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 : Schöner als jedes Märchen
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In Rhein und Elbe, einst Kloaken, geschieht ein blaues
Wunder: Der Lachs wird wieder eingebürgert. Doch jetzt
droht dem sensiblen "König der Fische" Gefahr ­
ausgerechnet durch Umweltschützer. Von Jochen Bölsche

 

Kein Mensch war Zeuge. Nur eine Videokamera hielt den
historischen Augenblick fest: In einem wasserdurchspülten,
neonhellen Kontrollschacht, hinter einer sechs Zentimeter
dicken Glasscheibe, huschte bei Stromkilometer 334 ein
majestätischer Lachs rheinaufwärts ­ am 10. Juni 2000,
Punkt 14.28 Uhr.

"Freudig erregt" reagierte Ingo Nöthlich auf diese
Entdeckung. Der Biologe, der die elektronische Wacht am
Rhein kontrolliert, hatte Anlass zum Frohlocken: Wohl nie
zuvor in den vergangenen Jahrzehnten hatte ein südwärts
schwimmender Lachs aus eigener Kraft den kritischen Punkt,
die Staustufe beim badischen Iffezheim, überwunden.

In den sechziger Jahren galt der Lachs, von Anglern als
"König der Fische" verehrt, in Deutschland als ausgerottet
­ Folge eines "heute unfassbaren Wahnsinns im Umgang mit
der Umwelt", so Werner Meinel, Präsident des Verbandes
Deutscher Sportfischer (VDSF): "Damals haben viele unserer
Flüsse mehr Chemie- und Kloaken-Cocktail enthalten als
Wasser."

 

 Teurer als ein BMW Z 8

Im Jahre 1980 veröffentlichten prominente Tierfreunde um
den TV-Naturschützer Horst Stern ein Requiem für den Lachs:
"Für Abwasserkanäle ist er nicht geschaffen." Der Nachruf
endete mit der Frage: "Wird er je wiederkommen können?"

Dass Lachse im Sommer 2000 den Rhein wieder emporwandern
bis zu den Mündungen der Schwarzwaldflüsse ­ das zählt zu
den ersten spektakulären Erfolgen eines Ökoexperiments, wie
es ehrgeiziger kaum vorstellbar ist: des Versuchs,
Deutschland wieder zur Heimat des Atlantischen Lachses zu
machen.

Die Wiederansiedlung des edelsten aller Edelfische setzt
eine Sanierung vieler hundert Fließgewässer von der Quelle
bis zur Mündung voraus ­ ein Unterfangen, dessen
Dimensionen allenfalls vergleichbar sind mit der
erfolgreichen Bekämpfung des Waldsterbens und der
Luftverschmutzung durch Kraftwerksfilter und
Kfz-Katalysatoren in den achtziger Jahren.

Immerhin: In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ist
die Qualität der deutschen Gewässer durch den Bau von
Kläranlagen deutlich verbessert worden (siehe Seite 54).
Selbst Industrie-Vorfluter im Ruhrgebiet haben sich
"bestens erholt", wie das Regionalblatt "WAZ" schwärmt:
"Kein Märchen könnte schöner sein."

Der Lachs aber braucht zum Leben mehr als gewöhnliche
Grätentiere: Von allen Fischen stellt Salmo salar "die
höchsten Anforderungen an Durchgängigkeit, Reinheit und
Strukturvielfalt" der Gewässer, urteilt der VDSF, der ihn
zum "Fisch des Jahres 2000" ernannt hat. Auch Agrarminister
Karl-Heinz Funke schätzt den Lachs als "Parameter für einen
weitgehend intakten aquatischen Lebensraum".

Überleben kann der Gallionsfisch aus eigener Kraft nur,
wenn nach Fress- und Wanderjahren im Nordatlantik immer
wieder genügend Exemplare zum Laichen in genau jene
flachen, kühlen Bachabschnitte zurückfinden, in denen sie
selbst einst aufgewachsen sind ­ sei es im deutschen oder
tschechischen, schweizerischen oder französischen
Einzugsbereich etwa der Elbe oder des Rheins. Die Aufgabe,
vor der sich die deutschen Salmonidenfreunde sehen,
erinnert in ihrer Komplexität und Kompliziertheit daher
fast an die Order, die John F. Kennedy 1961 der Nasa
erteilte: Bringt einen Menschen auf den Mond.

Die Einbürgerung des "Langdistanzwanderfischs"
beispielsweise im Rhein setzt das Funktionieren einer
Ökokette voraus, die über Tausende von Kilometern reicht:
von der quellklaren Kinderstube in den Alpen bis zu den
nahrungsreichen Salzfluten vor der Küste Islands ­ und
retour.

Seit Jahrzehnten aber ist diese Kette an vielen Stellen
unterbrochen: durch Wasserbauer, die Laichgründe vernichtet
haben; durch Hochseefischer, die potenzielle Elterntiere
abschlachten; durch Staumauern, die den Überlebenden die
Rückkehr aus dem Meer ins Heimatgewässer verbauen und so
eine Naturverjüngung des jeweiligen lokalen Stammes
verhindern.

Gelänge es den Deutschen indessen, den so genannten
Leitfisch ihrer Flussfauna wieder anzusiedeln, wären die
Folgen phänomenal: Wo der sensible Lachs gedeiht, stellen
sich andere rar gewordene Wanderschwimmer wieder ein, von
der eng verwandten Meerforelle bis zum skurrilen Neunauge.
Und auch Eisvogel und Fischotter könnten in den
renaturierten Biotopen heimisch werden.

Schon jetzt befassen sich mit dem Projekt Lachs, dem wohl
größten Ökoabenteuer dieses Jahrzehnts, Heerscharen von
Experten in allen Anrainerstaaten des Rheins und der Elbe
samt ihrer Zuflüsse von der Aare in der Schweiz bis zur
Moldau im Böhmerwald. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit,
sind bereits astronomische Beträge in den Gewässerschutz
geflossen: Allein am Rhein hat der Kläranlagenbau seit 1975
rund 100 Milliarden Mark verschlungen. Viel Geld wird
folgen müssen, soll die Vision vom Lachsland Deutschland
Wirklichkeit werden.

Bei einem Symposium hat der Hamburger Sportfischer und
Fachjournalist Carl Werner Schmidt-Luchs jüngst
vorgerechnet, welche Beträge bisher schon aufgewendet
werden mussten, um die Rückkehr der ersten Lachse in den
Rhein zu ermöglichen. Laut Schmidt-Luchs ist der Fisch, den
der Biologe Nöthlich am 10. Juni bei Iffezheim beobachtete,
mehr wert als ein BMW Z 8, das famose James-Bond-Auto: gut
eine Viertelmillion Mark.

 Das Wunder an der Oste

Kaum ein Kreuzworträtsel-Freund kann die Frage nach dem
"lk. Nebenfluss der Elbe", vier Buchstaben, auf Anhieb
richtig beantworten. Auch der Heimatpoet Peter Schütt, der
das vergessene Gewässer zwischen Elbe und Weser besingt,
hat den Fluss nicht eben bekannter gemacht: "Die mich
liebkoste, kam aus Osten an der Oste. Tief im hohen Schilfe
bat sie mich um Hilfe ..."

Doch jüngst hat es die nasse Unbekannte zu einer gewissen
Prominenz gebracht. Denn zwischen den Schilfgürteln, die
den Dichter zu seinen Ergüssen ­ "Löse mir die Zöpfe, öffne
mir die Knöpfe" ­ inspirierten, haben Liebesspiele ganz
spezieller Art für eine biologische Sensation gesorgt: In
der Oste, enthüllten Experten auf einer Tagung im
schleswig-holsteinischen Warder, sei eine "sich selbst
reproduzierende Population des Lachses" ansässig ­
Deutschland hat wieder zumindest einen richtigen
Lachsfluss.

Jährlich suchen schätzungsweise 600 Rückkehrer aus dem
Atlantik, gesteuert durch ihren Heimkehrdrang,
instinktsicher den stillen Strom auf, um sich in dessen
Zuflüssen zu paaren ­ bis auf zehn Meter genau dort, wo sie
sich Jahre zuvor selbst auf die Reise durchs Leben gemacht
haben.

Dass gerade die Oste zum "Paradegewässer für die
Wiedereinbürgerung von Großsalmoniden in Deutschland"
(VDSF) reüssieren konnte, ist nicht nur ihrer
Wasserqualität zu verdanken, sondern vor allem der
Dickschädeligkeit von ein paar sturmfesten Niedersachsen ­
voran zwei Handwerker von der Oste und ein Jazz-Musiker aus
Ostfriesland. Sie alle waren besessen von der fixen Idee,
dass es möglich sein müsse, den verschollenen Fischkönig
heimzuholen.

Bereits in den achtziger Jahren begannen die Idealisten,
die Oste und andere norddeutsche Gewässer mit
Import-Lachsbrut zu impfen. Männer wie der Zevener
Elektroniker Ernst Peters oder der Lamstedter
Betonbaumeister Egon Boschen überwachten Brutanlagen,
sortierten Schimmeleier aus, markierten Jungtiere und
massierten Männchen den schuppigen Leib, bis die so
genannten Milchner ihr Sperma ejakulierten ­ und wurden
prompt verhöhnt: Sie seien wohl "brägenklöterig"
(Plattdeutsch für bescheuert).

Hilfestellung leistete den Lachs-Enthusiasten schließlich
der Freizeitfischer und Berufsmusiker Ede Brumund-Rüther,
52. Der Bauernsohn erinnerte sich an Überlieferungen, nach
denen die Dörfler einst "mit Dreschflegeln und Forken die
Lachse aus den Bächen geholt haben". Mit jahrelangen
Archivstudien erbrachte er den Nachweis, dass der Lachs
früher in Aberhunderten deutscher Bäche und Flüsse heimisch
war ­ nicht nur in Gewässern, die den Salmo salar in ihrem
Namen tragen wie der Salmbach in der Eifel oder der
Lachsbach in Sachsen.

Der Fisch-Detektiv las, dass an einem Tag im Jahre 1443
"802 Lachse in einem Zuge" aus der Fulda gezogen wurden. Im
Oberrhein tauchten im 17. Jahrhundert in jeder Saison 800
000 Winterlachse auf. "Die grösten Salmen bey unß kommen
biß uff ein halben Centner schwer", heißt es in einer
Chronik. In der Elbe waren so viele Lachse auf Achse, "dass
das Flussbett sie nicht zu fassen vermochte".

Ermutigt durch solche Erkenntnisse, experimentierten die
Norddeutschen auch mit norwegischer und irischer Lachsbrut.
Mit Gleichgesinnten, die bald ihrerseits Bäche mit
Lachsbrut oder Lachsbabys besetzten, tauschten sie sich aus
über Laichhabitate und Brutkästen, Fischseuchen und
Fischwanderzeiten ­ und schließlich auch über erste
Erfolge.

Erwachsene Lachse kehren nicht nur in die Oste zurück,
sondern etwa auch in die Delme und den Elbnebenfluss Luhe,
wo sie 90 Jahre lang nicht mehr gesichtet worden waren.
Bald nach dem "Lachswun-

der" in der Luhe meldeten Fachblätter eine
"Naturschutz-Sensation" aus Sachsen: 1998 konnten in der
Oberelbe, dem einst schmutzigsten Strom Deutschlands, 27
laichbereite Heimkehrer gefangen werden. Ungefähr dort, wo
1947 ein Fischer den letzten Lachs erbeutet hatte, fanden
sich nun welche ein, die zwei Jahre zuvor als daumengroße
Jungfische ausgesetzt worden waren und sich gen Island
aufgemacht hatten.

Mit einem Schönheitsfehler allerdings war der Erfolg des
Einbürgerungsprogramms "Elbelachs 2000" behaftet: Anders
als die Lachse in der Oste, die frei von unüberwindlichen
Barrieren ist, konnten die sächsischen Artgenossen ihr
eigentliches Ziel nicht erreichen ­ ein Wehr an der Mündung
des Lachsbachs in die Elbe schnitt den Laichtieren den
Rückweg in das Laichgebiet ab, auf das ihr Instinkt sie auf
ebenso rätselhafte wie phantastische Weise fixiert hatte.

Eine Naturverjüngung dieses Lachsstammes war damit
zunächst ausgeschlossen ­ mangels jener "ökologischen
Durchgängigkeit" (Fachterminus), die Wasserbauer
jahrzehntelang dem Bau von Staustufen und Kraftwerken
geopfert haben.

Zu den schönsten Momenten im Leben des Lachsfreundes Ede
Brumund-Rüther zählte daher der Tag, an dem er Bilder sah
von der Sprengung eines Wasserkraftwerks ("Diese
Mistdinger!") nahe der Loire. Von dem Anblick schwärmt er
noch heute: "Eine Augenweide, diese Fotos!"

Grüner Strom, rote Ströme

Grellgelbe Feuerbälle waberten zum Himmel empor,
unablässig detonierten Giftfässer ­ der 1. November 1986,
an dem in Basel ein Chemikalienlager niederbrannte, wurde
zum Schicksalstag nicht nur für Europas Schicksalsfluss
Rhein, sondern auch für eine junge Biologin.

In einem Wasserwerk nahe Bonn erlebte Anne
Schulte-Wülwer-Leidig, wie alle Trinkwasserbrunnen
abgestellt werden mussten, weil eine 40 Kilometer lange
Giftwoge den Rhein hinabrollte: Mit dem Löschwasser waren
in Basel tonnenweise toxische Stoffe in den Strom geraten,
der sich blutrot färbte. Über Hunderte Kilometer wurden
alle Wasserlebewesen vernichtet, darunter 150 000 Aale.

Nach dem "Tschernobyl der Wasserwirtschaft" war der
Naturwissenschaftlerin klar, "dass etwas passieren musste".
Nur zwei Jahre nach ihrem "Schlüsselerlebnis" trat sie
ihren Traumjob an ­ bei der "Internationalen Kommission zum
Schutze des Rheins" (IKSR), die 1950 als
"Abwasserkommission" gegründet worden war.

Unmittelbar nach der Sandoz-Katastrophe setzten sich die
IKSR-Mitglieder, die fünf Anrainerstaaten, für das Jahr
2000 ein utopisch anmutendes Ziel ­ im Rhein "früher
vorhandene höhere Arten (wie etwa den Lachs) wieder
heimisch" werden zu lassen. Obwohl klar war, dass die
Rückkehr des populären Lachses "nicht Alleinziel, sondern
Symbol" sein sollte, hieß das Programm bald "Lachs 2000".

Dass der gute Vorsatz tatsächlich binnen 14 Jahren
umgesetzt werden könnte, daran habe, erinnert sich
Schulte-Wülwer-Leidig, "niemand so recht geglaubt". Dennoch
gelang der kühne Kraftakt ­ mit Milliardenaufwand. Am 11.
Juli 2000, just zum 50. Gründungstag der IKSR, meldete die
Vize-Geschäftsführerin Vollzug: "Mehrere hundert Lachse
sind wieder im Rhein."

Allerdings musste sie einschränken: "Sie erreichen noch
längst nicht alle Rheinnebenflüsse." Nachdem die
Wasserqualität stark verbessert werden konnte, sehe sich
die IKSR daher vor einer zweiten "großen Herausforderung":
Durch so genannte Fischpässe und die Öffnung von Nebenarmen
soll das Rheinsystem wieder für Wanderfische passierbar
gemacht werden.

Zwar können Lachse meterhoch springen. Doch Staustufen
sind für die Muskelfische noch immer so unüberwindlich wie
im Jahre 1910, als Christian Morgenstern über einen
Rheinlachs dichtete:

 Er war schon weißgottwo,

doch eines Tages ­ oh! ­

 da kam er an ein Wehr:

das maß zwölf Fuß und mehr!

Zehn Fuß, die sprang er gut!

Doch hier zerbrach sein Mut.

Drei Wochen stand der Salm

 am Fuß der Wasseralm.

Und kehrte schließlich stumm

nach Deutsch- und Holland um.

Damit sich heimkehrende Lachse etwa am Kraftwerk Lahnstein
nahe der Mündung der Lahn in den Rhein "kein blutiges Maul
holen", greifen Sportfischer zu einem Trick: Die Fische
werden unterhalb der Staumauer mit Stromschlägen betäubt
und im Oberwasser wieder ausgesetzt. Von dort aus können
sie ihre Springprozession in die Laichgründe fortsetzen, in
denen sie einst von ehrenamtlichen Lachswarten ausgewildert
worden waren.

Während die Elbe ­ seit dem Bau einer 2,5 Millionen Mark
teuren Fischrampe 1998 in Geesthacht ­ inzwischen bis
Dresden "linear durchgängig" ist, ist der Oberrhein noch
immer blockiert: Zehn Staustufen verstellen den Lachsen den
Rückweg zu wichtigen Laich- und Jungfisch-Biotopen in
Nebenflüssen und Altarmen.

Vergangenen Monat hat eine nach modernsten Erkenntnissen
konstruierte Fischtreppe (Baukosten: 17 Millionen Mark)
immerhin das nördlichste der Hindernisse, bei Iffezheim,
passierbar gemacht. In drei Jahren soll die nächste
Barriere, bei Gambsheim, entschärft sein; dann wären für
den Lachs weitere Nebenflüsse im Schwarzwald und in den
Vogesen erreichbar. Etwa 2020 wird, so schätzt
Schulte-Wülwer-Leidig, der gesamte traditionelle
Fischwanderweg frei sein ­ bis hinauf zum Rheinfall bei
Schaffhausen.

Schon vorher wollen die deutschen Anrainerländer von
Nordrhein-Westfalen bis Baden-Württemberg viele wichtige
Rheinzuflüsse und deren Seitenbäche wieder passierbar
machen ­ durch "Fischtreppen", "Bypässe" und
"Umgehungsgerinne". Zugleich sollen Auen und Altarme
geöffnet werden; das schafft nicht nur Laichzonen, sondern
bremst auch Hochwasserwellen.

Mit Zuschüssen aus diversen Ökotöpfen wird derzeit
allerorten gebuddelt. An der Kinzig etwa, einem Nebenfluss
des Mains, wird eine Million verbaut ­ im Kiesgrund der
Seitenbäche sollen eines Tages 30 000 Lachse laichen. An
der Lahn, wo Gewässerkundler insgesamt 519 Hindernisse
kartiert haben, stehen allein im rheinland-pfälzischen
Flussabschnitt Bauten für rund zehn Millionen Mark an.

Doch das Projekt Fischtreppe könnte sich schon bald als
gigantischer Schildbürgerstreich erweisen. Schuld daran
hätten ausgerechnet deutsche Umweltschützer: Während eine
neue Generation von Wasserbauingenieuren die Sünden der
Väter repariert, um laichbereiten Altfischen den Aufstieg
zu erleichtern, errichten Kraftwerksbauer derzeit überall
an deutschen Gewässern neue Barrieren, die den Jungfischen
den Abstieg erschweren.

 

Denn: Gefördert durch Subventionen und Garantiepreise für
vermeintlich umweltgerechten Strom, entstehen Hunderte
neuer "Kleinwasserkraftanlagen" (KWKA) mit weniger als
einem Megawatt Jahresleistung; seit 1994 ist ihre Zahl von
4633 auf 6500 gestiegen. In den "Turbinchen", so beobachten
Angler, werden die absteigenden Lachse "zu Sushi
geschreddert".

Die Stromproduktion der mörderischen Minimühlen entspricht
bisweilen lediglich der Leistung eines Mopeds. Die KWKA
lieferten "weder zur Stromerzeugung noch zur Vermeidung von
Treibhausgasen einen nennenswerten Beitrag", moniert der
Verband der deutschen Fischwissenschaftler. Naturschutz-
und Anglerorganisationen fordern daher, keine KWKA ohne
Fischschutzvorkehrungen mehr zu genehmigen ­ anderenfalls
werde der "grüne Strom" für "rote Ströme" sorgen.

Auch ohne die "Spaliere des Todes", wie die Anglerlobby
die KWKA-Ketten nennt, wäre die Lachswanderung riskant
genug. Die Chance, dass sich aus einem Lachsbrütling ein
abwanderungsreifer Jungfisch ("Smolt") entwickelt, liegt
bei drei Prozent. Von den ins Meer drängenden Smolts
wiederum kehrt nur jeder 25. in sein Laichgewässer zurück.

Mit anderen Worten: Ob das "Endziel" (Minister Funke)
einer "sich selbst reproduzierenden Lachspopulation" in
deutschen Flüssen erreicht wird, entscheidet sich nicht
zuletzt auf hoher See ­ wie etwa in den kühlen
Nahrungsgründen nahe der Gletscher- und Geysir-Insel
Island.

 Der Lachspapst von Reykjavík

Sekundenlang sirrt die Schnur über den Fluss, der wild und
weiß durch die Stromschnellen tost. Auch wenn der große,
silbrig glitzernde Fisch endlich, vielleicht nach Hunderten
von Würfen, gebissen hat, ist das Duell nicht entschieden:
Handelsübliche Haken biegt der Kämpfer mit den stahlharten
Muskeln auf wie Blech.

Lachsfischen ­ in vielen Ländern "the noblest sport of
all" ­ war auch das Hobby des isländischen Industriellen
Orri Vigfusson, der mit der Herstellung von "Icy Vodka" und
mit einem Duty-free-Shop ein Vermögen gemacht hat. Doch
seit den achtziger Jahren kämpft er nicht mehr mit dem
Wildlachs, sondern für ihn.

Damals hatte Vigfusson bemerkt, dass die Zahl der
Silberlinge sank, die aus dem Ozean zum Ablaichen in
Islands Flüsse zurückkehrten. Denn bald nachdem Forscher
die bis dahin unbekannten nordatlantischen Weidegründe der
europäischen und amerikanischen Lachse entdeckt hatten,
begannen riesige Fangflotten, dem Luxusfisch auf hoher See
nachzustellen. Der Zusammenbruch lokaler Bestände in Europa
und Nordamerika war nur noch eine Frage der Zeit.

Weil internationale Abkommen gegen den Raubbau nicht
griffen, entwickelte Vigfusson eine revolutionäre Idee: Der
Millionär gründete 1989 den North Atlantic Salmon Fund
(NASF), der den Fischern der Färöer für jeweils 688 500
Dollar deren jährliche Fangquote abkaufte ­ mit dem Ziel,
auf diese Weise die Lachsbefischung zu unterbinden. Später
legte der NASF mit Spenden von US-Anglern auch die
westgrönländische Quote auf Eis.

Aus diesen Anfängen hat sich, wie der deutsche
Sportfischerverband urteilt, "eine der aufwendigsten
Artenschutzmaßnahmen der Menschheitsgeschichte" entwickelt.
Ohne den "Lachspapst" und dessen NASF, so das Fachblatt
"Rute und Rolle", wäre Salmo salar "im Nordatlantik
vielleicht schon ausgestorben".

Anfangs war es Vigfusson nicht leicht gefallen, unter den
Naturschützern der Nordatlantikstaaten Mitstreiter zu
finden: "Unser Anliegen wäre wesentlich einfacher, wenn
Lachse pelzig, warmblütig und kuschelig wären." Doch
mittlerweile hat er viele Verbündete gewonnen, selbst in
Deutschland, dem Lachsland in spe.

"Nur ein rückkehrender Lachs ist ein guter Lachs" ­ mit
diesem Argument ist es dem Hamburger Unternehmensberater
Peter Olbrich gelungen, in der Bundesrepublik Unterstützung
für die Hochsee-Lachsschützer zu mobilisieren. Die Lobby
für den Lachs, predigt Fliegenfischer Olbrich seinen
Angelfreunden, dürfe sich ebenso wenig an Grenzen
orientieren wie der Wanderfisch selbst.

Mittlerweile hat der Biologe ein Netzwerk von
Gleichgesinnten gewoben. Olbrichs Lachs- und
Meerforellen-Sozietät (LMS) wendet sich gegen Fischer, die
vor den Rheinmündungen die Rückkehrer wegfangen. Im
Internet (www.lms-online.de) warnt der Verein vor Gefahren,
die dem Wildlachs durch Fischseuchen oder die
Bastardisierung durch Gen-Lachse drohen, die aus
Meeresfarmen ausreißen.

Immer wieder aber kann der LMS-Vorsitzende auch
Erfolgsmeldungen ins Web stellen: Norwegen schränkt die
Schleppnetzfischerei auf Lachs ein; Holland verlängert zu
Gunsten der Rückkehrer die Öffnungszeiten seiner
Schleusentore an den Rheinarmen; im US-Staat Maine wird ein
Staudamm beseitigt, der die Lachswanderung behindert ­ für
Olbrich der Beweis: "It can be done."

Als Lachspapst Vigfusson, selbst Spross einer
Fischerfamilie, vergangenes Jahr nach Deutschland reiste,
um seinen Mitstreitern zu danken, warb er für eine
Trendwende im Umgang des Menschen mit dem Wasser. "Der
Punkt, bis zu dem man zurückgeben musste, was man einem
Flusssystem entnommen hat, haben wir überschritten",
predigte er: "Jetzt müssen wir mehr zurückgeben, als wir
entnehmen."

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(C) DER SPIEGEL 35/2000

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