Erfüllung am Träger - See
von Hans-Werner Schneider
Der Wecker klingelt um 3.00 Uhr. „Oh nein!“, stöhnt meine Frau neben mir auf: “Wir haben doch Urlaub!“-  Ich bin sofort hellwach. Natürlich haben wir Urlaub, und das  drei Wochen lang im geliebten Mölltal in Kärnten. Drei Wochen Zeit, um das zu tun, was man am liebsten macht: Wandern, Malen, Gut-Essen und natürlich: Fliegenfischen. „Steh auf, wir haben doch eine Einladung! Und was für eine!“- entgegne ich. Freund Heimo, Gaststättenbesitzer, Jäger und Fischer aus einem benachbarten Ferienort hat uns schon in der ersten Ferienwoche eingeladen, mit zu „seinem“ See zu kommen, einem in 2135 m  Höhe liegenden und ca. 1 ha großen Gebirgsgewässer zu Füßen des Törlkopfs, in dem es reichlich Saiblinge geben sollte. 
Vier Arten davon kämen darin vor: See- und Bachsaiblinge, Schwarzreuther und eine aus Finnland stammende Saiblingsart.
Um seine Angaben zu untermauern, hatte er mir stolz das Foto eines 40 cm langen Saiblings gezeigt, den er erst kürzlich dort gefangen hatte. Für mich war das Anlaß genug gewesen, ein Aquarell des Fisches anzufertigen und es dem stolzen und verblüfften Fänger als Geschenk zu überreichen. Und so war es prompt im Gegenzug zu jener Einladung gekommen, die uns im Urlaub  so früh aus den Betten holte.
Rasch sind wir angezogen und  treffen gegen 4.00 Uhr bei Heimos Lokal ein.  Zum Glück ist die Kaffeemaschine schon in Betrieb, und meine Frau, die ansonsten Frühstücke am liebsten zelebriert,
wirft mir über ihrer dampfenden Tasse einen „Na, wenigstens das!“-Dankesblick zu. Die Utensilien in Heimos Wagen verstaut, fahren wir genau eine Stunde lang einen steinigen, von Quer- und Längsrillen durchzogenen Waldweg bis zur letzten Almhütte hinauf.
Im  dämmernden Morgenlicht folgen wir einem steilen Pfad, der uns durch lichten Lärchenwald und verstreutes Wacholdergebüsch führt. Hier ist das Revier des großen oder Ur-Hahnes. Aber trotz angestrengtem Lauschen und Spähen sehen und hören wir nichts von ihm. Als wir den Wald hinter uns lassen und weite Alpenrosenfelder den Hang bedecken, entdecken wir freistehend eine Jägerkanzel, die – wie uns Heimo erklärt – im Frühjahr dem Ansitz auf den Spiel- oder Birkhahn dient.

Wir kommen gut voran, denn unser Gepäck ist leicht. Meine Frau trägt – wie immer - den Fotorucksack, ich nur  einen leichten Beutel mit Angelzubehör und das Transportrohr mit der vierteiligen 5er Thomas & Thomas. Heimo dagegen  schleppt ein wahres Ungetüm von Rucksack auf seinem Rücken, dazu einen großen Plastikeimer in seiner rechten Hand. Auf die Frage, ob wir ihm etwas abnehmen sollen, hatte er nur geantwortet:“Ah, woas! Geht’s nur zua!“ 

Exakt um 6.10 Uhr erreichen wir den Träger-See. Einmalig schön liegt er da, an zwei Seiten von herabfallenden Berghängen und Geröllhalden umgeben. Glasklar ist das Wasser. Das Blau-Weiß des Himmels und das Grün-Rot des Almrauschs spiegeln sich darin. Ab und zu erscheint ein Ring an der sonst glatten Oberfläche. Wir stehen beeindruckt und staunen.

Aber nicht lange – die Angelleidenschaft packt uns, und trotz des Aufstieges steckt uns die Morgenkälte noch in den Knochen. Schnell sind die Ruten montiert, ist die Kamera aufnahmebereit. Mit kurzen und langen Würfen decke ich die Wasseroberfläche vor mir ab, werfe jeden entstehenden Ring an, lasse die Fliege vibrieren, fische sorgfältig zurück. Heimo
ebenso. Doch nichts geschieht. Kein Fisch nimmt die angebotenen Fliegen.  Wir versuchen es wieder und wieder – nichts! Heimo kehrt, um endlich Erfolg zu haben, zu archaischeren Me-thoden des Angelns zurück, aber auch das umsonst! Er erzählt mir von Tagen, an denen er hier Dutzende von Saiblingen gelandet hat.
Aber, was hilft’s?!
Wahrscheinlich, so meint er, sind wir zu spät dran. Nicht zu spät von der Tageszeit her, sondern zu spät in der Jahreszeit.
Der See ist schließlich fast 8 Monate im Jahr mit Schnee und Eis bedeckt. Wenn dann im Mai oder Juni die Schmelzzeit beginnt stürzen sich die Fische mit einem wahren Heißhunger auf alles, was sich bewegt. Im Juli dann, in der Zeit, in der wir jetzt da sind, werden sie bedeutend selektiver. Das scheint zu stimmen, ich kann des öfteren aus dem Wasser aufsteigende Insekten ausmachen, ohne sie aufgrund der weiten Entfernung leider näher bestimmen zu können. Außerdem  wimmelt es in manchen Buchten unseres Sees geradezu von Elritzen. Heimo hat für ein Besatzwasser im Tal so nebenher mit
selbstgemachten Flaschenreusen bereits gut 100 Exemplare von ihnen gefangen. Nahrung ist also genug und überreichlich vorhanden. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf und lasse meine als Spent gebundene CDC-Eintagsfliege wieder und wieder in Ringnähe landen.
Wenn auch nichts beißt, so ist es doch ein wunderbares Wurftraining für mich in herrlicher Umgebung mit viel Freiraum hinter mir, so daß die Würfe weiter und weiter gelingen. Manchmal bin ich auch unachtsam und habe einen Hänger in den Alpenrosen, aber – was soll’s!
Plötzlich gewahre ich Geräusche und Bewegung hinter mir. Eine Kuhherde kommt gemächlich den Hang herunter, auf das Wasser und auf mich zu. Sofort stelle ich das Werfen ein. 
Auf einen solchen mit sicherlich großen Problemen behafteten  Hakenkontakt kann ich wahrlich verzichten. Nachdem die Rindviecher aber etwas Wasser geschöpft und sich davon überzeugt haben, daß sie hier nichts wesentliches verpassen, trollen sie sich wieder in für sie ergiebigere Bergregionen.
Ich nehme das Fischen wieder auf – und plötzlich habe ich nach einem weiten und zielgerichteten Wurf Kontakt und ziehe bei hochgehaltener Rute einen kleinen Flossenträger zwei-, dreimal über das Wasser, bis ich ihn verliere. Sicher ein Schwarzreuther!
Durch diesen Fasterfolg ermutigt fische ich konzentriert weiter und hake nach einem sehr weit links gesetzten Wurf einen Fisch. Der Haken sitzt, Drill und Landung sind kein Problem – und ich halte meinen ersten Seesaibling in der Hand. Er ist kein Riese, aber wunderschön in Form, Farbe und Zeichnung. Und ich bin glücklich, überglücklich sogar, weil es mir doch gelungen ist, an ei-nem so wunderschönen Tag, in so phantastischer Landschaft, umgeben von Menschen, die ich liebe und mag, nicht nur die Ästhetik des Fliegenfischens genossen, sondern auch dessen Erfüllung erlebt zu haben. Sie hätte nicht vollkommener sein können, auch wenn „mein“ Fisch statt wenige hundert mehrere tausend Gramm gewogen hätte.
Heimo, als perfekter Gastgeber, weiß, wie solche Tage und Stunden zu begehen sind. Sein monströser Rucksack war auf alles vorbereitet...