Schweden: Girjas Sami Dorfgemeinschaft gewann vor Obersten Gerichtshof Streit um Jagd- und Fischerei Lizenzen. Ein Urteil und seine Auswirkungen.
Nicht nur die magische Zeit der Mitternachtssonne in Schwedisch Lappland zieht jedes Jahr auch zahlreiche Angel- und Jagdtouristen in den hohen Norden. Jetzt dürfen die Samen in einem großen Gebiet die Ausgabe von Angel- und Jagdlizenzen selbst managen (Foto © M.Müller)
Im Januar 2020 gewann die Girjas Sami Dorfgemeinschaft einen Fall vor dem Obersten Gerichtshof Schwedens erfolgreich, dessen Auswirkungen auch Angel- und Jagd-Touristen nun zu spüren bekommen. Das als historisch zu bewertende Urteil des schwedischen Obersten Gerichtshofs verleiht Girjas Sami Village nun das exklusive Recht, Lizenzen für die Jagd und Fischereiausübung in seinem Verwaltungsgebiet selbst auszustellen. Das Dorf braucht nicht mehr die Zustimmung des Staates und dieser musste das gesamte, rund 3500 Quadratkilometer große Gebiet aus den staatlichen Angel- und Jagdgebieten entfernen.

Das Girjas Sami Dorf liegt in Gällivare, Nordschweden & Lappland. Seit mehr als einem Jahrzehnt befindet sich die kleine Gemeinde in einem Gerichtsstreit mit dem schwedischen Staat. Der Kern der Angelegenheit war die Frage, wer die Jagd- und Fischereirechte in seinem Landbewirtschaftungsgebiet verwalten darf; die samische Rentierzuchtgemeinschaft oder der schwedische Staat. 
Der schwedische Oberste Gerichtshof entschied am Donnerstag, den 23. Januar 2020, dass das Dorf Girjas Sami die ausschließlichen Rechte besitzt, um zu entscheiden, wer in seinem Landbewirtschaftungsgebiet jagen und fischen darf. Mit anderen Worten, der Staat darf keine Lizenzen mehr für diesen Bereich ausstellen. Laut einer Pressemitteilung des schwedischen Obersten Gerichtshofs entschied der Gerichtshof, dass nicht das Rentierzuchtgesetz dem Dorf das Recht gibt, die Jagd und Fischerei in dem Gebiet zu erlauben oder zu verbieten, in dem es seine Rentierzucht betrieben hat. Das samische Dorf hat jedoch das alleinige Recht, die Jagd und Fischerei in dem Gebiet aufgrund der historischen Umstände, die für das Gebiet gelten, zu erlauben bzw. zu verbieten; aufgrund inhärenter Bräuche oder geerbter Rechte. 

Bereits im Vorfeld war klar, dass es von verschiedenen Seiten aus massives Interesse an der Entscheidung des Gerichts geben wird, da die Bedeutung dieses Urteils und des Prozesses und dessen Folgen groß sind. Die schwedische Regierung und Politik tat sich in der Vergangenheit schwierig, sich mit samischen Fragen und insbesondere mit Jagd- und Fischereifragen ernsthaft zu beschäftigen. Deshalb wurde von den Klägern beschlossen, diese Fragen in einem rechtlichen Verfahren zu klären, um die rechtlichen Grundlagen zu klären.

Nach dem Urteil stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Urteil des schwedischen Obersten Gerichtshofs in anderen Teilen von Sápmi haben wird. Sápmi ist das traditionelle Wort für die samische Nation, die sich über nördliche Teile Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands erstreckt. Natürlich wurde das jetzige Urteil nebst Regelungen national nur für das Dorf Girjas Sami im schwedischen Teil von Sápmi und dessen Gebiet innerhalb der Landverwaltungsgrenzen in Schweden gesprochen. Denn obwohl sich Sápmi über vier Länder erstreckt, war es ein Verfahren vor einem schwedischen Gericht, welches nicht automatisch auf andere Länder angewendet werden kann. 
Allerdings betrifft die Sachlage im Grunde die gesamte samische Nation, auch über die Ländergrenzen hinweg. Die Zeichen wurden dort aufgenommen und deshalb ist davon auszugehen, dass sich über kurz oder lang weitere Samen-Gemeinschaften vor die hohen Gerichte ihrer Länder begeben werden, um ähnliche Urteile zu erwirken. Über den norwegischen Sender NRK ließen Experten bereits verlauten: „…dass dies ein bahnbrechendes und historisches Urteil ist und dass der Fall auch Auswirkungen auf norwegische Gerichtsentscheidungen haben könnte. Inhärente Rechte könnten in einem Nachbarland wie Norwegen von Bedeutung sein, da die Samen ein Volk sind, das in vier Ländern lebt und gleichzeitig inhärente Bräuche und Rechtstraditionen teilt.“

Infolge des Urteils kann der Staat die Fischerei- und Jagdgenehmigungen nicht mehr über Länsstyrelserna (lokale Kreisverwaltungsräte) verteilen. Nach einer Mitteilung von Länsstyrelsen för Norrbotten Area wurden alle Verkäufe von Fischerei- und Jagdrechten für 2020 und Folgejahre storniert. Eine einmalige Ausnahme gab es nur für Inhaber bereits gekaufter "Gemeindekarten" (Karten, die die Jagd in der gesamten Gemeinde ermöglichen), so dass diese bis zum 30. Juni 2020 weiterhin verwendet werden konnten.

Die Auswirkungen der Umsetzung des Urteils ließen nicht lange auf sich warten. Einer der Kernpunkte der jahrzehntelangen Streitigkeiten war, die ohnehin schon durch Strom,- Straßen- und Bahntrassen sowie Stauseen mit Energiegewinnungsanlagen und Minen-Anlagen arg zusammengeschrumpften Rentierweidegebiete zu schützen, u.a. vor der stetig steigenden Zahl von Freizeitjägern. Vorher konnten diese mit der staatlichen Lizenz jahreszeitlich nur in gewissem Maße beschränkt große Gebiete durchstreifen, um zu jagen. Im Winter kam die übermäßige Benutzung von Schnee-Scootern hinzu, was die Rentiere (und andere Wildtiere) zusätzlich störend belastete. Damit ist jetzt Schluss, denn durch das exklusive Recht, Lizenzen für die Jagd und Fischerei in ihrem Verwaltungsgebiet nun selbst auszustellen, erhielten die Samen die uneingeschränkte Möglichkeit, die Anzahl der Jäger, die (eingeschränkten) Jagdzeiten und die erlaubten Jagdgebiete selbst festzulegen. Dies nimmt vielen der ansässigen Jäger (nur Locals können eine Lizenz erhalten) einen Großteil ihrer oft jahrzehntelangen angestammten Jagdreviere, was diese natürlich wütend macht. Entsprechende Fernsehsendungen, die beide Interessen beleuchten, wurden bereits ausgestrahlt (z.B. bei Arte: "Jagd am Polarkreis | Die Samen gegen den schwedischen Staat", siehe unten).

In der Angelfischerei verhält es sich ähnlich, wenngleich auch nicht ganz so "verhärtet" wie bei den Jägern. Schon jetzt sind allerdings knapp die Hälfte der früher in der staatlichen Lizenz enthaltenen Angelgewässer zwischen Gällivare und Kiruna für schwedische Urlauber aus anderen Gebieten und Touristen nicht mehr zugänglich, da nur Einwohner vor Norrbotten eine Lizenz erwerben können.
Hier hängen auch zahlreiche Beherbergungsbetriebe, Angel- und Jagdführer und Transportunternehmen wie die in der Region ansässigen Helikopterstationen dran, deren Möglichkeiten, Gäste zum Jagen oder Fischen in die Wildnis zu bringen, nun bereits sehr beschnitten wurden. Die Stimmung ist entsprechend angespannt, nicht nur bei der schwedischen Bevölkerung, denn es geht auch um den Arbeitsmarkt, denn in all diesen Unternehmen arbeiten neben Schweden oft auch samische Mitarbeiter.
Welche aus unserer Sicht enormen Dimensionen das betroffene Gebiet hat, zeigen die nachfolgenden Grafiken.


Bild-Quelle: Foto TT aus dem Norden (https://lararskapande.wordpress.com/2020/01/26/funderingar-kring-girjasmalet/)
Auf NatureIT, der bekannten Online-Plattform zum Vertrieb von Angel- und Jagdlizenzen finden wir zum Thema folgendes: "Wir begrüßen Girjas Sami Dorf als Benutzer von NatureIT. Nur Einwohner von Norrbotten County können Angelscheine kaufen. Girjas hat beschlossen, die allgemeinen Jagd- und Fischereiregeln des Bezirksverwaltungsrats mit einigen Änderungen zu befolgen. Vorerst gelten die gleichen Preise. Auf der anderen Seite müssen im Gegensatz zur Provinzialregierung in Norrbotten, aber genauso wie in Västerbotten und Jämtland, Jahreskarten vor dem Fischfang aktiviert werden. D.h. der Ort und das Datum müssen ausgewählt worden sein, damit der Angelschein gültig ist. Das Dorf Girjas Sami hat sich entschieden, die gleiche Gebietsklassifizierung für Jagd und Fischerei zu verwenden. Girjas möchte auch, dass die Ergebnisse für jeden Tag gemeldet werden, auch wenn es nicht so gut gelaufen ist oder wenn der Jagd- oder Angelausflug abgesagt wurde." (Link).
Girjas Sameby (Angel-)Gebiet: siehe den blau umrandeten Teil in der Bildmitte. Quelle: https://natureit.se/sv/area/girjas-sameby?language=sv
Wir bereisen diese wunderbare Region nun schon seit mehreren Jahrzehnten und haben auch Freunde dort. Vor Ort entgehen dem aufmerksamen Besucher weder die einschneidenden Veränderungen, noch die Stimmung und die Argumente der verschiedenen Parteien. Ganz bewusst enthalten wir uns mit einem Urteil, denn jede Seite liefert neben der oft üblichen "Verbissenheit" auch einleuchtende Argumente. Es bleibt zu hoffen, dass man vor Ort diesen Konflikt friedlich und vernünftig lösen wird, so dass alle damit leben können und auch Gäste wie wir dieses schöne Land weiterhin fliegenfischend bereisen dürfen.
Weiter unten kommt ein Film-Hinweis, außerdem haben wir zahlreiche Links gesammelt, welche die komplexe Thematik weiter verdeutlichen:

Film zur Thematik:

Ylva Sarri vor ihrem Haus in Nikkaluokta in der Sami-Gemeinde Girjas
(Bild: ZDF / © Kobalt)

Jagd am Polarkreis | Die Samen gegen den schwedischen Staat
Sendung vom 02/11/2020, 32 min, Folge 610 (hier Klicken)
In Schweden hat der Oberste Gerichtshof in einem Urteil dem indigenen Volk der Samen die alleinige Vergabe der Jagdrechte für Kleinwild und Fisch zugesprochen. Für die Samen ein historisch bedeutender Moment, für die schwedischen Jäger ein Ärgernis. Es droht die Eskalation eines langen schwelenden Konfliktes: Wem gehört das Land der Rentiere? Das Argument der Samen-Gemeinde Girjas, das letztlich auch den Obersten Gerichtshof überzeugte: Seit Tausenden von Jahren hätten sie hier gejagt, gefischt und das Land als Weideland für ihre Rentiere genutzt. Bis der schwedische Staat kam und ihnen - aus ihrer Sicht - immer mehr Land und damit ihre Lebensgrundlage nahm. Zwischen 20.000 und 40.000 Menschen gehören der Gruppe der Samen in Schweden an. Rund 4.700 von ihnen sind Rentierbesitzer, wie die Familie von Ylva Sarri. Sie begrüßt das Urteil, denn die schwedischen Jäger würden mit ihren Hunden die Rentiere ängstigen und die Arbeit der Samen behindern. Regelmäßig fangen die Halter ihre Tiere ein, um sie zu schlachten und Fleisch und Fell zu verkaufen. Joachim Almgren ist einer von über 300.000 schwedischen Jägern im Land, der nun bangt, mit seinen Hunden in Zukunft nur noch eingeschränkt jagen zu können. Jagd und Fischfang sind bei den Schweden beliebte Freizeitaktivitäten, auf die sie ungern verzichten würden. Was, wenn andere Samen-Gemeinden dem Vorbild von Girjas Sameby folgen und vor Gericht ziehen, um die alleinige Vergabe der Jagdrechte zu erstreiten? Welches ist das höhere Gut: das Wohl der Rentiere oder das Jagdrecht der Schweden?
(Alternativ-Link auf ZDF: (hier Klicken)
 

Weiterführende Linksammlung und Quellenangaben:
Girjas Rentierhirtengemeinschaft gegen Schweden: Analyse der Vorzüge des Falls Girjas
Christina Allard, Technische Universität Luleå, Schweden, Malin Brännström
Arctic Review on Law and Politics, Bd. 12, 2021, S. 56–79, Silvermuseet/The Institute for Arctic Landscape Research (INSARC) und Umeå University, Department of Law, Schweden: (hier Klicken)

Domstol.se: Vollständiger Text des Urteils (auf Schwedisch): (hier Klicken)

GIRJAS SAMI VILLAGE GEGEN DEN SCHWEDISCHEN STAAT - DURCHBRUCH FÜR INDIGENE VÖLKER
Erschienen in der gedruckten Ausgabe der Baltic Worlds BW 2021:1-2, S. 4-11
Erschienen am Balticworlds.Com am 21. April 2021. (hier Klicken)

Schweden: Oberster Gerichtshof erkennt das ausschließliche Recht der samischen indigenen Gruppe an, Jagd- und Fischereirechte im samischen Gebiet zu verleihen. Quelle: Library of Congress, (hier Klicken)

Tagesanzeiger.ch: Einen Tag später kam der Hass. Nach einem wegweisenden Urteil kann ein Teil der Samen nun bestimmen, wer auf ihrem Gebiet jagen darf. Seitdem werden sie angefeindet – und liegen Rentierkadaver in Abfallsäcken. (hier Klicken)

Wildundhund.de: Schweden: Samen erhalten Jagdrechte (hier Klicken)

TAZ.de: Epochaler Sieg für Samen. Schwedens oberster Gerichtshof gibt Indigenen Rechte zurück. Das könnte weitreichende Auswirkungen auf Landnutzung haben. (hier Klicken)

Ofelas.se: Karte aller samischen Gemeinden (PDF): (hier Klicken)

SFR.ch: Grundsatzurteil zu Samen «Es legt den Finger auf eine Wunde der schwedischen Demokratie» (hier Klicken)

Deutschlandfunk.de: Urteil mit FolgenAnfeindungen gegen Samen in Schweden: (hier Klicken)

Fishing Rules and Permits -Gällivare Municipality 2022 - mit Ausweisung Girjas Gebiet (PDF mit bereits ausgeschwärzten Girjas-Gebieten): (hier Klicken)

Girjas Sami Dorf bei NatureIT (Online Erwerb von Angel- und Jagdlizenzen): (hier Klicken)

Girjas Sameby bei Wikipedia: (hier Klicken)

Sápmi bei Wikípedia: (hier Klicken)

Diskussion zum Thema "Schweden: Landrechte und deren Auswirkungen" im FF-Board: (hier Klicken)
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