgrünen Schilf- und Binsengürteln erheben sich die unregelmäßig hohen Säulen der nordischen Black-Pines, oft von Wind und Wetter zerzaust oder gar schon abgestorben und von Sonne und Kälte gebleicht, überragt nur noch von den schneebedeckten Gipfeln der Kluane-Front-Range und einem strahlend blauen Frühherbsthimmel:  – unvergessliche  landschaftliche Schönheit !
Ab und zu halten wir an den schönsten und vielversprechendsten Stellen an, schauen uns um, fischen und fangen auch hier und da noch die eine oder andere schöne Äsche. Etwas halbherzig ausgeführte Versuche auf andere Salmonidenarten schlagen alle fehl – aber wohl nicht deshalb, weil es hier wirklich an solchen Schuppenträgern mangelte, sondern eher wegen unserer nach so viel Fangerfolg nun doch langsam schwindenden Konzentration, Motivation und Ausdauer.
Zuletzt erreichen wir einen stillen, ruhigen See und waten nahe einer sanften Bacheinmündung ins knietiefe Wasser. Ab und an verraten zarte Ringe aufsteigende Fische. Ich erhalte etliche Fehlbisse und will schon auf ein kleineres Fliegenmuster umstellen, als es plötzlich und völlig unvermittelt geschieht: dort, wo eben noch meine 12 er Sedge geschwommen ist, taucht ein riesiger Fischkopf auf, nimmt die Fliege und rast mit einer einzigen rasanten Flucht davon, die mir die komplette Fliegenschnur bis auf zwei lächerliche Windungen von der Rolle reißt. Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren! So etwas habe ich schon des öfteren in der Angelliteratur gelesen, aber nun passiert es mir selbst und tatsächlich, und ich empfinde Furcht und Ratlosigkeit zugleich: die wirkliche Angst, ob mein Gerät das aushalten wird, und die Ratlosigkeit, wie ich solch einem Anbiss zu begegnen habe. Beides wird mir aber in dem Moment genommen, als der Fisch – sicher eine mehrere Kilogramm wiegende Regenbogenforelle – am anderen Ende der Leine plötzlich stoppt, sich mehrfach schüttelt und dabei meinen Haken wieder los wird.
Das Flattern meiner Nerven und das Zittern meiner Hände sagen mir darauf, dass das Angeln für heute zu Ende ist. Kopfschüttelnd stehe ich da und schaue ungläubig auf die nun wieder gleichmäßig und gleichmütig dahinströmenden Wasserfluten. Als sich mein Blick allmählich wieder hebt, sehe ich einen kleinen Pulk Tundraschwäne über den See daherkommen, langsam und majestätisch fliegen sie näher, und langsam, langsam hält an jenem wunderschönen Nachmittag im Yukon dieses Bild des Friedens Einzug in mein aufgewühltes Herz.

Fortsetzung folgt...