Kormoran-Erklärung des Fachausschusses AGR (August 2007): http://www.genres.de/CF/beirat-agr/informationen.cfm
Volltext des Fachprogrammes: http://www.genres.de/agr/nationales_fachprogramm/
Allgemein: http://www.genres.de/CF/beirat-agr/ | http://www.genres.de/
2007-09-05 | Titel : Kormoran-Erklärung des Fachausschusses Aquatische Genetische Ressourcen (AGR)
Der Fachausschuss AGR unterstützt die Umsetzung des nationalen Fachprogramms zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Aquatischen Genetischen Ressourcen. In seiner Kormoran-Erklärung macht er auf die Verluste der genetischen Ressourcen der Wildfischbestände durch den Kormoran aufmerksam. Der Fachausschuss setzt sich für ein europaweites Kormoranmanagement ein, das sowohl einem biologisch gesicherten Kormoranbestand als auch der Sicherung der biologischen Vielfalt der Fischbestände unserer natürlichen Gewässer Rechnung trägt. Die Erklärung wurde den Bundesministern Seehofer und Gabriel zugestellt.
Quelle/Source http://www.genres.de/CF/beirat-agr/pdf/Kormoran_Erklaerung_des_Fachausschusses_AGR.pdf
übermittelt von Hartmut Proksch
Fachausschuss
Aquatische genetische Ressourcen
August 2007
Kormorane
als Gefährdungsfaktor aquatischer genetischer Ressourcen
Der Kormoran (Phalacrocorax carbo) war um 1900 in deutschen Küstenbereichen noch relativ selten zu beobachten. Um diese einheimische Vogelart zu bewahren, wurde sie 1979 europaweit unter Schutz gestellt. Während es im Jahr 1980 erst 1 588 Brutvögel in der Bundesrepublik Deutschland gab, stieg ihre Zahl 15 Jahre später bereits auf 30 086 Brutvögel an. In den folgenden 10 Jahren erhöhte sich die Zahl nach den vorliegenden offiziellen Unterlagen immer weiter und erreichte im Jahr 2005 45 516 Brutvögel. Unter Berücksichtigung der für diese Art charakteristischen Vermehrungsrate muss heute mit weit mehr als 100 000 Kormoranen in Deutschland gerechnet werden. Europaweit wird die Zahl der Vögel, die einen großen Aktionsradius haben, auf etwa 2 Millionen geschätzt.
Diese enorme
Bestandszunahme, die u. a. auf den Erlass der EU-Vogelschutzrichtlinie
(79/409/EWG) im Jahr 1979 zurückzuführen ist, hatte auch eine
erhebliche Ausdehnung des
Verbreitungsgebietes
im Binnenland zur Folge. Die obligatorisch fischfressenden Vögel,
die kaum natürliche Feinde (z. B. Seeadler) haben, tauchen inzwischen
auch an Gewässern in
Gebieten auf,
in denen sie früher nicht vorkamen. So gab es 1980 in Baden-Württemberg
noch keinen Brutbestand, in Bayern betrug die Zahl der Brutpaare im gleichen
Jahr lediglich
7. Im Jahr
2005 wurden in Baden-Württemberg 371 Brutpaare registriert, in Bayern
sogar 544. Ähnliche Entwicklungen haben auch in anderen küstenfernen
Bundesländern und außerhalb der deutschen Grenzen stattgefunden.
Zunehmend betroffen sind Fließgewässer in Mittelgebirgsregionen
mit den in ihnen lebenden Fischarten. Durch Einfälle von Kormoranschwärmen
in Bäche und Flüsse insbesondere in den Wintermonaten, in denen
stehende Gewässer eine Eisbedeckung aufweisen, ist es vielerorts zu
erheblichen Verlusten an der Fischfauna gekommen.
Im vergangenen
Jahrhundert lagen die Hauptgefährdungsursachen für viele Fischarten
in den Binnengewässern vor allem in der Einleitung von Nähr-
und Schadstoffen in die Gewässer
sowie in der
Veränderung der natürlichen Gewässermorphologie und der
Abflussverhältnisse durch wasserbauliche Eingriffe. Eine Reihe von
Arten oder Lokalvarietäten, wie z. B. der
Atlantische
Stör oder der Deutsche Lachs, sind im Ergebnis ausgestorben. Andere
Bestände gerieten in massive Bedrängnis. Verstärkte Bemühungen
zur Wasserreinhaltung und
Renaturierung
von Gewässern eröffneten in der jüngeren Vergangenheit verbesserte
Perspektiven für die Stabilisierung solcher Bestände und die
Wiederbesiedlung ehemaliger Lebensräume. Insbesondere lokale Populationen
von Bachforellen, Äschen, Barben oder auch Quappen konnten sich dadurch
wieder ausbreiten.
In krassem Gegensatz zu dieser allgemeinen Entwicklung steht nach den inzwischen vorliegenden Untersuchungen außer Zweifel, dass die Fischfauna vor allem in kleineren Fließgewässern durch den Kormoran bestandsgefährdend reduziert werden kann (1). Wie die Erfahrungen zeigen, sind die Fische auch in naturbelassenen Gewässerstrecken mit dichtem Uferholz nicht vor dem Kormoranfraß geschützt. Gewässerstruktur, Wassertiefe oder Gewässerbreite sowie die Nähe zum Menschen haben in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung.
Besonders leicht werden Äschen, Bachforellen und Barben vom Kormoran erbeutet. Sorgfältige Untersuchungen an Ulster, Schleuse, Werra, Ilm und Saale in Thüringen haben deutlich gemacht, dass bestimmte Fischarten durch den Kormoranfraß so stark beeinträchtigt werden können, dass der Fortbestand einzelner Populationen mit ihrem spezifischen genetischen Potenzial akut gefährdet ist (2, 3). Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Sachsen-Anhalt gemacht. An einer Reihe von Mittelgebirgsflüssen in Nordrhein-Westfalen, wie z. B. Lippe, Ruhr und Wupper, haben parallel zur rasanten Zunahme der Kormorane insbesondere die Äschenbestände starke Einbrüche zu verzeichnen (4). Aus Österreich liegen ebenfalls sehr ernst zu nehmende Feststellungen über schwere Verluste vor allem an Äschenbeständen durch den Kormoran vor (5). Im baden-württembergischen Restrhein konnten Äschen und Bachforellen nur noch in Einzelexemplaren gefangen werden. Von den vorzugsweise im freien Hauptstrom lebenden Arten Nase und Barbe fehlen die für die Reproduktion wichtigen Altersklassen weitgehend oder vollständig. Mit einer solch deutlichen Reduzierung der Bestandsgrößen geht zwangläufig ein Rückgang an genetischer Diversität einher (6).
Fischbestände in größeren Fließgewässern und Seen werden durch Kormorane ebenfalls teilweise deutlich reduziert. Der Bestand des Europäischen Aals weist seit einer Reihe von Jahren aus verschiedenen Gründen einen schwerwiegenden Rückgang auf. Dies hat die EU-Kommission inzwischen zu Gegenmaßnahmen veranlasst, um die Art erhalten zu können. Durch intensive Erhebungen in den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass zusätzlich zu anderen Faktoren auch die Zunahme der Zahl der Kormorane einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des Aalbestandes leistet (7).
Die durch den
Kormoranfraß verursachten starken Fischverluste können den kompletten
Bestand einer Art vernichten oder aber Populationen soweit schädigen,
dass eine genetische Erosion entsteht, die deren Überlebensfähigkeit
gefährdet. Die reduzierten Bestandszahlen veranlassen in wachsendem
Maße Anglervereine dazu, Fische aus anderen, teilweise weit
entfernten
Regionen (auch Ausland) zu kaufen, um die Fischpopulationen der heimischen
Gewässer durch Besatz zu ersetzen. Hierdurch besteht die Gefahr, dass
die heimischen, genetisch lokal angepassten Fischpopulationen verfälscht
werden oder sogar verloren gehen. Auch ist unklar, ob die eingesetzten
Fische das genetische Potenzial haben, um auf Dauer sich selbst reproduzierende
Populationen zu bilden. Weiterhin muss bei Besatz in vielen Fällen
mit der Einschleppung von Krankheitserregern gerechnet werden.
In Hinblick
auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist es zu begrüßen,
dass der Kormoran heute nicht mehr als gefährdete Vogelart angesehen
wird und daher schon im Jahr 1997 aus
Anhang I der
EU-Vogelschutzrichtlinie gestrichen werden konnte. Allerdings ist der Kormoran
zum Kulturfolger geworden und hat sich mit einem stark angewachsenen Bestand
in einem weit über das historische Ausbreitungsgebiet hinausgehenden
Maß etabliert. In Anbetracht der Probleme, die der Kormoran für
die Erhaltung der Fischfauna vieler heimischer Gewässer aufwirft,
sieht es der Fachausschuss AGR als dringend notwendig an, Maßnahmen
für ein europaweites Kormoranmanagement einzuleiten. Diese Maßnahmen
sollen das Ziel haben, unter Beibehaltung eines biologisch gesicherten
Kormoranbestandes Verluste an Genressourcen in der Fischfauna zu verhindern.
Der Fachausschuss AGR betont nachdrücklich die Verpflichtung, die
genetische Diversität von Fischarten in unseren Gewässern zu
erhalten und zu sichern, um letztlich auch die Zielstellungen der FFH-
und EU-Wasserrahmenrichtlinie erreichen zu können.
Literatur
(1) GUTHÖRL,
M. (2006): Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) auf Fischbestände
und aquatische
Ökosysteme - Fakten, Konflikte und Perspektiven für kulturlandschaftsgerechte Wildhaltung. Wildlife
Weltweit, Rolbing, Frankreich, 251 S.
(2) GÖRLACH, J. und MÜLLER, R. (2005): Die Bestandssituation der Äsche (Thymallus thymallus) in Thüringen.
Arb. Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 59-81.
(3) GÖRNER, M. (2006): Der Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) und weiterer piscivorer Vögel auf
die Fischfauna von Fließgewässern in Mitteleuropa. Artenschutzreport 19: 72-88.
(4) CONRAD, B., KLINGER, H., SCHULZE-WIEHENBRAUCK, M. und STANG, C. (2002): Kormoran und Äsche - ein
Artenschutzproblem. LÖBF-Mitt. 27(1): 46-54.
(5) KOHL, F. (2005): Kormoranschäden an Forellen- und Äschengewässern - Beispiele aus Österreich. Arb.
Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 99-130.
(6) BLASEL, K. (2004): Einfluss der Kormoranprädation auf den Fischbestand im Restrhein. Studie im Auftrag
des Regierungspräsidiums Freiburg, 38 S.
(7) BRÄMICK, U. und FLADUNG, E. (2005): Quantifizierung der Auswirkungen des Kormorans auf die Seen- und
Flussfischerei Brandenburgs am Beispiel des Aals. Arb. Dtsch. Fischerei-Verb. 82: 82-98.
***