Ein Hoch auf die Köcherfliege
Stillwasser-Fischen vom Feinsten im Pollux See
von Helmut Wittelsburger
Am Pollux See in Patagonien: Fischen in den Abendstunden
Ende Februar, im Hochsommer auf der südlichen Halbkugel, setzt in der Bucht vor meinem Haus im chilenischen Teil von Patagonien der Schlupf der Köcherfliegen ein. An anderen Stellen im Pollux See, der nur 30 Kilometer in der Nähe von Coyhaique liegt, entwickelt sich diese Insektenart in unterschiedlichen Ausprägungen und Spezies schon früher. Man kann diese Fliegen vornehmlich in den Abendstunden beobachten, wie sie plötzlich aus dem Wasser auftauchen, sehr oft dort, wo Krautbänke wachsen. In recht schnellen Krabbelbewegungen eilen sie dem Ufer zu. Dabei erzeugen sie eine Wellenbewegung in V-Form. Nur wenige schaffen diesen Weg auf der Wasseroberfläche, ohne von steigenden Forellen genommen zu werden. Und wenn eine krabbelnde Sedge endlich das nur knöcheltiefe Wasser in Ufernähe erreicht, sind es die mittlerweile halbjährigen Brütlinge, die versuchen, den für ihr Maul viel zu großen Leckerbissen zu erhaschen.
Oben: Krabbelnde Sedge | Unten: so hell scheint der Vollmond ...
Für die Fische scheint dieses 12 bis 14 mm große Insekt eine Köstlichkeit darzustellen. Keine andere schlüpfende Insektenart im See verursacht eine derartige Aktivität der Forellen mit wahren Fressorgien.

Beobachtungen sind wichtig

Auch das Ende des Lebenszyklus dieser Köcherfliegen kann man beobachten. Nach einigen Tagen und ihren erfogreichen Liebesnächten fliegen sie dann zurück von den Sträuchern und Bäumen am Seeufer auf offenes Wasser und legen flatternd ihre Eier an krautbewachsenen Stellen ab. Seltsamerweise fallen sie dabei nach unserer Beobachtung weniger den fresswütigen Forellen zum Opfer, als die gerade schlüpfenden Tiere. Wie klug ist doch die Natur!
Bei Windstille ist die Zahl der von der Oberfläche Nahrung aufnehmenden Fische größer als bei gekräuseltem Wasser. Aber auch dann steigen nicht wenige Forellen nach den geschlüpften Köcherfliegen. Unsere trocken gefischte künstliche Nachahmung ist unter diesen Bedingungen allerdings schwieriger mit den Augen zu verfolgen. Von Vorteil ist allerdings, solange es noch hell ist, dass bei Wind das verräterische Vorfach von den Fischen kaum wahrgenommen wird.

Für die wenigen Fliegenfischer an diesem wunderbaren Stillwasser  - wir sind nur drei am 7 Quadratkilometer großen Pollux See -  beginnt in dieser Zeit die spannendste Pirsch auf die großen Rainbows.

Je nach Wetterbedingungen hält der Schlupf in den Abendstunden dieser Köcherfliegenart bis Ende März, manchmal auch bis Anfang April in der Bucht an. Wir konnten beobachten, dass sich dann die Anzahl und auch die Größe der Fische dort erheblich ausweiten. Wir glauben, dass die Forellen den schlüpfenden einzelnen Köcherfliegenarten im See hinterher wandern. Nur so können wir uns erklären, dass wir in unterschiedlichen Wochen während der Saison an verschiedenen Seeufern erfolgreicher als an anderen fischen. Und das auch ohne eine schwimmende Sedgeimitation, dafür aber meistens mit Nymphen, die dieses Stadium der Köcherfliegen nachahmen. Auch stellen wir fest, dass wir während des Tages in der Zeit des Köcherfliegenschlupfes kaum Bisse haben. Die Forellen scheinen die Nahrungsaufnahme tagsüber nahezu einzustellen, um dann am Abend ihr Festmahl ausführlich zu genießen. Dies ist besonders der Fall, wenn mondhelle Nächte auch eine Jagd der Fische auf schlüpfende Köcherfliegen in den Nachtstunden möglich machen.
Was ans Vorfach?
Marcelo, mein Nachbar, der schon seit über fünfzehn Jahren den Forellen im See mit der Fliegenrute nachstellt, fischt fast ausschließlich mit Sedge Pupa Imitationen an schwimmenden oder intermediate Schnüren. Er bindet seine Fliegen selber und oft ist das Muster, das letztjährig erfolgreich war, eher ein Versager in der kommenden Saison. Körper- und Hechelfarbe sind für ihn von entscheidender Bedeutung. Die schlüpfenden Sedges in der Bucht im März sind eher dunkelbraun. Körper und Flügel unterscheiden sich kaum in der Farbschattierung. Andere, früher im See schlüpfende Arten haben grüne, graue aber auch orangerote Körper. Da er die gesamte Saison fast nur mit der Nachbildung des Puppenstadiums fischt und unterschiedliche Farbnuancen ausprobiert, ist sein Erfolg durchaus ansehnlich.
Ich dagegen fische überwiegend mit Nachbildungen der Köcherfliegenlarve. Allerdings sind im Dezember und Januar auch Nymphen der Eintagsfliegenarten erfolgreich. Und unser dritter im Bunde schwört zu Beginn der Saison ab Mitte November auf größere Steinfliegenlarven. Jeder fängt damit seine Fische. Aber wenn im März der Köcherfliegenschlupf in der Bucht einsetzt, fischen wir überwiegend trocken. Die besten Muster sind dann Rehhaarsedges auf Hakengröße 12, manchmal auch 10, und die unter dem Namen Goddard Caddis bekannte Nachbildung. Die hat zwar zwei längere Fühler wie das natuerliche Insekt; beim Anbinden gelingt es mir jedoch selten, dass sich nicht einer dieser langen Fühler mit verknotet. Daher bevorzuge ich die Rehhaarausführung.
Pollux Fliegen
Je dunkler desto aktiver aber auch schwieriger
Der Schlupf setzt zwischen 20 und 20:30 Uhr fast jeden Abend pünktlich ein. Mit zunehmender Dunkelheit wird die Aktivität stärker und die Fische nähern sich in Ufernähe. Wo anfänglich die Fliege 20 und mehr Meter Richtung Seemitte fächerförmig ausgeworfen und langsam eingezogen wird, um die typische V-Welle auf der Oberfläche nachzuahmen, steigen die Forellen mit einsetzender Dämmerung nur fünf bis zehn Meter vor uns. Wir fischen watend und stehen nur bis zu den Knien im Wasser. Dort wo die Fische aktiv sind, ist es nicht mehr als ein bis zwei Meter tief.
Es klatscht und planscht gewaltig, wenn ein drei Kilo Fisch jegliche Scheu verliert und nach einer krabbelnden Sedge steigt. Immer wieder sind wir dann versucht, schnell unsere Leine aufzunehmen und ohne Leerwurf unsere Fliege in den Ring des eben gestiegenen Fisches zu werfen; eine Angewohnheit aufgrund unserer Erfahrungen im fließenden Wasser. Es ist äußerst selten, dass wir diesen Fisch fangen. Nur manchmal verpasst er in seiner Gier das natürliche Insekt und hält sich noch einen Moment in seiner Nähe auf. Dann wird unsere künstliche Nachahmung derweilen genommen. Meistens jagen jedoch die Forellen mit großer Geschwindigkeit in eine Schwimmrichtung, die wir nicht erkennen können. Wir haben einmal beobachtet, wie ein Fisch knapp unter der Oberfläche mit seiner Rückenflosse außerhalb des Wassers in nur zwei bis drei Sekunden 10 bis 12 Meter Weg zurücklegte.
Unsere Fliege muss schwimmen. Sinkt sie mit der Zeit tiefer ins Oberflächenwasser ein, wird sie verweigert. Das fertige Insekt scheint sich für die Forellen deutlich vom Puppenstadium zu unterscheiden. Denn Sedge Pupa Imitationen,  knapp unter der Oberfläche als Aufsteiger gefischt, werden bedenkenlos angenommen.
Wird es dunkler, können wir den Weg unserer Fliege nur noch erahnen. Unsere Fliegenschnur erkennen wir noch einige Meter weit auf dem Wasser. Oft steigt ein Fisch in der Nähe, wo wir unsere künstliche Sedge vermuten. Wir schlagen dann an und sind wieder mal enttäuscht, dass der Fisch ein natürliches Insekt und nicht unsere Nachbildung genommen hat. Überhaupt gibt es Abende mit starker Aktivität und wir bleiben dennoch Schneider. Aber wer kennt das nicht auch beim Köcherfliegenschlupf am Bach.
Die Krautbeete reichen wegen der wärmeren Tage im Dezember, Januar und bis Mitte Feber an einigen Stellen bis an die Oberfläche. In deren Nähe ist der Schlupf der Köcherfliegen intensiver als im freien Wasser. Der Pflanzenwuchs nimmt erst wieder ab, wenn die Temperaturen sich dem Gefrierpunkt nähern. Im März wird es abends am See manchmal schon empfindlich kühl. Bei acht Grad Lufttemperatur frieren Hände und Finger schnell. Mit Handschuhen aus Neopren fische ich ungern. Das wichtige Gefuehl für die zwischen Korkgriff und Mittelfinger entlang geführte Schnur geht verloren. Die Wassertemperatur betraegt zu dieser Zeit um die 15 Grad Celsius.
Ein Abend aus Sternstunden und Fischerträumen
Ich hatte einen Freund für eine Fischwoche zu mir eingeladen. Er lebt zur Zeit in Santiago, stammt aber vom Bodensee, wo er derweilen mit der Fliegenrute auf Seeforellen fischt. Er ist mit knapp über 30 schon fast ein Meister unserer Zunft. Bei einem Bier im letzten hiesigen Winter in der Hauptstadt sprachen wir über die Fischerei in und um Coyhaique und ich erzählte ihm von den kämpferischen Rainbows, die hier am Pollux zur Zeit des Köcherfliegen- schlupfes mit der Trockenfliege zu fangen seien. Ich hatte den Eindruck, dass er mir nur ungläubig zuhörte. als ich von 50ern und 60ern berichtete, die in langen Fluchten zwei bis dreimal Backing von der Rolle ziehen.

Ein zufriedener Fischer beim Drill einer Großen...

So stand er voller Erwartungen schon am ersten Abend Ende Februar beobachtend am Ufer. Einzelne Ringe von steigenden Fischen waren auszumachen. Auch sah er einige ans Ufer krabbelnden Köcherfliegen. "Das ist erst die Vorhut", rief ich ihm zu. "Diese Fische sind zwischen 35 und 40 Zentimeter groß. Warte ab! In einer halben Stunde wirst Du Dich wundern, welch große Regenbogen steigen."
Beide stiegen wir mit unseren Wathosen knietief ins Wasser. Dabei versuchten wir, so wenig Wellen wie möglich zu machen, um die Fische nicht zu vergrämen. Es war fast windstill und der See lag nahezu spiegelglatt vor uns. Vielleicht 10 Meter von einander entfernt positionierten wir uns.
"Da, rechts von Dir, direkt am Rand der Krautbank ist ein größerer Fisch aufgegangen". "Ich habs zwar gehört aber nicht gesehen", antwortete er mir. "Versuchs an dieser Stelle. Du siehst ja noch die Wellen vom Ring" erwiderte ich. "Da, er ist an der fast gleichen Stelle wieder gestiegen. Vielleicht hast Du Glück und er nimmt Deine Fliege". Und als mein Gast seine Schnur in einem eleganten Rückwurf aufnehmen wollte, sah er den dunklen Rücken eines buckelnden Fisches dort, wo sich seine Fliege befand. Ohne anzuschlagen war er sofort an der Forelle fest. Sie hatte sich beim Abtauchen selbst gehakt. Welch ein Spektakel! Die Regenbogen ließ seine Rolle bis weit ins Backing bei ihrer ersten Flucht singen. Dann sprang der Fisch zweimal hintereinander hoch aus dem Wasser, weit links, wo wir ihn gar nicht vermutet hatten.
Er wälzte sich an der Oberfläche, die Schnur war unter großer Spannung. Aber der Sitz der Fliege hielt. Die Forelle entschloss sich plötzlich, die Richtung zu wechseln und schwamm sehr schnell zurück zum Ufer. Mit hochgehaltener Rute und so rasch  er nur konnte, holte mein Freund Schnur zurück auf die Rolle. Fast hatte er das Backing wieder aufgespult, als der Fisch zu einer erneuten Flucht Richtung offenes Wasser spurtete. Und schon waren wieder 20 Meter Backing draußen. Ich beobachte den Drill und dachte mir, wie sinnvoll meine eigene übersetzte Rolle in solchen Situationen ihren Dienst verrichtet. Zu oft habe ich ähnliche Erlebnisse gehabt und war froh, dass durch die Multiplier Rolle fast immer genügend Schnurspannung gehalten werden konnte.
In freudiger Erwartung... 
Der Fisch entschloss sich nunmehr in tieferem Wasser seinen Kampf fortzusetzen. Seine Kräfte erlahmten ein wenig und mein Gast konnte Schnur zurück gewinnen. Aber dann kam eine Krautbank, vielleicht fünf bis sieben Meter vor uns, in die der Fisch mit letzter Anstrengung flüchtete. Was ist zu tun, wenn sich das Vorfach um die Stengel der Wasserpflanzen windet und der Fisch sich zwischen dem Kraut ausruht, um neue Kräfte zu gewinnen? Einige ganz Schlaue raten, man solle genügend Schnur von der Rolle ziehen und solange warten, bis der Fisch durch die Krautbank schwimmt und wieder Spannung in der Leine entsteht. Die Schnur würde das Kraut dann teilen und man köenne den Drill fortsetzen. Meine Erfahrung ist, das in acht von zehn solcher Fälle, der Fisch im Kraut sich von der Fliege befreien kann oder durch Vorfachbruch verloren ist. Mein Gast entschloss sich zu einer anderen Strategie. Er watete in Richtung Krautbank und stand zwei Meter davor bis zur Brust im Wasser. Er hob die Rute an und schaffte es, dass die Schnur das Kraut teilte und den Fisch freigab. Die Forelle ließ sich nunmehr, der Erschöpfung nahe, an kurzer Leine Richtung Ufer führen. Sie wurde im seichten Wasser gestrandet. Ein herrlicher Rogner, der vermessen und fotografiert wurde. Sie mass 57 cm. Der Haken saß im Maulwinkel. Er fiel fast von selbst heraus, als mein Gast den Fisch davon befreien wollte. Vorsichtig wurde die Forelle zurückgesetzt. Sie schwamm kräftig in tieferes Wasser. Ein lautes und herzliches Bravo für den Fischer begleitete ihren Weg zurück in die Freiheit.
Man sieht noch die Reste der Flucht ins Kraut...

Zum Abschluss noch einige Bilder, wenn Sie mögen:
Fischen vom Belly Boat bei herrlichem Wetter
Lago Zenteno
Die Bäche und Flüsse der Region sind ideal für Nymphe &Trockenfliege
Chile hat gute Weine.... und was könnte einen schönen Fischertag würdiger abschließen...
Lago Pollux, Coyhaique, Ende März 2013
Helmut Wittelsburger
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Leser-Service:
Helmut Wittelsburger kennt die Region seit vielen Jahrzehnten, jedes Jahr lebt er von Oktober bis April in Chile. Die Fliegenfischer-Forum-Redaktion vermittelt gerne den Kontakt zum Autor. Weiteren im Fliegenfischer-Forum erschienene Reiseberichte vom Autor finden Sie hier: (Klick)
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Ein Bericht von Helmut Wittelsburger für www.fliegenfischer-forum.de - März 2013.
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