Mechthild 2005 
Ein laues Frühlingslüftchen weht über das flache Land nahe der Westfalenmetropole Hamm. Wiesen, Felder und einige versprengte Baumreihen prägen das bäuerliche Bild. Dumpf und kaum vernehmbar dringen einzelne Geräusche der pulsierenden Großstadt herauf.

Leise rauscht der milde Abendwind in den zart sprießenden Blättern an Büschen und Bäumen. Rot glühend schieben einige Wolken am Himmel dahin, leuchtend erscheint der Abendstern am Firmament. In weiter Ferne zieht lautlos die Eule der Minerva ihre Bahn. Ein Sprung Rehe strebt äsend auf die Feldflur, sich an der frischen Gerste gütlich zu tun.

Eng umschlungen liegt ein junges Pärchen auf einer Bank weitab der letzten spärlichen Bebauung. Immer heftiger werden ihre Bewegungen, wie die Ottern in der Schlangengrube des Maharadschas zu Rajasthan wälzen sich die Leiber in- und übereinander. Eine Herde Kühe steht auf der Koppel nebenan und schaut neugierig und wiederkäuend dem liebestrunkenen Treiben zu. Wie ein pubertierendes Glühwürmchen ziehen die Leuchtzeiger seiner Armbanduhr eine fahle Spur auf den knospenden Körper seiner Gespielin. Ihr leises Seufzen geht unter in den blubbernden Darmgeräuschen der Milchproduzentinnen.

Jäh wird dieses Idyll durch einen hochtourig aufheulenden Dieselmotor zerrissen. Schlingernd und quietschend pfeilt ein silberner Audi A4 über den schmalen Wirtschaftsweg am anderen Ende der Koppel, einen dunklen Schleier aus grauschwarzen Schwaden schlecht verbrannten Treibstoffs und qualmendem Gummiabrieb hinter sich herziehend, der sich mit dem aufgewirbelten Staub der Feldmark zu einer stinkenden Melange wie Pesthauch verbindet. Jaulend kämpft der tapfere TDI weit jenseits seiner Belastungsgrenze gegen den drohenden Motorschaden.

In panischer Flucht stieben die Kühe davon, direkt auf das weltvergessene Liebespärchen zu. Kurz nur blitzt das dürre Drähtchen des Elektrozauns in seinem Versuch, der brüllenden Stampede Einhalt zu gebieten, ein letztes Mal auf.

Ein gellender Schrei, der nichts menschliches mehr innehat, hallt über die dunklen Felder, das letzte grauenvolle Geräusch, welches die beiden Turteltauben lebend von sich geben. Sekundenbruchteile später werden sie vom trommelnden Hufwirbel der wahnsinnigen Rindviecher im wahrsten Sinne des Wortes mitsamt der Bank dem Erdboden gleichgemacht.

Vier erfahrene Forensiker der Gerichtsmedizin Wolfenbüttel müssen später in vierzehntägiger mühevoller Arbeit die beiden Leiber bzw. das, was noch davon übrig blieb, aus einem Knäuel Erde, Holz und Metall extrahieren.

Die völlig verwirrten Rinder werden wenige Minuten nach diesem Vorfall noch einmal bei der hektischen Überquerung der A1 in der Nähe von Osnabrück gesichtet. Der daraus resultierende Auffahrunfall, an dem 53 LKW, 142 PKW und 2 Motorroller beteiligt sind, fordert zum Glück nur Sachschaden, dafür aber eine 2-tägige Vollsperrung sowie die Totalsanierung der Fahrbahnen der A1 in beiden Richtungen auf einer Länge von 3 km.

Die Spur der Kühe verliert sich danach westlich der nördlichen Ausläufer des Teutoburger Waldes.

Ein dänischer Krabbenfischer wird noch zu Protokoll geben, er hätte im südlichen Kattegatt mit seinem Kutter eine Herde Kühe gerammt. Ob der fortgeschrittenen Alkoholdemenz des Fischers wird er zwar für voll genommen, seinen Ausführungen jedoch kaum Glauben geschenkt.

Solche kleinen Kollateralschäden ignorierend setzt unser tapferer Audi-Fahrer seinen Weg fort. Ein letztes Quietschen der Reifen, ein finales Aufheulen des gequälten Dieselturbos. Laut knisternd, tickend und zischend steht der Wagen auf dem Parkplatz des Brauhofs Wilshaus. Feine Rauchsäulen steigen aus Auspuff und Motorraum empor und werden von der milden Frühlingsluft sanft verwirbelt. Eine blutige Schleimspur auf Kühlergrill und Stoßfänger hinterlassend, rutscht ein totes Huhn langsam zu Boden.

Mit weit ausladenden Schritten betritt der Fahrer die Gaststube.

„Heiwi, mach mal ne Sau klar!“ Schwirrend klingt der kleine Satz, fröhlich ja nachgerade euphorisch vom großen Organisator und Eventmanager Thomas M. aus H. in W. herausgeschmettert, durch die Luft. Millisekunden später treffen die ersten Schallwellen auf das Trommelfell des Angesprochenen und geben ihre Botschaft über Steigbügel und Fenestri vestibuli an den Nervus cochlearis des ahnungsvoll lauschenden Wirtes weiter.

Quälend langsam stellen die Synapsen im Großhirn des Brauhofbetreibers Wilshaus die Anschlüsse her. Wieder und wieder werden die eben aufgenommenen Worte in den Windungen des Organs hin- und hergeschoben, verifiziert, wieder verworfen und neu einsortiert. Kleine Stromstösse jagen verwirrt und orientierungslos durch die Nervenleitungen. Das Nebennierenmark und die sympathischen Ganglien arbeiten auf Hochtouren und schütten Mengen an Epinephrin in die Blutbahnen, die alle Teilnehmer der Tour de France zusammen auf Jahre hinweg wegen Dopings ins Zuchthaus bringen würden. Höchstdosiert bahnt sich das Adrenalin seinen Weg in die Zellen.

Nacktes Entsetzen verbreitet sich schlagartig in allen Winkeln des Körpers. Weiß wie die Leinwand Leonardo da Vincis vor Erschaffung der Mona Lisa entgleisen die sonst immer so drahtigen und wettergegerbten Gesichtzüge des beliebten Wirtes wie weiland die Schmalspurlokomotive der Torfbahn Süderbrarup beim großen Bahnunglück anno 1724. Zwei Tennisbällen nach einem Aufschlag von Venus Williams gleich, treten seine Augen blutunterlaufen aus den Höhlen.

Alles an dem großen Mann scheint von einem Augenblick auf den anderen in ein heftiges Tremolo verfallen zu sein. Selbst seine Stimme, die brüchig und fistelnd die Atemröhre verlässt, erinnert an die dritte Kadenz im Klavierkonzert „ Etüden in gis-dur Nr. 26“ von Rotschislaw Schistakowitsch, die wegen ihrer 4639 aufeinander folgenden 64-igstel Noten bei Pianisten mehr als gefürchtet ist.

„Das kann nicht dein Ernst sein, Thomas!“ Diese Worte wollte der auf einen Schlag um Jahre gealterte Mann eigentlich hervorbringen.„Aaaaaaaaaarghhhhhfssschhhhgnnngnagnnn…..“ ist dagegen alles, was bei unserem bestens gelaunten Organisator ankommt.

Keine Notiz vom desolaten Zustand seines Gegenübers nehmend, sprudeln weitere Sätze aus dem großen Eventmanager heraus.

Nur rudimentär gelangen diese noch ins Nervenzentrum des Wirtshausinhabers.

„Fliegenfischer...fünfzig, sechzig Mann...November...wie damals... kleines Treffen..“ sind Fetzen, die sein malträtiertes Zentralorgan ohne System in kleine Schubladen verteilt, dann schenkt ihm eine heftige Ohnmacht kurze Zeit der Ruhe.

Zwei Stunden, vier Beruhigungstabletten und elf 59%-ige Hausmarke-Rachenputzer „Dead men“ später hat sich Heiwi temporär wieder gefangen.

Doch zu frisch noch sind seine Erinnerungen an die beiden Veranstaltungen der Vorjahre. Eine erneute Panikattacke schüttelt seinen geschundenen Körper heftig durch und treibt ihm feine Schweißperlen auf die Stirn. Marlon Brando alias Oberst Kurtz in Apocalypse now taucht vor seinem geistigen Auge auf: „Das Grauen, ich habe das Grauen gesehen…“ Nur durch den hastigen Genuß dreier weiterer „Dead-men“ kann er einen erneut aufkommenden Nervenzusammenbruch abwenden.

Nach zähen Verhandlungen sowie gegen Hinterlegung einer siebenstelligen Kaution und dem nachgewiesenen Abschluß einer Vandalismusversicherung, die Bade-, Brand-, Explosions- und alle sonst noch vorstellbaren Schäden abdeckt, erklärt er sich bereit, nochmals seine Gasträume für ein Treffen der Freunde des Fliegenfischerforums zur Verfügung zu stellen und ein junges Schweinchen bis zum Herbst schlachtreif zu mästen.

„Diesmal bin ich besser vorbereitet!“ denkt er, als er später auf der Internetseite „pharma-modern.com“ drei Kilobeutel Barbiturate in seinen Warenkorb schiebt. „Wasser, grüner Tee, höchstens noch alkoholfreies Bier und um 21.00 Uhr ist Schluß!“ lautet seine Maxime, als er den Termin in seinem Filofax vermerkt. Seinen vier weiblichen Angestellten trägt er für die Zeit vom 10. bis zum 15. November Zwangsurlaub ein.

Nebenbei bestellt er im Internet noch ein Dutzend aufbruchsichere Vorhängeschlösser aus Titanium-Hydrid der Marke „Panzerknackers Albtraum“ zur Sicherung seiner Bier-, Wein- und Spirituosenbestände.

Zwei Minuten später ist auch seine E-Mail an das LKA Westfalen sowie an die GSG9 des Bundesgrenzschutz, in der um Bereitstellung zweier SEK’s für den Abend des 12.November 2005 gebeten wird, auf dem Weg durch die Glasfaserkabel des weltumspannenden Internets.

Von nun an gibt es kein Zurück! Die Vorbereitungen für das „Fliegenfischer-Forum.de“-Treffen 2005 sind angelaufen!

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„Schade“ denkt Zuchtsau Susi „schon wieder nur künstliche Befruchtung. Ich weiß überhaupt nicht, wann ich das letzt mal vernünftigen Sex hatte.“ Verträumt sinniert sie über die Zeit, als Schweinepfleger Egon W. noch hier arbeitete. Der hatte es mit der Liebe zu seinen Sauen doch sehr ernst genommen…

Bevor Susi ihre Gedankengänge richtig zu Ende bringen kann, hat Tierarzt Gundolf Ö. aus R. sein Werk vollbracht. Zielsicher hat er den Samen des mehrfach preisgekrönten Zuchtebers „Wolfhard von der dicken Eiche“ aus der Besamungsstation „Fette Sau 1821 eG“, Neheim-Hüsten in Susi appliziert. „So meine Liebe, das hätten wir.“ Mit einem Klaps auf den Schinken verabschiedet sich der Veterinär aus dem Schweinekloben, eine traurige Sau hinterlassend.

Keine 16 Wochen später balgen sich 12 rosafarbene Ferkelchen um den besten Platz an den Zitzen der Muttersau.

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„Papi ich will ein Eis!“ „Papa ich will ne Cola!“„Papi ich will ein Pony!“

Sichtlich genervt steht der große Organisator und Eventmanager Thomas M. mit seinen beiden in weiße Frühlingskleidchen gewandeten Töchtern und Wirt Heiwi an diesem schönen Frühsommersamstag am Schweinepferch des Brauhofs Wilshaus. 12 muntere Ferkel mit ihrer Mutter suhlen sich wohlig im knietiefen Schlamm. „Ruhe jetzt!“ donnert er „Wir wollen heute ein Ferkel für das Treffen im Herbst aussuchen! Also entscheidet euch jetzt!“

„Dürfen wir eins mit nach Hause nehmen?“ Noch bevor Thomas M. etwas erwidern kann, sind seine beiden Töchter schon über den Zaun in den Pferch geklettert. Nach kurzer Zeit ist kaum noch ein Unterschied zwischen den Ferkeln und den beiden Mädchen zu erkennen. Lediglich an den Lautäußerungen kann man sie noch unterscheiden. Während die Mädchen fröhlich lachend hinter den verängstigten Ferkeln herkrabbeln, versuchen diese laut quiekend bei ihrer Mutter Zuflucht zu finden. Zwei Minuten später zieht Thomas M. zwei schlammbedeckte, schreiende Blagen aus dem Morast. „Feierabend“ zischt er „ wenn ihr euch nicht einigen könnt, mach ich das. Heiwi, das dunkle da in der Ecke!“

Zur Markierung pappt er dem kleinen Schweinchen noch einen alten Aufkleber vom Forumstreffen 2004 auf den Rücken. „Von nun an sollst du Mechthild heißen und sieh zu, dass du bis November dick und fett wirst!“ Dann zieht er mit seinen beiden verdreckten Töchtern von dannen. Ratlos blickt ihm das Ferkelchen mit großen Augen nach. Heiwi wischt sich eine kleine Träne von der Backe, streichelt Mechthild sanft über den Rücken und murmelt: “Na, dann wollen wir dich mal richtig aufpäppeln, damit die ganze Bande auch satt wird!“

Eine viertel Stunde danach steht Thomas M. nörgelnd und mit einem blauen Auge in der Waschküche seines Einfamilienhauses und sortiert die Wäsche seiner Kinder. „Woher sollte ich denn wissen, dass die Kleidchen für die Theateraufführung morgen gedacht waren? Mir sagt doch keiner was hier…!“

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[TaH] Ich hab über 50 Meldungen zum Treffen. Bald kann ich Meldeschluß verkünden. Leider sind auch diesmal keine Frauen dabei.

[O.K.] Apopo Frauen. Wusstet ihr eigentlich, dass ich mit Michaela Schaffrath verwandt bin? Das ist irgendeine Cousine von mir.

Dieser lapidar in den Chatroom des allabendlich stattfindenden Fliegenfischerchats geworfene Satz eines allseits bekannten, beliebt wie beleibten Moderatoren des Fliegenfischerforums sorgt für minutenlange

„Stille“.

[Gebhard/Sbg] Mein Chat hängt schon wieder

ist die nächste Zeile, die im Display erscheint. Gebhard hadert wieder einmal mit seiner GPRS Verbindung. Doch diesmal irrt der Südländer. Nicht die miserable Verbindung, sondern die Ankündigung des Moderators hat bei allen Beteiligten eine temporäre Schreibsperre ausgelöst. Nach und nach tröpfeln die nächsten Beiträge ein.

[TaH]DIE Schaffrath?????

[O.K.]Jo, genau die!

[TaH]Lad sie sofort für das Treffen im November ein. Das gibt ne Gaudi. Stellt euch doch mal den spitzen **mööööp** (aus Diskretionsgründen gelöscht! Der Autor) vor, der springt gleich quer über den Tisch wenn der die sieht.

[A/SH]Boaaaah ey, ich brauch ersma nen Bier!

Ein konsternierter Normanne erscheint hier vor unserem geistigen Auge, der seinen ob dieser Ankündigung trocken gewordenen Mundraum mit einem frischen Jever ausspült. Am nächsten Morgen wird er die abendlich geschrumpften Vorräte wieder auffüllen, damit er für das Treffen gerüstet ist. Schon im letzten Jahr konnte er mit einem bis unters Dach mit Nordbier gefüllten Kombi bei den Teilnehmern des Events punkten.

Doch weiter im uns schon bekannten Chatroom:

[RolandS/By betritt den Raum]

[RolandS/By] Guten Abend. Kann mir mal einer sagen, wo ich die neue Sage XPZ2Ti günstig kriegen kann?

[O.K.] SCHNAUZE!

[TaH] SCHNAUZE!

[A/SH] SCHNAUZE!

[Wolfgang] SCHNAUZE!

[Hardy] SCHNAUZE!

[Gebhard/Sbg] SCHNAUZE!

[RolandS/By verlässt den Raum]

Mit einer lebhaften Diskussion über die herausragenden körperlichen Merkmale der besagten Dame verbringt die lustige Runde die nächsten drei Stunden im Chatroom.

In dieser Nacht werden einige der Herren etwas unruhiger schlafen.

Ein unglücklicher Bayer kommt zunächst überhaupt nicht zur Ruhe bevor er sich gegen 4.oo Uhr in der Frühe endlich in den Schlaf geweint hat.

In einem bösen Albtraum wird er von 6 nackten Fischern verfolgt, die ihn mit Sage-Ruten der Klasse #15 auspeitschen wollen. Schweißgebadet wacht er gegen Mittag auf um sofort darauf einen Termin bei seinem Therapeuten zu vereinbaren.

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„Na, da wollmer doch mol schaugn, wie weit dös dies Johr geht!“ Verschmitzt lächelnd hält Gebhard aus Salzburg die mit einem Satz edler Titanflex-Einstegringen sowie einem fragilen Rollenhalter aus englischem Altsilber versehene Wettbewerbsrute in der Hand. „I hob jo scho imma a Faible für Holzruten g’hobt!“

Seit er von Organisator und Eventmanager Thomas M. zum offiziellen Wurfkontestbeauftragten des „Fliegenfischer-Forum.de“-Treffens ernannt wurde, macht sich der Mann aus den Bergen schon Gedanken um die Modalitäten des Wurfwettbewerbs und bastelt verschiedene „Ruten“ zusammen.

Beim Treffen des letzten Jahres konnte Jan G. aus B. noch mit seiner eigenen Rute seine Fähigkeiten unter Beweis stellen und den damaligen Wurfkontest klar für sich entscheiden. Selbst die eilig von den Unterlegenen beantragte einstweilige Verfügung gegen den Jurybeschluß konnte am Ergebnis nichts mehr ändern. Zu klar war der Sieg von Jan G. aka Klugsch….

Dieses Jahr wird es wohl nicht so einfach werden.

„Dös wead a läiwander Spohß wean!“ denkt sich Gebhard und feilt noch ein bisschen an der Wettbewerbsrute herum.

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„Da, schon wieder!“

Mißmutig lugt Elsbeth N. hinter ihren vergilbten Gardinen zum Haus ihres Nachbarn Thomas M. hinüber. An der anderen Straßenseite bringt der Bote wieder zahlreiche Pakete aus der ganzen Republik und dem angrenzenden Ausland zu Thomas M. Pakete mit Fliegenfischerausrüstung, die ihm als großzügige Geschenke für die Tombola seines Events im November von vielen Händlern, Rutenbauern, Fliegenbindern und dergl. mehr überlassen wurden. Aber das kann Frau N. natürlich nicht ahnen.

„Was? Schon wieder?“

„Da steht schon wieder der Paketdienst!“

„Wo?“

„Na drüben bei den M.s“

„Elsbeth, der steht nun schon das 12. Mal für diese Woche drüben. Das ist nichts neues mehr.“

„Aber normal ist es auch nicht. Was kriegen die denn andauernd für Pakete“

„Wenn’s dich so interessiert, geh rüber und frag sie!“

Könnten Blicke töten, Giselbert N., frühverrenteter Aushilfsfahrer der Molkerei „Euterstolz Ostwestfalen eG“ würde in diesem Augenblick blutüberströmt von seinem ausgeleierten Fernsehsessel rutschen. So jedoch nimmt er den bösen Blick seiner Gattin ohne große Regung zur Kenntnis.

„Vielleicht ist M. ja groß ins Drogengeschäft eingestiegen!“

„Na jedenfalls scheint er dabei mehr zu verdienen als du Schlappschwanz!“

Diesmal ist es an Giselbert N. seine Frau mit einem stechenden Blick zu durchdringen. Die in seinem Kopf aufkeimenden Mordphantasien kann er nur mühsam unterdrücken. Wortlos wendet er sich wieder der Sendung „Bommel Schleifer am Mittag“ zu. Ein tonlos gezischtes, leises Murmeln, kaum hörbar dringt aus seinen zusammengekniffenen Lippen: „Ich bringe sie um, morgen bringe ich sie um!“

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3.November 2005

Die bisher so ruhig verlaufenen Vorbereitungen zum Treffen der Freunde des „Fliegenfischer-Forum.de“ nehmen an diesem Tag eine dramatische Wendung.

Gebhard L. aus S., seines Zeichens Wurfkontestbeauftragter für das ominöse Treffen ist mit seiner Gattin zu einem Kurzurlaub ins spanische Barcelona aufgebrochen. Zum kommenden Event will er alle seine Kräfte beisammen haben und die Woche am Mittelmeer zur Regeneration nutzen.

Die deutliche Warnung seiner besseren Hälfte bei den Reisevorbereitungen „Wenn du auch nur an Fischen denkst, schmeiß ich dich ins Mittelmeer!“ hat er mit einer leichten gespliessten 2er-Reiserute des Rutenbaumeisters Brunner im doppelten Boden seines Koffers und einer Vivarelli-Automatikrolle, getarnt als Wecker, geschickt umgangen. Die Mitnahme der hüfthohen Watstiefel konnte er seiner argwöhnischen Gattin nur mit einer geplanten Extremwanderung durch die Estremadura, bei der auch mit Hochwasser zu rechnen sei, halbwegs plausibel erklären.

Trotzdem sind die ersten Tage in der spanischen Stadt ruhig verlaufen. Shopping, Sightseeing und Relaxen stehen ganz oben auf dem Plan. Doch dieser Donnerstag wird die Wende bringen.

Gut gelaunt stehen die beiden Urlauber am Kai des spanischen Hafens und betrachten die soeben einlaufende Yacht des spanischen Königshauses. Majestätisch gleitet das gleißend weiße Schiff zu seinem Liegeplatz. Huldvoll winkt das Königspaar den zahlreichen Zuschauern dieses Schauspiel zu.

Just in diesem Moment fällt der Blick von Gebhard L. ins trübe Wasser zwischen den dahindümpelnden Booten.

Zuerst an eine heftige Halluzination glaubend realisiert er, dass es sich um tausende von Meeräschen weit jenseits der 3kg Marke handelt, die sich ohne jede Scheu in den schmutzigen Fluten des Hafens tummeln.

Nur jahrzehntelange Übung und seine in unzähligen Schneidertagen gestählten Nerven verhindern einen Sprung ins Hafenbecken.

Minuten später steht er, von seiner durch die royale Ablenkung unaufmerksamen Gattin unbemerkt, gummibestiefelt mit seiner 2er-Rute auf der Kaimauer.

Zwei, drei kurze Leerwürfe noch ein letzter Rückschwung, dann soll seine Brotfliege auf das Wasser treffen. Doch ein heftiger Widerstand und ein lauter Schmerzensschrei von hinten lassen ihn nichts Gutes ahnen.

Noch bevor er sich richtig umgedreht hat, wird er von 4 riesigen Bodyguards des spanischen Königshauses überwältigt und abgeführt. Aus den Augenwinkeln kann er noch erkennen, dass Königin Sofia einen Ohrstecker trägt, der seiner Fliege doch zum Verwechseln ähnlich sieht.

Kurze Zeit später sitzt Gebhard L. im Verhörraum des Staatsgefängnisses in Barcelona einem völlig verwirrten Geheimpolizisten gegenüber. In Leutnant Miguell de Cabanilla Pizzaros Kopf schwurbeln die Gedanken ziellos umher. Ratlos blickt er den seltsam gekleideten und noch seltsamer sprechenden Ausländer vor ihm an. „Ohne meine Brunner kriegsass ihr nix aus mir raus!“ „I wüll mäijn Läbbtopf!“ „Wos mus die Oide in mäijm scheenen Rückschwung stahn?“ kann er einfach nicht vernünftig einordnen. Auch die Antwort auf seine Frage nach dem Beruf des Verdächtigen :“Joppenverklopper!“ bringen für ihn wenig Klärung ins Dunkel.

Entnervt wendet er sich noch einmal den sichergestellten Waffen des vermeintlichen Terroristen zu. Aber auch sein langer Blick auf die feine Holzrute und den knarrenden Reisewecker mit der seidenen Aufziehschnur verschaffen ihm keine zielführende Information. Grübelnd und kopfkratzend betrachtet er die beiden Geräte.

Diesen Moment nutzt Gebhard L. aus, um blitzartig den Raum zu verlassen. Wieselflink mit einer Schnelligkeit, die man seinem gesetzten Alter nicht zugetraut hätte, huscht er durch die dunklen Gänge des Verlieses.

Minuten später ist er durch einen Lichtschacht entkommen und kann sich ins Aquarium der spanischen Hafenstadt retten. Hier wird er die nächsten Stunden versteckt im Octopusbecken verbringen. Daß er hier seine gesamte Reisekasse an den beim Pokern heftig schummelnden Octopus verliert, ist für den weitern Ablauf der Geschehnisse ohne große Bedeutung.

Die dramatischen Ereignisse um den Wurfkontestbeauftragten sind natürlich auch der internationalen Presse nicht verborgen geblieben. Ratternd prizzeln die Fernschreiber der Agenturen ihre Buchstaben aufs Endlospapier, blinkend erscheinen weltweit die Zeilen auf den Computern.

Auch im Fliegenfischer-Forum ist die Meldung mittlerweile angekommen. Thomas M. aus H. ist es, der die ständig neu hereineilenden Informationen an die Kollegen weitergibt.

Sofort wird eine Rettungsaktion gestartet. In Siegen verschafft sich Moderator Olaf K. mittels eines gefälschten Fischereiaufseherausweises Zutritt zum ADAC-Rettungshubschrauber „Christoph 23“. Rasch sind diverse Zutaten zur Herstellung einer Geheimwaffe, in Insiderkreisen als Schampe bezeichnet, verladen. Nachdem noch Florian „Hares ear“ in Bremerhaven und Hardy K. mit seiner Hundestaffel an Bord sind, geht es nonstop Richtung Barcelona.

Im Tiefflug sind die Retter unter dem Radarschirm des spanischen Militärs hindurch bis ins Zentrum der Metropole vorgedrungen. Sofort macht sich Olaf K. an die Zubereitung der Geheimwaffe. Nur wenige Augenblicke später durchströmen infernalischer Gestank und braunschwarze dichte Schwaden Schampedunst die Gassen der Stadt. Kurz bevor unsere Helden zum Angriff auf das Staatsgefängnis übergehen wollen, erreicht sie die Meldung der erfolgreichen Flucht Gebhards. Im allgemeinen Chaos, welches mittlerweile die spanische Metropole ergriffen hat, können sie den ungeordneten Rückzug antreten. Auch Gebhard L. kann mit seiner Gattin das Durcheinander nutzen und unbemerkt das Land verlassen.

Nur dem Edelmut des spanischen Königs und seiner Gattin Sofia, die an dem neuen Ohrstecker durchaus Gefallen gefunden hat, ist es später zu verdanken, dass es nicht zu größeren internationalen Verwicklungen kommen wird. In diversen multilateralen Konferenzen, in denen u.a. die Bundesregierung die Ächtung der Geheimwaffe Schampe zusagt, werden die diplomatischen Wogen wieder geglättet.

Dem Treffen der Freunde des „Fliegenfischer-Forum.de“ am kommenden Wochenende sollte damit nichts mehr im Wege und auch der avisierte Wurfkontest wird wohl ordnungsgemäß von statten gehen können. Um es mit den Worten einer bekannte Fernsehmoderatorin zu sagen: „Alles wird gut!“

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„Shyce©! Mir fällt absolut nichts ein.“

Verzweifelt sitzt HardyK vor seinem leeren Bildschirm und versucht einen kleinen Vorbericht für das Treffen der Freunde des „Fliegenfischer-Forum.de“ zu erstellen. „Hätte ich Blödmann doch Thomas nicht versprochen, mich um den Bericht zu kümmern.“

Stunden später sitzt er immer noch regungslos und verzweifelt vor der Tastatur. Kein Buchstabe ist auf der Bildfläche zu sehen. Das fahle Licht des Monitors beleuchtet sein Antlitz wie der Vollmond die Totenmaske eines brasilianischen Indianerhäuptlings in den undurchdringlichen Urwäldern des Amazonas.

Kann unser kleiner Autor doch noch ein paar dürre Zeilen zu Papier bringen? Wird er noch von der Muse geküsst? Wird er überhaupt jemals wieder geküsst?

Das, geneigte Leserschaft, werden wir erfahren, wenn es vorbei ist:

Das „Fliegenfischer-Forum.de“-Treffen 2005.


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