Neuland. Auf der Suche...
Ein nachdenklicher Bericht aus deutschen Flussrevieren... | Text & Fotos: Michael Müller

Neuland entdecken...

Seit Stunden fuhr und lief ich durch die fremde Stadt, mich immer wieder durch Straßenlücken, Nischen im Gebüsch und kleine parkähnliche Anlagen in Richtung Fluss arbeitend. Ich wollte heute so viel wie möglich von dem für mich neuen Gewässer erkunden, um mir ein Bild über die Fische und die Fischerei zu machen – zunächst ohne die Fliegenrute im Gepäck. 

Der Fluss machte insgesamt einen prächtigen Eindruck: glasklares Wasser, Rieselstrecken, tiefere Rinnen, Staubereiche, Wehre und Bereiche mit flutendem Hahnenfuß boten den Fischen viele Unterstände. So in die Beobachtung versunken, konnte man für den Moment glatt vergessen, dass man sich mitten in der großen Stadt befand, mit all ihren Menschen, Straßen, Autos, Abgasen, Lärm, Müll und Häuserschluchten...



Das Stadtgewühl und die lange Anfahrtstrecke waren es, was mich all die Jahre abgeschreckt hat, einmal dieses eigentlich interessante Revier zu erkunden und zu befischen – obwohl ich zugegebenermaßen schon länger mit dem Gedanken gespielt hatte... 

Sicher lag es auch daran, dass es bis vor Kurzem in meiner Gegend noch keinen Mangel an in großartiger, ruhiger Natur gelegenen und mit prächtigen Fischbeständen ausgestatteten Flüssen für mich gab. Die Auswahl war groß und bei der Frage, ob es in eine Stadt-Strecke oder in eine Wald- und Wiesenstrecke zum Fliegenfischen gehen soll, hat letztere logisch immer den Vorrang bekommen. Doch die Zeiten ändern sich. Leider.



Es war nicht allein, jedoch besonders der Winter 2005/2006 – ein harter Winter, der vieles veränderte. Ein Winter, in dem wieder einmal große Kormoranschwärme wie eine Heuschreckenplage über deutsche Lande zogen und nach deren Raubzügen in vielen bedeutsamen Flüssen nur noch Schatten der einstigen Fischbestände zurück blieben. Die in winterlicher Kälte vom nahenden Hungertod geplagten Vögel hatten ihre natürliche Scheu oft weitgehend verloren und machten erstmals auch vor vielen innerstädtischen Bereichen keineswegs mehr halt, an vielen Flüssen, an denen man sie vorher noch niemals sah. Besonders betroffen waren einmal mehr die einst prächtigen Äschenbestände, oftmals einzigartige, gewässerspezifische Äschenstämme – unwiederbringlich und mit keinem Geld dieser Welt zu bezahlen...

In diesen dunklen Zeiten muss man als böse geplagter Gewässerpächter & Fisch-Heger alles Mögliche tun, um wenigstens dem restlichen Fischstand das Überleben zu ermöglichen – und man muss an vielen Fronten kämpfen, um Veränderungen und Verbesserungen zu erreichen, Schritt für Schritt, aber mit Nachdruck. Einstweilen überwiegen jedoch offensichtlich die immer wieder kehrenden Tiefschläge...



Man möchte aber auch bei Gelegenheit die eigene „Leidenschaft Fliegenfischen“ pflegen – also auch selber immer mal wieder zum Fischen gehen. Sonst hätte doch alles nur wenig Sinn... 

Und so ist man auf der Suche nach Ausweich-Revieren, die auch in Sachen eines vernünftigen Fischbestandes noch ein nettes Fliegenfischen ermöglichen. Auch wenn es Reviere sind, die fernab von der Heimat liegen und die man früher aus vermeintlich gutem Grund gemieden hat.



Auf meiner Beobachtungs-Pirsch durch die Stadt gelangte ich schließlich an eine Stelle, an welcher der Fluss mit etwa 10 Metern Breite zwischen hohen Ufern dahinfloss. Rechtsseitig bildete er eine tiefe Rinne. Vorsichtig lugte ich durchs Gebüsch von oben in die Rinne, die etwa 4 Meter unter mir glasklar da lag, wie ein offenes Buch. Einige Forellen waren aktiv und stiegen, es waren Exemplare von 20, 30 und auch 40 cm zu sehen – eine feine Sache. Doch dann kam das Unerwartete. Aus der dunklen Tiefe der Rinne schob sich ein großer Schatten hoch zur Oberfläche. Eine richtig dicke Bachforelle mit geschätzten 60 cm Körperlänge durchbrach wie in Zeitlupe  die Wasseroberfläche, schlürfte irgend eine Fliege ein und ließ sich wieder in die Tiefe zurücksinken. Wauhhhhhh... Kinnlade wieder hochklappen.

Genau so etwas braucht das Herz, um sich mal wieder richtig als Fischerherz zu fühlen – und einen gewaltigen Sprung hinzulegen. Eigentlich war schon jetzt klar, dass ich den geplanten morgigen Fischertag hier beginnen würde. Ich schaute mir noch den restlichen Bereich an – ein beschauliches Gewässer und überall schöne Fische, die fleißig stiegen – und der Plan für morgen war gereift.


Und? Haben Sie die Äsche auf dem Bild schon entdeckt?

Ernüchterung und neue Freude

Nach einer vor Aufregung schlecht durchschlafenen Nacht – wie so oft, wenn ich in der Fremde bin und Tags darauf Fischen will – suchte ich am nächsten Morgen den Fachhändler vor Ort auf, welcher die Tageskarten für die von mir anvisierte Strecke führte.

Die Ernüchterung kam prompt und heftig: Der ganze von mir ins Auge gefasste Bereich ist Schonstrecke und gesperrt – keine Angelei möglich, so ein M... aber auch!!! Und dazu die Sprüche des Verkäufers: „...60er Forelle? Da sind noch viel größere drin...“. Und: „...lassen Sie sich ja nicht hinreißen dort zu fischen – wenn kontrolliert wird - dann dort...“.   Aus der Traum!

Eine Alternative musste her – schließlich hatte ich mir zum Fischen frei genommen und war weit bis hierher gereist. Und ich hatte vorher einen halben Tag eine Gewässerstrecke erkundet, die, wie sich nun herausstellte, gar nicht beangelbar war.. :-(

Zum Glück ist die städtische Strecke jedoch etliche Kilometer lang und im Gespräch wurde schnell klar, dass es ja hier noch andere interessante und lohnenswerte Bereiche gibt...



Am Wasser

Es ist schon fast 11:00 Uhr, als ich endlich ins Wasser steige. Aber das Gespräch im Angelladen war wichtig und wie so oft die halbe Miete, denn ich weiß nun genau, wo ich hin muss - in dieser für mich völlig fremden Gewässerstrecke. Daneben habe ich noch einige gängige Fliegenmuster eingekauft, nette Tipps erhalten, neugierig die Fang-Bilder an der Fotowand bestaunt und nebenbei – im Gespräch mit einheimischen Anglern – auch noch einen feinen Kaffee geschlürft. Ich möchte sie nicht missen, die Besuche und diesen urigen Fachgeschäften, und schon gar nicht gegen irgend einen "nur"-Internet-Händler eintauschen.

Der Fluss präsentiert sich mit rund 20 Metern Breite und seinen Kiesbänken klar, gut bewatbar und mit überschaubarer Tiefe. Ruhigere Bereiche wechseln sich mit Rieselstrecken und Rinnen ab. Flutender Hahnenfuß bringt gute Unterstände und einen schönen optischen Kontrast. Der Herbst-Laubfall hat bereits eingesetzt, er stört das Fischen aber noch nicht nennenswert.

Einmal ins Wasser gestiegen, befinde ich mich unterhalb der Straße, inmitten des sanft plätschernden Wassers und der im Wind leise raschelnden Herbstbäume. Vom pulsierenden Stadtleben bekomme ich hier unten zum Glück kaum noch etwas mit.

Mit nicht allzu hohen Erwartungen beginne ich mit dem Fischen, werfe in die eine oder andere Rinne, fange ein paar nette Bachforellen und Äschen und wandere unten im Flusstal langsam und vorsichtig stromaufwärts.



Schließlich gelange ich an eine Stelle mit etwa knietiefen Wasser über die ganze Flussbreite und strukturiertem Grund. Bereits beim Einwaten nehmen einige Äschen, die auf meiner Uferseite im flachen Wasser standen, reißaus. Ich gehe vorsichtig weiter, schaue mich um und traue meinen Augen kaum – mit jedem Augenblick wird mir klarer, dass ich wohl mitten im Äschenparadies gelandet sein muss. Über diese, nur einige hundert Meter lange Strecke, stehen tausende von Äschen verteilt. Im Ernst! Fische von Fingerlänge bis hin zu ein paar dicken Schatten mit rund 45 Zentimetern oder mehr. Allein das ich das erleben darf – ist einfach herrlich.


Im Äschen-Paradies

Die nächsten 4 bis 5 Stunden gehören den Äschen. Steigende Fische sind heute fast überhaupt nicht aktiv. So probiere ich beim Anfischen – durchweg auf Sicht – zahlreiche Nymphenmuster durch. Äschen sehen, heißt noch lange nicht, sie auch leicht zu fangen. Diese Lektion ist mir bestens bekannt und vertieft sich heute einmal wieder. Manche der Fische sind unglaublich konsequent im Ablehnen meiner Fliegenmuster. Dennoch kann ich über den Nachmittag verteilt, ein paar Bachforellen und vor allem viele schöne Äschen überlisten. Kaum eine der Äschen hat unter 35 cm und einige der Besten haben auch 40 cm. Nur die ganz Dicken halten sich bedeckt. Das ist ja auch ihr gutes Recht.

Aber das ist im Grunde auch egal. Es ist ein wunderbarer Tag mit einer unvergesslich schönen Fischerei. Wenn es passt, werde ich gern wiederkommen. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens diese wenigen „Nischen-Bestände“ von den gefräßigen schwarzen Vögeln, wie auch von den „zweibeinigen Kormoranen“ noch lange verschont bleiben und mit zur Wiederbesiedlung der leergefressenen Flussgebiete beitragen können.



Epilog

Heute und wiederholt ans Gewässer zurückgekehrt, kann ich nur noch wehmütig an die obige Geschichte denken, die ich vor ein paar Jahren aufschrieb... Denn nun ist auch an diesen Strecken die traurige Realität der heutigen Zeit eingekehrt. Räubernde Winter-Kormorane haben auch die letzte versteckte Äsche gefunden und gefressen, der prächtige Äschenbestand ist ausgelöscht, die Strecken weitgehend verwaist. Bagger und Fluss-Baustellen taten ein Übriges und der Fluss ist stellenweise nicht mehr wiederzuerkennen. Wenn hier heute etwas an die Fliege geht, dann ist es fangfähiger Forellenbesatz aus dem selben Jahr, denn ansonsten kommt ja kein Fisch mehr über den Winter... 

Sieht so die Zukunft der Fliegenfischerei in deutschen Landen und an unseren wunderschönen Salmoniden-Flüssen aus? Das wäre wirklich zum Heulen!

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Ein Beitrag von Michael Müller für www.fliegenfischer-forum.de - September 2011. Fotos ©: Michael Müller
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