The perfect day - Obere Möhne, 25. Juni 2006.
Ein Bericht von Frank Möbus
Mein Freund Ulli Bußmann und ich – wir schreiben gerade gemeinsam an einem Buch über das Fliegenfischen – haben uns lange auf diesen Tag gefreut. Wir sind verabredet mit Mirjana Pavlic von Flyfishing Europe, um ein kleines Foto-Shooting an der Oberen Möhne zu machen und, natürlich, um gemeinsam zu fischen. Einmal musste der Termin verschoben werden; nun soll es endlich losgehen.
In Göttingen sind Ulli und ich morgens um 7.30 Uhr verabredet; mit Mirjana wollen wir uns um 10.30 Uhr in Niederbergheim treffen. Wie immer, wenn eine Verabredung zum Fischen lockt: Ich stehe eine Viertelstunde zu früh auf der Straße, in der Hoffnung, es könne schon früher losgehen. Und richtig, auf Ulli ist Verlass. Er ist 14 Minuten zu früh am Platze. Keiner von uns wundert sich über die Verfrühung. Wir kennen uns nun schon seit fast 40 Jahren, und Ulli hat mir das Fliegenfischen und das Fliegenrutenbauen beigebracht, als ich noch ein Jungangler und er Jugendwart in unserem Verein war. Meine lebenslange Infektionskrankheit verdanke ich vor allem ihm.

Ouvertüre

So sind wir weit eher als eine Stunde zu früh am verabredeten Platz. Das war auch so geplant, denn wir beide lieben es, ein Gewässer zunächst einmal ohne Ruten in Ruhe zu begehen und anzuschauen, die Fische und ihr Fressverhalten zu beobachten, das Insektenvorkommen zu analysieren und eine Strategie für das Fischen zu entwickeln. 
So marschieren wir zunächst einmal an die Waldstrecke unterhalb von Niederbergheim, wo das klare, flache Wasser einige Einsichten verspricht. Und sehr schnell lernen wir etwas Wichtiges über das Insektenvorkommen. Auf unseren ganzen Körpern identifizieren wir mit einem leichten Schrecken äußerst aktive Exemplare der Tabanus bovinus L., besser bekannt unter ihrem deutschen Namen: Rinderbremse.
Das Thermometer steht schon fast bei 30°, unser Deodorant versagt; der Schweiß erweist sich als zuverlässiges Lockmittel für die Bremsen und unsere erste strategische Überlegung lautet: Das Autan aus dem Auto mit ans Wasser nehmen (das haben wir dann schließlich doch vergessen, aber die Bremsen haben uns für den Rest des Tages überhaupt nicht mehr behelligt – sogar diesbezüglich wurde alles perfekt).

Bei Niederbergheim: 
Der helle Fleck in der Mitte ist kein Bildfehler, 
sondern ein Mückenschwarm (Foto: UB)

In der flachen Strecke machen wir bald ein paar kleine Bach- und drei starke Seeforellen aus, die auf der Jagd nach Nymphen sind. Steigen tut hingegen nichts, obwohl überall auf dem Wasser Insekten aller Art sind: Midges, Eintagsfliegen, Kohlschnaken und – massenweise – Erlenkäfer, die in dicken Klumpen an den Bäumen sitzen, um sich dem Paarungsgeschäft hinzugeben. 

Die Möhne bei Niederbergheim (Foto: UB) Auch an der Möhne: Die Herkules-Staude breitet sich aus (Foto: UB)
Tiefe Gumpen und schnelle Züge wechseln sich ab: die Möhne bei Allagen (Foto: UB)

Ein paar Stunden später werde ich beobachten können, wie solch ein ganzer Klumpen kopulierender Erlenkäfer ins Wasser stürzt – und in einem gewaltigen Schwall von einem großen Salmoniden aufgenommen wird. Fette Beute für die Fische!
Danach laufen wir noch rasch an die Brücke in Niederbergheim und betrachten den sehr flachen, sandig-schlammigen Abschnitt, den man von hier aus gut überblicken kann. Dort können wir einer schönen Bachforelle zusehen, die ebenfalls eifrig jagt und ein Revier von ca. 100 Quadratmeter systematisch nach Nahrung absucht. Hier sieht man auch eine Vielzahl kleinerer Fische: Bachforellen, Döbel, Weißfischbrut.


Unter der Brücke in Niederbergheim (Foto: UB)
Langsam zieht eine dicke Regenbogenforelle an uns vorbei, der die Jungfische geflissentlich aus dem Wege gehen. Sie dürfte gut und gerne ihre drei Kilogramm haben; wenn ich ein kleiner, schmackhafter Fisch wäre, würde ich auch machen, dass ich fortkomme. Sie sieht entschieden hungrig aus.
Bei uns steigt die Vorfreude. Zwar steigt auch hier nichts, und wir wollten eigentlich trocken fischen – aber die Fische jagen. Bestens.
Als Mirjana kommt, meldet sie allerdings gleich Zweifel an: Das sei zu warm heute. Könnte ein schlechter Tag werden. Selten dürfte eine Prognose so falsch gewesen sein wie diese.
Nun muss man wissen, dass Mirjana Ulli und mich bislang nur auf festem Boden kannte. Wir haben noch niemals zusammen gefischt; da wägt man erst einmal gründlich ab, mit wem man es zu tun hat und ob sich die Philosophien und Wurfkünste miteinander vertragen.
Als wir deshalb gemeinsam in Niederbergheim ins Wasser steigen, sind die ersten Minuten von misstrauischem Beäugen geprägt. Wir stehen nur knapp zwei Meter voneinander entfernt, haben 6/7er Ruten mit 18er Vorfächern montiert, an denen sich auf Mirjanas Rat hin beschwerte Nymphen befinden. Da passt man auf, mit wem man fischt – keiner von uns hat Lust auf ein Köcherfliegenpiercing in der Nase oder ein Ohrloch. Auch eine mit Schonhaken versehene Fliege kann recht unangenehme Konsequenzen haben, wenn sie nach heftigster Beschleunigung auf einen Fliegenfischer trifft. So etwas kann der Freundschaft entschieden abträglich sein.
Sie selbst führt übrigens zwei Ruten mit sich; eine bestückt zum Nymphenfischen, eine für den Streamer. Manchmal stellt sie eine davon in die Büsche, öfter klemmt die zweite Rute ganz locker unter der linken Achsel. Nicht nur beim Waten, sondern auch beim Werfen, später dann auch beim Drillen und Abködern. Ich wundere mich, dass das funktioniert – aber nicht lange. Sie macht das so selbstverständlich, dass es mir bald ganz selbstverständlich vorkommt.

Was binden wir jetzt an?   Ulli und Mirjana bei der Durchsicht der Fliegenboxen (Foto: FM)

Wir konstatieren, dass das wohl kein blutiger Tag werden wird, zumal wir alle mit Rollwürfen operieren (wie auch sonst?) und in zwölf, fünfzehn Metern Entfernung flussaufwärts fischen. Ulli und ich lernen sehr schnell, dass von Mirjana wirklich keinerlei Gefahr ausgeht; auch sie sucht keine Deckung auf, wenn wir werfen. Gut, das wäre geklärt!

Anfangs unseres Angeltages haben wir nun das seltene Privileg, als persönliche Gäste der Möhne-Pächterin Mirjana Pavlic (die Geschäft und Gewässer von Erich Brinkhoff übernommen hat) an einer kurzen Privatstrecke am Niederbergheimer Mühlenwehr fischen zu dürfen. Dieser schöne Gewässerabschnitt mußte für den öffentlichen Zugang gesperrt werden, weil der (um es vorsichtig zu sagen:) wenig kooperationsbereite Grundstücksbesitzer das Betreten seines Geländes streng verboten hat. 
Es kursieren einige reichlich gruselige Geschichten über die Zeit, als das Wehr noch offen zugänglich war – mal soll der Besitzer Anzeigen wegen Hausfriedensbruches ausgesprochen, mal seinen Hund auf einen Fliegenfischer gehetzt, sogar ohne Vorwarnung das Wehr geöffnet haben, um es von ihm unliebsamen Besuchern frei spülen zu lassen. Von einer Mistforke ist auch die Rede. Alles nur Stammtischgerede? Ich weiß es nicht; habe solcherlei Geschichten allerdings schon zu oft gehört, um begründete Zweifel anmelden zu wollen. 
Mirjana selbst verbreitet freilich keinerlei Horrorstories, schärft uns allerdings ein, keinesfalls auch nur einen Fuß ans Ufer zu setzen und das Reden zwecks Deeskalation ihr selbst zu überlassen, falls es zu verbalen Attacken gegen uns kommen sollte. 
Während unseres kurzen Besuches bleibt es allerdings ruhig – mit der durchaus streitbaren Pächterin persönlich möchte offenbar auch der Anlieger keine derjenigen Kirschen essen, die überall am Möhne-Ufer reifen.
Jedenfalls sollten Besucher die Hinweise auf der Streckenkarte beachten und dieses Wehr meiden, auch wenn’s schwerfällt: Flyfishing Europe hat keine Rechtsgrundlage, das öffentliche Betreten dieses Bereichs durchsetzen zu können und muß deshalb derzeit an der Sperrung des Wehrs festhalten. Aber vielleicht wird sich zukünftig doch noch eine friedliche, allseits zufrieden stellende Lösung finden lassen? 

The first contacts

Auch etwas anderes klärt sich schon sehr, sehr rasch. Bereits nach wenigen Würfen wird nämlich deutlich, dass der Tag so schlecht nicht werden wird. 
Das Singen von Mirjanas Rolle bläst das Signal zum wirklichen Tagesauftakt – mit einem gewaltigen Schwall hat der erste Fisch zugefasst. In rasenden Fluchten sucht er sein Entkommen und man sieht sogleich, dass sie es weiß Gott nicht mit einem untermaßigen Fisch zu tun hat.
Dabei fällt mir ein, dass ich noch etwas anderes erzählen sollte. Als ich ein paar Wochen zuvor mit Mirjana im Geschäft schwätzte, hatten wir das Thema „verschärftes Drillen“ am Wickel, und wir haben Erfahrungen im Umgang mit sehr großen Fischen ausgetauscht (von denen Mirjana viele, ich eher wenige habe). Was sie mir damals erzählt hat – und was mir gelegentlich ein eher skeptisches „Ach was!“ und „Soso!“ entlockt hatte –, zeigt sie mir nun in der Praxis, und der kleine Zweifelsteufel in meinem Ohr hält von nun an die Klappe. 
Es dauert sicher keine drei Minuten, bis Mirjana den ersten Fang behutsam auf der Hand hält, um ihn vom Haken zu entfernen. Seeforelle. Um die 60 cm. Und die fängt diese Frau so cool, als habe sie es mit einem Häsling zu tun! Sehr artig statten wir unser „Petri Heil!“ ab – toller Fisch, virtuos gefangen! Und Ulli und mir ist das ein entschiedener Ansporn; nur selten haben wir das Glück, einen solchen Fisch fangen zu können.
Aber noch ist es nicht soweit, dass wir uns beweisen können. Es dauert keine zehn Minuten, und bei Mirjana geht ein neuer Tanz los! Wieder wildes Flüchten ins tiefe Wasser, wieder ganz offenbar ein großer Fisch, den sie am Haken hat. 

Ich stehe direkt neben mir; als es bei ihr biss, hatte ich meine Nymphe gerade ausgeworfen. Rasch hole ich die Schnur ein, damit wir einander nicht ins Gehege kommen, denn diese Forelle nutzt die ganze Breite des Flusses.
Schon habe ich die Rute aufgerichtet, schon bin ich dabei, das Vorfach mit der Hand zu greifen – da sehe ich, wie ein Schatten unter dem Busch direkt vor mir hervor schießt. Ehe ich recht begriffen habe, was Sache ist, hat der Schatten blitzartig gewendet und ist ins tiefe Wasser verschwunden.

Beinahe mit Verwunderung blicke ich auf meine tief aufs Wasser gebogene Rute, verblüfft höre ich das laute Ratschen meiner alten Hardy-Rolle. Die Informationen brauchen ein paar Augenblicke, um auch das Hirn zu erreichen: Fisch! Großer Fisch! Du solltest jetzt aber schleunigst was mit deiner Bremse machen, sonst knallt es jeden Moment!
Nun drillen Mirjana und ich ein Fischballett; zwei, drei Mal kreuzen sich die Fluchten der Fische, zum Glück aber in unterschiedlicher Entfernung, so dass die Sache ohne Verwicklungen abgeht – aber mit reichlich Herzklopfen und rasendem Puls (bei mir jedenfalls).
 

Mirjanas starke Seeforelle hat aufgegeben; Franks Rute zeigt, was der Begriff „Super-Parabolic“ in der Praxis bedeutet (Foto: UB)

Nun ist auch diese schöne Seeforelle müde (Foto: UB)
 

Ulli zückt die Kamera. Bei Mirjana geht es etwas schneller als bei mir, dann haben wir beide die Fische bezwungen. Ich bin viel zu vergnügt und konzentriert, um ihre Beute noch groß würdigen zu können: Die prächtige Seeforelle auf meiner Hand sorgt dafür, dass das auch dann ein guter Tag wäre, wenn dies mein einziger Fisch des Tages bliebe. Solche Brocken fange ich selten; der Versuch, Mirjanas Interpretation des „verschärften Drills“ zu imitieren, ist dank des starken Vorfachs ohne Blamage und überraschend problemlos abgegangen. Der ca. 55 cm lange Salmonide bekommt einen vorsichtigen Kuss, bevor ich ihn in die Freiheit entlasse. Mit einem gewaltigen Schwanzschlag ist er weg. Vielleicht ein bisschen klüger als zuvor. Das haben der Fisch und ich allerdings gemeinsam: Auch ich habe meine Lektion über den „verschärften Drill“ gelernt.

Nur wenig später rappelt es nun auch bei Ulli, der vorher nur zwei knapp maßige Bachforellen gefangen hat. Unter mächtigem Spritzen und Schlagen an der Oberfläche kämpft ein prächtiger Bachsaibling um seine Freiheit. Es ist ein wunderschöner Anblick, wie der leuchtend rote Körper in der starken Strömung Gischt in die Luft verspritzt, und nun spielt auch um Ullis Mund jenes leise, selige Lächeln, das der stille Beobachter auch bei Mirjana und mir sehen kann. 

Ulli mit einem wunderschönen Bachsaibling (Foto: FM) Schon wieder: Fischballett an Mirjanas und Franks Ruten (Foto: UB)
Apropos Beobachter: Schon seit einer halben Stunde haben wir solche – drei Kids von vielleicht fünfzehn Jahren, die sich die Augen aus dem Kopf gucken, was wir da machen. Und angesichts eben dessen, was wir da tun, bleiben die gewohnten Fragen aus: „Beißen sie?“ – „Gibt es hier denn überhaupt Fische?“ Stattdessen: „Wow, guck mal!“ – „Grell, ey, geil!“ – „Du meine Fresse!“ Das wäre nicht ganz meine Wortwahl, aber den Kern der Sache trifft es vollkommen.
Etwas später erwischt auch Ulli seine erste starke Seeforelle, die uns nun gar nicht mehr groß in Aufregung versetzt – so schnell gewöhnt man sich an gutes Beißen und große Fische! 
Die große Rote

Dann rummst es bei Mirjana mal richtig heftig. Sie jauchzt auf, als es die erste, gewaltige Flucht gibt, wendet sich dann mit etwas enttäuschtem Gesicht zu mir und sagt: „Oh nein! Den habe ich bestimmt gehakt!“ Denn der Fisch zieht so nachdrücklich in die Tiefe, dass die Vermutung nahe liegt, dass ihm der Haken in der Schwanzflosse sitzt. Die Rute zeigt, wie stabil sie ist, aber der Fisch ist einfach nicht an die Oberfläche zu bekommen. Dann schlägt er einen weiten Bogen und schwimmt im hüfttiefen, schnapsklaren Wasser nur knapp zwei Meter an mir vorbei: Rot. Saibling. Groß – sehr groß. Und der kleine Streamer, den Mirjana jetzt fischt, sitzt gut sichtbar im Maulwinkel.

Von wegen gehakt! Das ist ein richtiger Brocken, der gut und gerne seine 3 Kilogramm hat, und der Kampf mit ihm zieht sich ein Weilchen hin – ausnahmsweise ist es diesmal eher weniger Mirjana, die den Drill verschärft. 
Das macht der Fisch.
Aber auch er wird schließlich sicher gelandet, und dies kapitale Exemplar lässt uns still staunen – was für ein toller Fisch! Mirjana setzt ihn ganz besonders zärtlich zurück: Mach’s gut! Vielleicht sieht man sich mal wieder ... 
 

Oben: Die große Rote zeigt ihren eindrucksvollen Kopf (Foto: FM)

Rechts: Was für ein Fisch! – Mirjana freut sich, Frank fotografiert (Foto: UB)
 

Das wäre ein Schmuck jeder Trophäenwand gewesen. Wie schön, dass dieses wunderschöne Tier an einer solchen nicht enden wird!

Doch nun ist es in diesem Abschnitt vorbei. Die Fische haben gemerkt, was wir von ihnen wollen. Ein kleiner Döbel bleibt der letzte Fang an dieser Strecke, die nach Mirjanas Drill des großen Roten zu sehr in Aufregung versetzt worden ist. Hie und da zeigt sich noch ein Nachläufer (darunter eine geradezu erschreckend große Bachforelle), aber es beißt nichts mehr. Wir haben unsere Visitenkarten abgegeben, und die Fische kennen uns nun zu gut.
Mirjana fragt, ob wir nicht Durst und Hunger hätten und gemeinsam essen wollten? Mittagspause in einem nahen Gasthof? 
Ulli und ich äußern uns eher vorsichtig: Nö, wir hätten sehr gut gefrühstückt, bei der Hitze fehle uns ohnehin der Appetit und Durst hätten wir auch keinen, vielleicht wolle Mirjana ja einen Apfel und einen Schluck Mineralwasser? 
Alles gelogen. Natürlich haben wir gewaltig Kohldampf. Aber wir wollen jetzt kein Steak und weder Apfelschorle noch Bier: Wir wollen FISCHE, und zwar lebendige! 
Mirjana nimmt den Apfel und tut freundlich so, als habe sie uns nicht durchschaut.

An den Pools

Während wir nun die Stelle wechseln und ein paar kurze Kilometer mit dem Auto fahren, ziehen Ulli und ich ein kleines Zwischenfazit: Der Tag kann schon jetzt kaum noch besser werden. Tolle Fische in Topkondition. Schon mehrere Salmoniden über 50 cm! Längst hatten wir noch keine zwei Stunden gefischt – und waren doch schon so zufrieden wie satte Säuglinge.
Dann fischen wir zunächst kurz oberhalb einer Waldstrecke unterhalb von Allagen. Jeder von uns hat hier seinen eigenen Pool, aber wir haben Sichtkontakt zueinander.
Ich bin dabei, wie sich bald herausstellt, zunächst in einem Kindergarten gelandet. Nachdem sich zehn Minuten lang gar nichts getan hat, fange ich zwei untermaßige Bachforellen und beschließe einen schleunigen Ortswechsel; die Kleinen sollen ihre Ruhe behalten, die sie sicher sonst auch deshalb haben, weil sich hier keine großer Fisch tummelt.

An den Pools (Foto: UB)

Mirjana und Ulli haben es besser getroffen. Während ich flussabwärts in ihre Richtung laufe, sehe ich sie beide drillen. Wie lange braucht man für 100 m durch dichtes Gestrüpp? Drei, vier Minuten? In dieser Zeit sehe ich, fast meinen Augen nicht trauend, wie Mirjana drei und Ulli zwei starke Fische fangen. Jeder Biss wird dabei mit lautem Gejauchze quittiert; an den gewaltigen Sätzen der Fische erkenne ich es von weitem: Regenbogenforellen.
Großzügig winkt Mirjana mich an ihre Seite. In diesem Pool stünden sicher noch mehr Fische, den könnten wir getrost teilen.

Stimmt. Und das, was nun beginnt, spottet wirklich jeder Beschreibung. Unsere sehr tief geführten Nymphen scheinen eine fast magische Anziehungskraft auszuüben, und ich komme mir vor, als ob ich träumte, dass die Tore zu Fliegenfischers Paradies sich geöffnet hätten. Das Drillballett, das wir vorhin schon einmal trainiert hatten, müssen wir jetzt sehr schnell perfektionieren, denn es rummst bei uns in so schneller Folge, dass wir es beide kaum fassen können, und Ulli, der ein Stück weiter unten in seinem Pool steht, geht es nicht anders. 

Mirjana mit einer herrlichen Bachforelle (Foto: FM)

Unten: Drei Fische an Ullis Rute (Fotos: UB)

Kein Witz: Wir variieren unsere Nymphen und Nassfliegen jetzt nicht deshalb, weil wir nicht genug fangen – sondern deshalb, um zu sehen, ob die Fische auch auf eine Palaretta, eine Royal Coachman, eine Maifliegenlarve oder eine phantastische, vorbildlose Eigenkreation gehen. Sie tun es. In der schnellen Fressrinne unterhalb des tiefen Gumpens haben sich die Regenbogenforellen offenbar so diszipliniert wie englische Buspassagiere (und mindestens so hungrig wie wir selbst) eine nach der anderen angestellt, um sich mit uns messen zu dürfen. Wir fangen sechs, sieben, acht (?) starke Fische zwischen ca. 45 und 60 cm Länge – das genaue Zählen haben wir längst vergessen, und überaus generös überlassen wir uns gegenseitig schöne Fische, die wir beim Nymphen gesehen haben – „Guck mal, da unter dem Busch, vor dem Zweig! Wirf die doch mal an, das ist eine Große!“ – „Danke! Dann nimm Du doch die da bei der Krautfahne, die ist auch nicht schlecht!“ Nächstes Ballett.
Diese Große hat noch reichlich Kraft – gleich wird die Bremse wieder singen (Foto: FM) Eine kleine Regenbogenforelle, behutsam in die Freiheit entlassen (Foto: UB)
Von solchen Tagen hatte ich bislang nur gehört oder gelesen. Richtig geglaubt hatte ich’s nicht. Das wunderbare Buch „Die Forelle und die Fliege“ von Brian Clarke und John Goddard beginnt mit den Sätzen (hier aus der Erinnerung zitiert, ich hab’s verliehen): „Es gibt Tage, da kann man sehr leicht 99 von 100 Forellen fangen. Uns interessiert die 100.“ Heute scheint ein Tag zu sein, an dem man 100 von 100 Forellen fangen kann. 

Unter den Erlen

Dann verlassen wir die Pools und waten flussabwärts durch eine dichte Waldstrecke, in der das Fischen schwierig wird. Die Lufthoheit liegt eindeutig auf Seiten der Erlen, die sich unweigerlich alles schnappen würden, was sich zwei Meter über dem Wasserspiegel befinden würde (und nebenbei sammele ich zwei fast neue Streamer ein, die ein Vorgänger dort den Zweigen zum Opfer gebracht hatte). Das Werfen hier ist eine Herausforderung; an einen Rückschwung ist nicht zu denken, und auch zum Rollen ist kein Platz. Die Fressrinnen sind dicht überwachsen; die Fische stehen tief unter freigespülten Wurzelstöcken und wir müssen die Leinen extrem flach halten, die Fliegen hingegen sehr tief führen. Diese schwierige Fischerei ist äußerst reizvoll, und ich versuche, mir Einiges bei Mirjana abzuschauen. „Schattenwurf“? Pah, wann brauche ich den schon mal? Was ich lernen möchte, ist der „flache Pavlic-Cast“, mit dem sie ihre Streamer traumwandlerisch sicher und punktgenau präsentiert.
Es werden dann noch drei Stunden, die wir hier unter den Bäumen verbringen – während wir schwätzen, mitunter ein paar Minuten pausieren, Fische und Vögel beobachten, Waschbär- und Fuchsspuren am sandigen Ufer ansehen, um alsdann wieder unser Ballett zu praktizieren, das wir mittlerweile traumwandlerisch sicher beherrschen. 
Die wilde Beißerei hält an und wir haben kaum noch einen Überblick, was wir alles gefangen haben und weiter fangen. Vergessen haben wir auch, warum wir eigentlich hier sind: Hauptsächlich wollten wir Fotos machen ... Aber die Kamera bleibt nun fast immer in der Weste.
Regenbogen- und Bachforellen wechseln sich ab; in dieser Strecke gibt es keine kleinen Fische, sondern nur solche zum Teil weit jenseits der 50 cm. Wären wir nicht zu Dritt gewesen und könnten jedes Detail unabhängig voneinander unter Eid bezeugen – man würde uns des übelsten Anglerlateins verdächtigen wollen. 
Tipps für die Köderwahl lassen sich aufgrund unserer Erlebnisse kaum ableiten: An diesem Tage nahmen die Forellen fast alles, was sehr tief und naturgetreu geführt wurde; vielleicht haben die Massen von Erlenkäfern einen „Fressrausch“ der Fische provoziert. Die beiden größten Fische fing ich übrigens auf eine leuchtend türkisgrüne, sehr schwere Käferkreation, die der Forums-Freund Volker Krause gebunden hat und mir im Tausch überließ: Danke, lieber Volker! 
Wichtig war eine gekonnte Präsentation und große Wurfgenauigkeit. Die Fische standen vielfach sehr dicht unter den Ufern, im tiefen Schatten. Auf Überwerfen reagierten sie höchst empfindlich. Die Bisse waren manchmal sehr heftig, öfter aber schwer auszumachen – schon die leiseste Veränderung der Drift musste mit einem Anhieb quittiert werden. 
Leicht könnte ich noch ein paar Seiten füllen, aber etwas Neues wüsste ich nicht mehr hinzuzufügen – wären wir Fleischfischer gewesen, hätten wir mühelos die Fischtheke eines größeren Supermarkts füllen können, um den Karfreitagsverkauf in einer katholischen Gegend zu gewährleisten. Meine gespließte Pezon&Michel hat 52 Jahre auf dem Buckel – das dürfte ihr schwerster Arbeitstag überhaupt gewesen sein. 
Aber trotz aller Routine des Fangens und Zurücksetzens behandeln wir jeden einzelnen Fisch mit größter Sorgsamkeit und Vorsicht – von denen, die wir gefangen haben, hat sich ganz sicher kein einziger auf den Rücken gedreht.

Prost, Mahlzeit!
Gegen 17.30 Uhr besiegt uns wirklich der Hunger. Wir beschließen, den von Mirjana vorgeschlagenen Test der Steaks im Loagshof in Niederbergheim in die Tat umzusetzen, bevor wir dann den Abendsprung an der Altherrenstrecke nutzen wollen. Auch dieser Teil des Tages verläuft äußerst zufrieden stellend. Bald sind wir wirklich so satt und zufrieden, wie wir ohnehin schon aussehen; zwei Stunden lang strecken wir die Beine unter den Gartentisch und freuen uns des Lebens. Fliegenfischergeschichten werden ausgetauscht, Ulli erzählt von den Lachsen in Alaska, Mirjana von Marmoratas und Huchen, ich von den White Trouts in Irland. Und immer wieder seufzt einer von uns: „Was für ein Tag! Ich glaub es einfach nicht!“

Drei glückliche Fliegenfischer bei der Pause

Im Regen

Doch dann wird es nichts mit Abendsprung und Altherrenstrecke. Als wir zu den Autos kommen, wirft Mirjana einen Blick in den Himmel und fragt: „Sollten wir nicht besser die Jacken anziehen?“ „Ach was – wird schon gehen!“, antworten Ulli und ich. Nur meinen heiß geliebten Strohhut lasse ich im Kofferraum, zum Glück.
Höre auf die Frauen, lieber Fliegenfischer, cherchez la femme! Keine zehn Minuten später sind wir nass bis auf die Haut. An Fischen ist nicht mehr zu denken, denn ein Gewitter steht direkt über uns, während wir den Schutz niedriger Büsche suchen. Nutzt nichts. Es gießt wie aus Eimern. Und das Komische daran ist: Der Regen stört uns nicht. Dass wir keinen Abendsprung bekommen, stört uns auch nicht. Wir haben so viele sensationelle Fische gefangen, dass uns nun – ehrlich – ohnehin gar nichts mehr stören kann. 

Aber eine Entdeckung steht uns noch bevor, und das ist vielleicht sogar die beste des Tages; mit den Fischen hat sie allerdings sehr wenig zu tun.

Oben: Patsch nass und quietsch vergnügt (Foto: UB)

Wir haben einen langen Tag miteinander gefischt. Wirklich miteinander, nicht gegeneinander, ohne Neid und ohne Konkurrenz. Haben uns sehr viel voneinander erzählt und zugehört – auch bei Themen, die weitab vom Fischen lagen. Und dabei sind wir Freunde geworden.
Das ist es eigentlich, was ihn ausgemacht hat und weiter ausmachen wird in unserer Erinnerung – den perfekten Tag an der Oberen Möhne, den wir am 25. Juni 2006 verbringen durften. 

Frank Möbus

© für den Text: Frank Möbus
© für die Fotos: Ulli Bussmann (UB) und Frank Möbus (FM)


zurück zu "Deutschland" | zurück zur Übersicht "Reise & Report" | zurück zur Startseite