Halbinsel Kola - Fliegenfischen „russian style“
Teil 1 - Die Tundra: Auf der Yokanga in Richtung Eismeer.
Ein Reisebericht von Clemens Ratschan

Kola – was für die meisten nur nach einem Softdrink klingt, ist für Insider ein heißer Tip: Völlig unberührte Naturlandschaft soll’s auf dieser Halbinsel im äußersten Nordwesten Russlands geben, tolle Fischbestände und grandioses Wildwasser. Das Gebiet um die Stadt Murmansk nördlich von Finnland und östlich von Norwegen war bis zur Wende militärisches Sperrgebiet und für Ausländer nicht zugänglich. Doch das ist gleichzeitig ein Grund für die Bewahrung der einzigartigen Natur hier: Während in einigen Bergbaugebieten und Militäranlagen riesige Flächen zerstört, vergiftet und radioaktiv verstrahlt wurden, ist der gesamte östliche Teil der Halbinsel de facto unerschlossen. Darum nicht verwunderlich, dass man in diesem letzten Hinterhof Europas die heute weltgrößten Bestände des Altantischen Lachses findet. Einer Art, welche ursprünglich in fast alle Flüsse entlang der europäischen Atlantikküste massenhaft zum Laichen aufstieg – von Portugal bis zum Ural!

Trotzdem ist auch in Fischerkreisen kaum bekannt: Auf Kola sind mit etwas Organisationstalent und Pioniergeist auch erschwingliche float trips auf eigene Faust möglich, die solchen in Alaska oder Kanada um nichts nachstehen. Im Gegenteil. Peter und ich haben diesen Weg eingeschlagen und sind Ende Juni 2006 für vier Wochen nach Russland gestartet. Anreise kostengünstig und Umwelt schonend mit dem Zug, 24 Stunden von St. Petersburg Richtung Nord. Ein Grabner Schlauchboot im Gepäck.



Mit Ausnahme der Hauptverkehrsachse von Karelien nach Murmansk und einiger kurzer Nebenstrassen gibt es auf Kola kaum Landverbindungen, daher nutzen wir für den Transport in die menschenleere Wildnis einen Versorgungsflug per Helikopter. Der lädt uns am Weg zu einer Lachsfischer-Lodge am Oberlauf der Rova ab – einem kleinen Fluss im Einzugsgebiet der Yokanga. Wir haben vor, diese beiden Flüsse in den nächsten zwei Wochen bis zum oberen der beiden Fischercamps an der Yokanga zu befahren. Der unmittelbare Unterlauf ist militärisches Sperrgebiet – hier ist sogar Russen der Zutritt verwehrt, sodass eine Befahrung bis zum Eismeer leider nicht in Frage kommt. 

Gewässersystem der Halbinsel Kola und befahrene Flüsse (blau). Verändert aus: Lindgren (2002)

Grotesk wirkt die Situation schon, als man den Mi-8 Helikopter randvoll mit etwas Lebensmitteln, vor allem aber bestem französischen Wein, deutschem Bier, Krimsekt und feinstem Whiskey für die exquisite Lodge belädt und wir uns mit Schlauchboot und Kartoffelsack dazwischen zwängen. Dort können betuchte Gäste aus Ländern, wo der Atlantiklachs an den Rand des Aussterbens gedrängt wurde, bei maximalem Luxus und minimaler Anstrengung für viele Tausend Dollar pro Woche die Fischerei auf diesen König der Fische genießen. Doch der Flug über die urige Landschaft mit tausenden Seen und unzähligen Flüssen vertreibt rasch kritische Gedanken und stimmt uns auf das Kommende ein. 

Je weiter wir von Lovozero, einem kleinen Ort inmitten der Halbinsel, Richtung Nordost fliegen, umso spärlicher wird die Vegetation. In den Tälern gibt es noch verkrüppelte Birkenwälder, die Hügel sind nur mehr mit baumloser Tundra, also Zwergsträuchern, Beeren und vor allem Rentierflechten überzogen. Was für eine endlose Wildnis!

Schließlich geht der Vogel runter, wir können „unseren“ Bach bereits erkennen. Der Copilot öffnet die Tür des Cockpits und fragt, ob das Rinnsal schon groß genug für eine Befahrung scheint - wir stimmen zu. Also Landung, rasch die Säcke mit Ausrüstung und Proviant rausgeworfen, und schon hebt der Heli wieder ab, um am Horizont zu verschwinden. Stille! Stille? Als sich unsere Ohren vom Lärm der Maschine erholen, erkennen wir, dass die vermeintliche Stille vom Summen tausender Plagegeister überlagert wird, welche uns mit blutrünstigem Surren und bereits ausgefahrenen Stacheln willkommen heißen. Damit hatten wir zwar gerechnet, aber nicht mit derartig rauen Mengen! Also rasch die Mückennetze und Handschuhe herausgekramt und ab in die Wathose, damit die Biester auch nicht mehr über die Hosenbeine ‘raufkrabbeln können!


Gelsenplage  - das Mückennetz wirkt auch 
als „Kaffeefilter“

Die Tundra bietet Gelsen paradiesische Verhältnisse. Nach der Schneeschmelze im kurzen Frühling bleiben auf dem dünnen, gefrorenen Boden überall seichte Lachen stehen, deren braunes Wasser sich in der hier – weit nördlich des Polarkreises – den ganzen Sommer nicht untergehenden Sonne aufheizt. Bereits nach wenigen Wochen entsteigen die fertigen Plagegeister, um sich auf Vögel, Elche oder Rentiere zu stürzen. Zweibeiner, welche sich vereinzelt hierher verirren, bieten da eine willkommene Abwechslung. Noch übler sind die Kriebelmücken, doch die können wir eher akzeptieren: Ihre Larven sind schließlich die wichtigsten Fischnährtiere in den kargen Tundrenflüssen. 

Die Rova, besonders aber die aus einem riesigen Seensystem entspringende Yokanga, hat über weite Strecken kaum Fließgefälle. Darum gilt es, täglich viele Kilometer zu rudern – teils gegen den Wind. Alle paar Kilometer erwarten uns dann Furten und überaus wilde Stromschnellen mit riesigen Steinblöcken. Doch hier werden wir fündig: Große Bachforellen stürzen sich gierig auf Trockenfliegen, Wooly Bugger und Rehhaarmäuse. Feiste Tiere, wunderschön gesprenkelt mit unzähligen dunklen Punkten auf goldbraunen Flanken. Doch allzu viele sind es nicht: Nach einem kurzen Fangsegen an fast jeder neu befischten Stelle lassen die Bisse rasch nach und werden auch am Folgetag nicht mehr – die ansässigen Forellen wissen bereits Bescheid. Mit einem Boot mobil unterwegs zu sein, scheint also die optimale Strategie.

an der Rova

Mitternachtssonne

wunderschön gefärbte Tundraforellen aus der Rova
mäandrierender Unterlauf der Rova


Mitternachtssonne am seichten Tundrensee „Kalmozero“


dicke Forellen aus Stromschnellen der Yokanga



anstrengendes Rudern auf den weiten, stagnierenden Abschnitten der Yokanga

Unvergesslich bleibt jener Tag an der Yokanga, als Peter bereits am Morgen eine Bachforelle mit drei Kilo aus der Tiefe lockt. Wir queren den riesigen Kolk nach der Stromschnelle bei unserem Lager mit dem Boot, um auch die andere Seite nach großen Bachforellen abzusuchen. Ein paar Würfe, Standplatzwechsel – Peter lässt den schwarzen Wooly Bugger Größe 6 schlaff in den Kolk hängen. Widerstand – die übliche „zuerst glaubte ich an einen Hänger“ - Anekdote möchte ich mir verkneifen. Zum Vorschein kommt ein wahres Hecht-Krokodil von 96 cm. Aus dem Schlund hängt noch der Schwanz einer Aalrutte, die sich mit der Arterienklemme rausziehen lässt. Sie misst 60 cm! In der folgenden halben Stunde überlisten wir in dem Hecht-Loch noch Exemplare von 90 und 101 cm, dazu ein paar „kleine“ um die 80. Beifang beim Forellenfischen mit 7er Rute!

Mitternachtssonne in der Tundra
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Strandläufer
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<= Peters 63cm Bachforelle
 
 
 
 
 
 
 

Unten: 

96 cm Hecht
und 
101 cm Hecht




Hechtsteaks und Kartoffel auf dem Grill
Fladenbrot

Doch unsere „Münchhausiade“ geht weiter. Am Abend geh ich noch an die Stromschnelle zum Forellenfischen, und hake prompt eine 51 cm lange Bachforelle. Tapfer kämpft sie zuerst in der Strömung und flüchtet dann stromab in ein kleines Pool in der Kaskade. Hier wird das Tänzeln der Forelle zu einem urgewaltigen Ziehen, ich halte etwas dagegen und sehe – ein riesiger Hecht ist zum Abendmahl auf die Furt gekommen, um sich ein paar Forellen zu gönnen. Meine 51er kam da gerade recht. Nach kurzer Zeit lässt er los, um das arme Tier noch ein zweites Mal zu attackieren. Voll Todesangst flüchtet sie mit letzter Kraft wieder über den Katarakt zu ihrem Einstand, um sich total erschöpft landen zu lassen. Jetzt möchte ich’s aber wissen. Schnell zum Zelt, die Lachsrute montiert, großen Streamer drauf, schon stehe ich wieder am Pool. Schon beim zweiten Wurf greift der Räuber an – Fotos des 104 cm Monsters und der attackierten Forelle siehe unten. Der Portionshecht, der zum Abendmahl verspeist wird, lüftet das Geheimnis der großen Hechte so hoch im Norden etwas: In seinem Magen finde ich eine halb verdaute Renke – wie aus den heimischen Voralpenseen bekannt, fettes Kraftfutter für Hechte.

die vom Hecht attackierte 51er Forelle
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der gierige 104 cm Hecht

Unvergesslich bleibt mir auch die Sternstunde, in der ich beim Auslauf des Rechnoye-Sees mit einer winzigen Fasanschwanz-Nymphe Fisch auf Fisch fange. Bachforellen und vor allem Renken stehen hier Schlange, um die massenhaft vorkommenden Kriebelmückenlarven einzusaugen. Jeder dritte Wurf provozierte einen Biß und dann heißt es jedem Nehmer in einem halsbrecherischen Galopp bis zum Pool folgen, ihn ausdrillen und wieder in Wurfposition ‘raufklettern. Wurf, Biß und wieder von vorne.

In einer guten Stunde fange ich hier fünf herrliche Bachforellen, davon drei über einen halben Meter ... und dazu die vielen Renken ... Träumte ich? Doch die Mückenbisse besagen mir: Es war wahr! Und die beiden am Lagerfeuer gegarten Renken schmecken köstlich.


wunderbare Fischerei im Ausrinn des Rechnoye Sees


Seeausrinn in der Mitternachtssonne

feiste Yokanga-Renke

Damit sind wir dem Fisch-Rätsel der Yokanga schon etwas näher gekommen. In den Stromschnellen stehen Bachforellen, seitlich gigantische Elritzenschwärme, die sich an Myriaden Kriebelmücken und deren Larven mästen. Die tiefen Kolke sowie die weiten, mäßig strömenden Uferzonen sind das Reich der Hechte und wohl auch der Aalrutten, Renken durchkreuzen das Freiwasser. Doch wo befinden sich die Liegeplätze der Lachse, und wie weit ziehen sie vom Eismeer herauf?

Als Peter eine Allys Shrimp durch den anschließenden Pool furchen lässt, fängt er ebenfalls Bachforellen, auch Hechte und – er traut seinen Augen kaum – einen Buckellachs (Foto rechts). Ursprünglich im Pazifik von Washington und Korea bis zur Lenamündung in Sibirien verbreitet, hatten russische Fischereibiologen die fragwürdige Idee, die Art aus fischerei- wirtschaftlichem Interesse auch in Kola anzusiedeln. Mit unsicheren Konsequenzen für die ökologischen Zusammenhänge und heimischen Fischarten. In den Jahren 1956 bis 1978 wurden Millionen Eier von Sachalin im Fernen Osten auf die Kola Halbinsel verfrachtet. Das Experiment ist glücklicherweise gescheitert – nur ein minimaler Bestand konnte sich etablieren. Ob das in Zukunft so bleiben muss, ist allerdings ungewiss. Dieser vergleichs- weise anspruchslose Pazifiklachs streunt gern zwischen verschiedenen Flüssen und wurde nach der Einbürgerung vereinzelt bis Schottland und Island nachgewiesen, und er wird des öfteren auch heute noch in Norwegen gefangen.

Lachsfischerei ohne Erfolg – Wurf und Swing


Doch die Hoffnung auf den ersten „wirklichen“ Lachs wird durch diesen ersten Boten vom Eismeer weiter angeheizt. Noch zwei Bootstage über wilde Stromschnellen mit vielen Unterbrechungen zum Fischen sollten folgen, bis meine Green Highlander Tubenfliege ruckartig in einem pool neck stehen bleibt. Schon kann ich erkennen, dass sich am anderen Ende der Flugschnur kein Hecht, keine Bachforelle, sondern ein beachtlicher Silberbarren dreht! Hier – noch etwa 100 km vom Eismeer entfernt – lande ich schließlich einen silberblanken, etwa 7 kg schweren Lachs, der den weiten Weg wohl in wenigen Tagen geschafft hat. Auf Kopf und Schwanzstiel sitzen noch Meerläuse, welche im Süßwasser rasch abfallen! Die Schönheit des Fisches macht uns sprachlos, der Fang meines ersten Atlantischen Lachses – in menschenleerer Naturlandschaft, ohne den an Lachsgewässern üblichen Trubel – sollte eines der intensivsten Erlebnisse im bisherigen Fischerleben werden. 
mein erster Lachs (83 cm)

Details des blitzblanken Schönlings
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Denn eins ist besonders bemerkenswert: Während der gesamten zwei Wochen, die wir hier in der Tundra verbringen, treffen wir keine einzelne Menschenseele. Niemand, nikto, no-one. Wir stoßen lediglich auf ein verlassenes Lager von Samen – beeindruckend, Einblicke in das Leben dieser von der Rentierzucht lebenden Urbevölkerung zu gewinnen.

Eindrücke aus dem Sami-Lager


Am Tag nach diesem erfreulichen Vorfall können wir auf Green Highlander und Sunray Shadow Tubes noch drei weitere Lachse überlisten. Dann setzt eine stürmische und regnerische Nordströmung ein, die das Thermometer fallen und das Zelt flattern lässt. Die Wassertemperatur stürzt von etwa 19 auf 11 Grad, was den Lachsen die Beißlust raubt - die Yokanga wirkt wie ausgestorben.

Peter mit schönem 81 cm Lachs

Erst am letzten Tag unserer Tour ist mir beim Fischen in der Suchaja, dem größten Zubringer unweit des Eismeeres, das Glück noch einmal hold: Ein starker Lachs nimmt die Willie Gunn Tube im Rinner direkt vor einer langen Stromschnelle. Ich muss dem wiederholt springenden Großlachs über Stock und Stein folgen und kann den Milchner mit 102 cm wirklich landen. Ein Urviech von Lachs, nicht mehr blank, aber dick und vital. Der krönende Abschluss, und Tagesgespräch im Fischercamp, wo wir herzlich empfangen werden.

Yokanga-Stromschnellen


Norwegische Fischergäste 
im Lachscamp

mein wuchtiger 102 cm Lachsmilchner

Als aufschlussreich entpuppt sich der Erfahrungsaustausch mit den anwesenden norwegischen Fischergästen. Auch sie bestätigen: Mit Einsetzen der Nordströmung blieben die Bisse aus. Auch sie fingen fast ausnahmslos in den pool necks, trotz der anfangs hohen Wassertemperatur auf große Conehead Tuben in grünen, braunen und roten Farbtönen. Und am besten bei gleißendem Mittagslicht … russische Lachse lesen wohl keine Lehrbücher. Die Norweger sind unzufrieden: sie konnten zu siebt in einer Woche 40 Lachse landen, hätten sich aber mehr erwartet. Unser Mitleid hält sich in Grenzen. Wir versuchen, die Annehmlich- keiten in dieser Oase der Zivilisation einerseits zu genießen, andererseits mit dem komplizierten Leben hier fertig zu werden. Dusche, Bier samt Getränkeliste, Sauna, Abendmenü, Uhrzeit, Frischobst, Gespräche mit anderen Leuten - nach zwei Wochen Wildnis nicht mehr selbstverständlich bis verwirrend.

Der Rückflug eineinhalb Stunden über die Tundra sollte zu einem weiteren Highlight werden. Wie auch unsere zweite Tour auf Kola, auf dem Umba-Fluss im Süden. Doch darüber im nächsten Teil ….

der gute alte MI-8

Blick auf das Camp an der Mündung der Suchaja in die Yokanga

Blick auf die Suchaja

endlose Tundra

Fortsetzung folgt

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Ein Bericht von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - Juli 2010.
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