Gerätebesprechung Einhand-Fliegenruten: arcticsilver Zense - #8 - 9´Fast - 18-20g - 4-tlg. |
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Alle
namhaften Hersteller sind bemüht, ihre Rutenmodelle ständig weiter
zu entwickeln. Es kommen neue Materialien zum Einsatz, Herstellungstechnologien
werden verfeinert und die Optik wird den neuesten Trends angepasst. Altes
verschwindet, erfolgversprechende Neuerungen setzen sich durch – genau
wie in
Darwins Evolutionstheorie. Nicht jede Weiterentwicklung hat dann aber tatsächlich eine spürbare Verbesserung der Gebrauchs- und Wurfeigenschaften zur Folge. Oftmals erkennt man diese nur am Preis… Im Gegensatz dazu hat im nicht allzu fernen Norwegen, vom Kontinent relativ unbemerkt, eine echte Revolution stattgefunden: Dort hat man das „Prinzip Fliegenrute“ völlig neu durchdacht und uminterpretiert. Dabei ist ein Gerät herausgekommen, das im Hinblick auf die Wurfeigenschaften völlig neue Maßstäbe setzt. Doch dazu später mehr. Zum ersten Kontakt mit der Rute und dem Team von ArcticSilver war es bei dem RISE Fly Fishing Film Festival im Februar diesen Jahres in Erfurt gekommen. Der erste optische Eindruck von dem neuartigen Teil: „Irritierend“ (vorsichtig ausgedrückt)! Aber die Leute waren offensichtlich von ihrem Produkt total überzeugt und berichteten abenteuerlich anmutende Storys über sagenhaft weite Würfe bei geringstem Krafteinsatz. Ein Feldversuch war in der winterlichen Innenstadt nicht möglich. Also alles nur Promotion oder ist an dem Ding mit der Malerrolle als Griff doch etwas Besonderes dran? Es half nichts – ein Testgerät musste beschafft werden. Das war aber gar nicht so einfach, da die Norweger angeblich nicht mit der Produktion/Lieferung nachkamen. Also doch ein Geheimtipp? Zum Glück hatte „Der Angelsachse“ in Dölzig noch ein einziges (letztes) Exemplar #8, 9Ft auf Lager. Und dieses wurde dann über eine gesamte Fliegenfischersaison an den unterschiedlichsten Gewässern genau unter die Lupe genommen. |
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Doch
worin besteht nun die besondere Innovation? Im Gegensatz zur traditionellen
Fliegenrute, bei der der Blank fest im Griffstück sitzt, wird dieser
bei der Zense nur noch am unteren Ende des Griffes fixiert und kann so
über einen längeren Weg frei schwingen. Dadurch steht für
den Wurf ein wesentlich höheres Kraftpotential zur Verfügung.
ArcticSilver Innovation AS hat sich diese Neuerung weltweit als „Free-Flex
System“ für Fliegenruten patentieren lassen.
Um es vorwegzunehmen - die
Wurfeigenschaften sind tatsächlich phänomenal und der Backingknoten
sieht regelmäßig Sonnenlicht. Ob dies nun tatsächlich nur
an den knapp 20 cm mehr Wirkungslänge des Blanks liegt, ist anzuzweifeln.
Ein absolut pseudowissenschaftlicher physikalischer Erklärungsversuch
(!) könnte
Die neue Bauweise zieht aber
folgenschwere Konsequenzen nach sich. Das Griffstück muss nun hohl,
dabei aber möglichst dünnwandig sein. Dadurch war der Kork als
Material natürlich außen vor. Das aber ist für die traditionsbewusste
Fliegenfischergemeinde ein Sakrileg der schlimmsten Gattung! Es gab zwar
schon einige
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Am
Stausee von Eidi, Färöer
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Damit
nicht genug: ArcticSilver wagt nicht nur den Schritt zum Kunststoffgriff,
sondern gibt diesem auch noch eine völlig ungewohnte neue Form, was
einem weiteren Sakrileg nahe kommt. Tatsächlich ist es aber so, dass
genau dieser Wechsel nichts anderes als eine konsequente und kompromisslose
Umsetzung des neuen Rutenkonzeptes widerspiegelt. Passend zum laufenden
Bauhausjahr könnte man sagen „Form follows function“.
Das nächste Problem ist die Befestigung der Rolle. Die neue Griffform lässt die gewohnten Schraubverbindungen nicht mehr zu. Auch hier ist ArcticSilver ganz neue Wege gegangen und hat das so genannte „Quick-Lock-System“ (ebenfalls designgeschützt) entwickelt, bei dem ein Verriegelungssystem mit Druckfeder die Rolle fest in Position hält. Dabei wird der Rollenfuß einfach gegen ein Schrägstück gedrückt und rastet dann fest im Griff ein. Zum Lösen der Rolle reicht ein kurzer Schub gegen die Feder. Klingt einfach – ist es auch! |
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Zum
Einsetzen der Rolle wird der Rollenfuß gegen das Schrägstück
des Federmechanismus gedrückt.
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Zum
Lösen der Rolle den Rollenfuß in Richtung Spannfeder schieben.
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Diese
neuen Gene wurden einer kompletten Rutenserie in verschiedenen Gewichtsklassen,
Wurfcharakteristika und Längen eingepflanzt. Folgende Modelvarianten
sind dabei herausgekommen und im Fachhandel erhältlich:
- Medium #5 / 9 Ft
Passend zu diesen Ruten und exakt auf diese abgestimmt hat ArcticSilver auch ein umfangreiches Schnurprogramm entwickelt. Unter dem Namen „ArcticSilver Compact Micro Diameter fly lines“ sind Einhand-Flugschnüre mit einer kompakten kurzen Keule sowie geringem Durchmesser für besonders weite und präzise Würfe entstanden. Diese sind in den Klassen #5 - #8, wahlweise als „Float“ oder „Intermediate“ verfügbar. |
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Die
Schnur wird in einer edlen Schachtel mit Magnetverschluss geliefert.
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Und
falls es dann nicht mehr für den Kauf einer neuen Fliegenbox reicht,
kann man
einfach die Schnurschachtel (Fliegenpad inklusive) weiter verwenden. |
Speziell
entwickelte (Einhand-)Schussköpfe gibt es natürlich auch. Unter
dem Namen „ArcticSilver MD VIPER H1 SHOOTING HEAD“ stehen die Klassen #6
- #8 als „Float“, „Int“ oder F/S3“ zur Verfügung.
Eigentlich sollte das Gesamtpaket durch eine neue, futuristisch anmutende Rolle, diese ist auf diversen Werbefotos bei ArcticSilver zu sehen, abschließend abgerundet werden. Leider ist diese (noch?) nicht auf dem Markt. Aus dem umfangreichen Ruten- und Schnurprogramm wurde die „arcticsilver Zense # 8, 9´Fast / 18-20 GRAM, 4-tlg.“ mit der der dazu passenden „ArcticSilver WF Compact Intermediate“ als Testmodel ausgewählt. Ausstattung
und technische Details:
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Teilung und Maße:
Rute
Eigene Messungen:
Schnur
Ausstattung:
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Gute
Ruten haben an den Schubverbindungen Pünktchen als Markierung für
die richtige
Position. Man kann das Ganze aber auch mit einem Pfeil in Kombination mit Angabe zum Typ der Rute und der Nummer des Rutenteils machen. Dadurch sind Verwechslungen beim Rutenmikado ausgeschlossen. |
Die Überschubverbindungen
der einzelnen Teile passen absolut exakt. Auch nach stundenlangem Werfen
sitzen diese wie „frisch zusammengesteckt“ und lassen sich trotzdem am
Ende eines langen Fischertages problemlos wieder auseinanderziehen. Die
oberen Enden der Ruteneinzelteile sind zum Schutz gegen das Eindringen
von Schmutz und Wasser abgedichtet.
Beringung:
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Führungsring
mit keramischer Füllung
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Die Ringe sind in dunkler Optik gehalten, besitzen der Schnurklasse angepasste Durchmesser sowie Materialstärken und weisen die notwendige Abstufung auf. Die Ringbindungen sind schwarz ausgeführt und transparent lackiert. Alle Bindungen sind sehr sauber verarbeitet und perfekt versiegelt. |
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Schlangenring
aus Titan
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Die Beschriftung auf dem Blank erscheint als dezenter Aufdruck in den Auskerbungen des Griffstücks in modernem Design. |
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Rutentyp
und -klasse
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Hinweise
zum Material
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Griff:
Die Form des Griffes lässt sich schwer in Worte fassen. Die Bilder in diesem Bericht sollten dazu aber ausreichend sein. Er ist leicht ergonomisch geformt und liegt sehr gut in der Hand. Eine zusätzliche Strukturierung am Auflagepunkt des Daumens/Zeigerfingers könnte das Ganze vielleicht noch etwas perfektionieren. Das verwendete Material schnöde als Kunststoff zu bezeichnen, würde der tatsächlichen Beschaffenheit nicht gerecht werden, denn hier hat sich jemand richtig Gedanken gemacht. Der Griff fühlt sich ungefähr wie das Lenkrad eines hochpreisigen Mittelklassewagens an, wo anstelle Leder nun auch modernste synthetische Komponenten zum Einsatz kommen. Hier wurde der goldene Mittelweg zwischen druckfest, aber nicht hart, gefunden. Die leicht samtige Oberfläche wirkt zwar glatt, ist aber dennoch rutschfest. Egal, ob die Hände schwitzig, nass oder tiefgekühlt sind. |
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Nettes
Detail: Die kleine Ablauföffnung am Griffboden ist bestens zum Einhängen
der
Fliege geeignet. |
Rollenhalter:
Das bereits eingangs erwähnte designgeschützte „Quick-Lock-System“ ist zu 100% CNC-gefräst und besteht aus Aluminium 6061 mit einer Toleranz von +/-0,05 mm. Alle Teile werden im Hartanodisierungsverfahren korrosionsbehandelt. Das federbelastete Verriegelungssystem erweist sich beim Einsatz am Wasser als ausgesprochen praxistauglich und angenehm zu handhaben. Nach dem Einrasten sitzt die Rolle dauerhaft absolut fest. Es reagiert völlig unempfindlich auf Sand und Schmutz. Falls es doch einmal knirscht - einmal kurz ins Wasser tauchen und das Problem ist behoben. Die Rollenfüße sind zwar eigentlich genormt, aber beim Ausprobieren verschiedener Rollenmodelle war dann doch ein Fuß dabei, der sich etwas schwerer einsetzen ließ. Also im Zweifelsfall vorher mal ausprobieren, ob dann auch alles zusammen passt. |
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Sonstiges: Die Lieferung erfolgt in einem
türkisblauen Futteral und schwarzem Rutenrohr mit Reißverschlusskappe.
Alles sehr schick in modernem skandinavischem Design.
Preise: Rute 699,00 EUR, Schnur 86,00 EUR Garantie: Lebenslange Garantie auf Materialfehler; und Ersatzteile zur Administrationsgebühr (ca. 40 USD) bei Selbstverschulden oder normaler Abnutzung. Nähere Betrachtung und Praxistest: |
Es stimmt – ALLES! Unter den verschiedensten Einsatzbedingungen
hat sich die Zense-Rute als überdurchschnittliches Wurfgerät
bewährt. Ein (eventuell leicht doppelzugunterstützer) Rückschwung
reicht im Allgemeinen aus, um die gesamte Schnur pfeilgerade auf Weite
zu bringen. Wenn die Bedingungen einigermaßen passen, kann man über
längere Zeiträume regelmäßig bis in Backing werfen,
ohne dass der Wurfarm nennenswert ermüdet. Bei optimalen Bedingungen,
würde sogar einer Verlängerung der Runningline mittels starkem
Mono Sinn machen (Wichtige Erkenntnis: Geflochtenes Backing ist als Nachschnur
völlig ungeeignet, da es sich permanent vertüdelt!). Die Schnur
ist von ArcticSilver natürlich hervorragend auf
die Rute abgestimmt worden. Besser kann man ein Gesamtpakt nicht schnüren. |
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Der
Backingknoten muss an die frische Luft!
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Nicht unerwähnt sollte das geniale Drillverhalten der Zense-Rute bleiben. Die besondere Kraftübertragung im Griff vermittelt einen sehr direkten Kontakt zum Fisch. Auch hier wirkt sich die besondere Power der Rute aus und Drillzeit lassen sich spürbar minimieren. |
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Frühjahrsforelle
aus der Ostsee in Südschweden.
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Der erste Praxistest im Frühjahr beim Meerforellenfischen an der südschwedischen Ostseeküste war eine echte Bewährungsprobe: Fast die gesamte Zeit Sturm aus Osten mit Windstärken zwischen IV und V, was selbst den meisten Spinnfischern zu viel war. Die Zense-Rute hat die Woche tatsächlich gerettet. Natürlich wirft man mit ihr nicht gegen den Sturm an, aber das Minimum an notwendigen Leerwürfen erlaubt auch unter derart extremen Bedingungen eine halbwegs passable Fischerei. |
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Unerwarteter
Beifang beim Meerforellenfischen: Aland!
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80-er
Hecht aus dem Forellenbach
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Mitte Juni stand dann
Lachsfischen in Irland auf dem Programm. Nun ist diese Region natürlich
das klassische Einsatzgebiet für die Zweihänder. Es gibt jedoch
Situationen, in denen die Einhandrute das bessere Werkzeug ist. So zum
Beispiel im oberen Teil des River Moy in East Mayo, wo man wie beim Forellenfischen
unter einem dichten Blätterdach im Bach steht und zielgenaue Rollwürfe
angesagt sind.
Auch das hat die Rute überraschend gut gemeistert. Die Weitwurfeigenschaften konnte sie dann so richtig am Cong River ausleben, wo dieser in den Lough Corrib mündet. Hier steht man etwas erhöht auf einem Bootsanlegeplatz und versucht, die Strömungstaschen hinter den Brückenpfeiler mitten im Fluss zu erreichen. Mit der Zense ein Kinderspiel! |
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Hochherrschaftliches
Lachsfischen vor der Kulisse von Ashford Castle, River Cong Irland
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Fischereilicher Höhepunkt war Färöer Ende August. Lachse und Bachforellen in den Seen sowie Meerforellen in den Buchten des Atlantik. Wenn irgendwo permanent weite Würfe gefragt sind, dann hier. Die Witterung kann auf den Inseln manchmal (eigentlich sogar meistens) recht unfreundlich sein. Und genau dann ist die Zense so richtig in ihrem Element. |
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In
der Bucht von Saksun, Färöer
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Bei aller Euphorie
sollten gewisse Einschränkungen jedoch beachtet werden: Um weit werfen
zu können, muss natürlich auch viel Nachschnur von der Rolle,
die sich dann in der Landschaft mehr oder weniger lebhaft herumtreibt.
(Nächste wichtige Erkenntnis: Selbst mäßig schnelles Einstrippen
nach einem Distanzwurf nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch.) Wenn sie
dort Opfer von Strömung, Wellen, Wind, Geäst oder ähnlichen
Unbilden wird, kann der Spaßfaktor beim Werfen schon mal ziemlich
heftig nach unten gehen. Basket und Flexi-Strip helfen hier auch nur bedingt
weiter, da sich aufgrund der großen Schnurmenge immer irgendeine
Schlaufe durch ihre Kolleginnen schlängeln wird. Bei der hohen Wurfgeschwindigkeit
ist der
Schnursalat quasi vorprogrammiert. Aber dazu kann weder die Rute, noch die Schnur etwas. Wichtiger Warnhinweis: Dieses neuartige Gerät ist nur etwas für gefestigte und selbstbewusste Persönlichkeiten. Sprüche wie: „Na was haben wir denn da für ein chinesisches Billigteil bei ebay geschossen?“ muss man schon ertragen können. In solchen Fällen hat sich folgende Vorgehensweise bewährt: Phase 1: Mit der Frage „Ma werfen?“ hält man die Rute dem Rädelsführer hin. Leicht widerwillig und mit spitzen Fingern wird er sie nehmen und sich in Positur bringen. Am besten noch folgenden Spruch nachschieben „Versuch mal nicht so weit“ => verständnisloser Blick. Phase 2: Er wird wie gewohnt Schnur von der Rolle ziehen und nach einigen Leerwürfen den ersten Wurf machen. Die Rolle kreischt auf, weil der Schwung für deutlich mehr Leine gereicht hätte. => eine Mischung von Verwirrung und Überraschung macht sich in seinem Gesicht breit. Phase 3: Weitere Schnur wird von der Rolle gezogen. Die Vorbehalte gegen den Griff sind vergessen – jetzt packt er richtig zu. Dann Wurf und Rollengeräusch wie in Phase 2. => Fassungslosigkeit lässt die Gesichtszüge entgleisen. Phase 4: Jetzt will er es wissen! Hektisch werden
nun auch noch die letzten Meter Schnur von der Rolle gezerrt. Jetzt passt
der Tipp: „Ruhig Brauner – ein Rückschwung, der Rest kommt von
alleine!“ Er tut es, lässt der Leine freien Lauf und schon klappert
der Backingknoten durch die Ringe. => Der Sprachlosigkeit
Phase 5: Irgendwie die Rute zurückbekommen … Fazit:
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Bezug:
Erhältlich sind die Zense-Ruten und –Schnüre von Arctic-Silver bei „Der Angelsachse“, sowie weiteren ausgewählten Händlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. *** |
![]() Ein Testbericht und Fotos © von Stefan Beier für www.fliegenfischer-forum.de - Oktober 2019. Das Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten. |
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