Nördlich von Nirgendwo ?
Ein Reisebericht von Heinz Koch

Mit 14 habe ich Karl May gelesen und von Abenteuern mit Indianern  geträumt. Sie auch?

Mit 24 habe ich Elmar Engels *) Bücher verschlungen und von der Wildnis in Kanada geträumt.

Unsere Generation hat Elmar Engel und seine Frau Brigitte um ihr ungebundenes Leben beneidet, während wir die Woche über auf Karrierejagd und Sonntags zum Ausgleich auch mal fischen waren.

Elmar Engel: Nördlich von Nirgendwo
Foto aufgenommen im Haus von Brigitte Engel, Mutton Bay.

Irgendwann um die Zeit habe ich es zum ersten Mal mit der Fliege auf Döbel, Schneider und gelegentlich auch auf Forelle versucht. 

Mit den Jahren wurde der Appetit größer. Ich kaufte mir eine Gespließte von Pezon & Michel (Charles Ritz) und fing an, alle erreichbaren Forellen- und Äschengründe in Mitteleuropa unsicher zu machen.
 
 

Auch im Spessart gibt es schöne Fische(rinnen)!

Nach der Wiesent, der Traun, der Soca, dem Unec und anderen Traumrevieren entdeckte ich die Gacka in Kroatien für mich und blieb ihr für 30 Jahre lang und dankbar treu, bis ein gewisser Radovan Milosevic die Idylle zerstörte.
 
 

Die Wiesent in der fränkischen Schweiz, Äschen und Forellen.
Unten: Die Gacka in Kroatien, einst ein Traumrevier für kapitale Forellen bis 10 Pfund und mehr.

Und je mehr Freude ich im Fliegenfischen im Allgemeinen und im Speziellen mit guten Freunden fand, um so öfter dachte ich an Elmar und Brigitte Engel, ihre entbehrungsreiche Freiheit  in Kanada und - ganz heimlich - auch ans Lachsfischen.

Zuerst war der Corrib in Irland dran. Später ging es dann nach Neufundland an den Humber (Lee Wulff) und andere Lachs- versprechende Gewässer.
Es hat nicht lange gedauert, bis meine Ex dahinter kam, dass ein Lachs inklusive Flug, Auto und Bier mindestens DM 1.000 kostet. Mit dem Euro wurden diese Flossenträger noch aristokratischer und es dauerte wiederum nicht lange, da waren nur noch Angler mit dicken Brieftaschen hinter den Aristo-Fischen her.

Also, ist man heutzutage mit einem Outfitter, einer Lodge oder schlichtweg mit einem „Guide“ besser beraten, als auf eigene Faust im Nieselregen und Hochwasser nichts zu fangen? 
Nicht zu vergessen: Ein Reisebüro, das am Anfang aller Dinge steht.
Nichts gegen Reisebüros, nichts gegen Outfitter, eine Lodge oder einen trinkfesten „Guide“. Sie alle sind Teil einer Freizeitindustrie, ohne die wir Fliegenfischer (Ich meine das ganz ernsthaft !) im Regen ständen.
Warum ich so weit aushole ?
Ich weiß es auch nicht. Aber seitdem ich vor 30 oder 40 Jahren die Wiesent, die Traun, die Gacka, den Corrib und ein paar andere Flüsse für mich und meine Freunde entdeckt und viele gute Fische gefangen oder zurück gesetzt habe, fand ich etwas immer wieder bestätigt:
Mach es irgendwann wie Elmar und Brigitte Engel. Geh eigene Wege.
Gesagt, getan.
Seit in paar Jahren lebe ich mit meiner kanadischen Frau in Ostkanada, wo es Lachse im Überfluss geben soll.
Aber wo?
Quebecs offizielle Statistik 2007, die die anerkannt besten Plätze für Atlantischen Lachs auflistet, gibt nicht mehr als ernüchternde 0,12 Lachse pro Angeltag her. Erschwerend kommt hinzu, daß die einheimischen Fischer (mehr Zeit, bessere Ortskenntnisse) irgendwie im Vorteil zu sein scheinen.  Die offizielle Statistik basiert übrigens auf schlappen 20.000 Angeltagen, ein paar Schwarzangler freundlicherweise ausgenommen. 
Angler sind Optimisten, Fliegenfischer unverbesserliche. Ich fische nur mit der Fliege. Na ja, fast ausschließlich.
Also, bevor ich weiter ausufere oder angelnden Pessimisten (warum fischen die eigentlich ?) das Maul rede, zurück zu  Elmar und Brigitte Engel.
Wir waren 2008 in Mutton Bay, wo beide ihre kanadische Heimat fanden. Wir waren fasziniert von dem pittoresken Ort und den Einwohnern von „Nördlich von Nirgendwo“, um einem autobiografischen Buchtitel der Engels zu folgen.
Mir war es vergönnt, mit der Rute des vor  8 Jahren verstorbenen Elmar Engel auf Dorsch und Makrele zu angeln und wir lernten jede Menge netter Leute kennen, u.a. Eldon Bobbitt.
Das pikante an der Geschichte ?
Eldon’s Familie hat exklusive Fischrechte um die Ecke am „Gros Mécatina“, der – wenn Sie mich fragen - zu den besten Lachsflüssen in Ostkanada gezählt werden darf. Ich habe große Augen gemacht und Eldon hat uns – unkompliziert wie die Leute an der „Lower North Shore“ nun mal sind – für ein paar Tage zum Fischen eingeladen. Meine bessere Hälfte hat den guten Eldon sofort angestrahlt und die Einladung angenommen, bevor ich auch nur ein Wort herausbrachte.
Am nächsten Tag hat dann Eldon’s Sohn Keith seine frühmorgendliche Dorsch- und Makrelenfischerei in der Bay für uns verkürzt und uns mit dem offenen Boot die 30 km bis zum Mécatina geschippert.
Begeisterung und Schock waren total.
Denn der Mecatina ist nicht nur hinter einem Wirrwar von Inseln verborgen, er ist auch mit Karte, Google und Co so gut wie unauffindbar. Ein Vorteil für Lachse und Seeforellen, die immer noch so navigieren wie ihre Freunde, die kanadischen Gänse. Ohne GPS !
Im Camp angekommen, fielen zuerst 5 oder 6 mittelprächtige Fliegenruten mit ebensolchen Rollen auf. Kein material-orientierter Hinweis auf „Weltklasse-Lachsfischen“.

Weniger ist mehr: Über 20 Pools für maximal 6 Fischer. Unten: Die  „Camp pools“ am Mécatina. Wie alle anderen Pools nur mit dem Boot erreichbar.

„Nein, wir fischen nicht in den Sea pools direkt vorm Camp“ sagte Eldon Bobbitt, der meinen hungrigen Blick aufgefangen hatte.
„Mein Sohn Keith zeigt Euch ein paar Pools am unteren Mecatina. Da könnt Ihr fischen, ohne daß Euch einer über die Schulter guckt. Und bitte, bringt nur 1 oder 2 Lachse mit, wir haben noch ein paar Lobster im Wasserkasten, die müssen weg“, fügte er hinzu.
„Angeber“, dachte ich und warf meiner Frau einen abschätzigen Blick zu. Minuten später raste Keith mit seinen 30 PS und uns bei wolkenlosem Himmel den Fluß rauf, einen  Zigarillo im Mundwinkel und die Pinne seines Outborders locker unter den Arm geklemmt.
Ist ja nicht dein Boot, dachte ich zwischen Hochgefühl und Gänsehaut, wenn er über einen Felsen im kristallklaren Wasser oder durch eine enge Passage fegte.
Dann steuerte er einen Steg an, der Motor erstarb und wir folgten einem kurzen Fußpfad zum oberen Camp Pool. Das Erste, was mir auffiel, war ein primitiver Holzturm, der mich fatal an einen Anstand für Jäger erinnerte. Keith machte mir ein Zeichen, hinaufzuklettern. „Mit oder ohne Fliegenrute?“ hätte ich beinahe gefragt und dann das teure Stück an den nächsten Baum gelehnt. Im Pool war auf den ersten Blick nicht viel los. 3 oder 4 Lachse standen träge am Auslauf und spielten „Toter Fisch“. Ein fragender Blick zum Himmel und in die Fliegendose, eine Blue Charm Nr. 8 etwas zitterig angeknotet und los gings. Nichts! Nicht mit mir, dachte ich und fing an, nacheinander mein ganzes Fliegen-Arsenal im Mécatina einzuweichen. Nichts !
Beim zweiten Zigarillo von Keith machte es plötzlich „Platsch“ … und meine Frau hatte im ruhigen Wasser der Poolmitte einen guten Fisch am Haken. Nachdem das Abendessen so gesichert war, krabbelte sie auf den „Angleransitz“ und fing an, Lachse zu zählen. „Es sind mindestens 25 - 30 Fische im Pool“ sagte sie hämisch. (Anm. des Verfassers: Das sollte auch so bleiben.) Dann kamen Wolken auf, es wurde  windig, es kühlte ab und es sah nach Regen aus. Keith schaute auf die Uhr und trat seinen Zigarillo im Ufersand aus.
„Wir gehen nach meinem ersten Fisch“, sagte ich scheinheilig und fischte unbekümmert weiter. 
„Morgen ist ein anderer Tag“, sagte Keith ebenso unbekümmert und startete den Außenborder.
Über Nacht kam mehr Wind auf und am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Aha, dachte der erfahrene Lachsangler beim ausgiebigen Frühstück, das macht sich gut. 
„Heute kannst Du 3 Lachse (Tageslimit!) mitnehmen, damit Du bei Deinen Freunden angeben kannst, wenn Du zurückkommst“, sagte Eldon, bevor wir in strömendem Regen losdonnerten. Bei 40 km/h kam dann die Dusche nicht mehr von oben, sondern direkt von vorne. Völlig durchnässt fand ich sehr schnell den Unterschied zwischen High-Tech-Angler-Outfit und einem Friesennerz heraus. Meine bessere Hälfte und Keith sahen zwar nicht sehr attraktiv in Gummi aus, aber dafür waren sie warm und trocken.
Erster Stop wieder am „Camp pool“. Keith setzte einer seiner obligatorischen Zigarillos in Brand und drückte mir eine eher harmlos aussehende Fliege in die Hand. Beim zweiten oder dritten Wurf schoss an der Poolkante etwas hinter der Fliege her und beim vierten oder fünften Wurf hatte ich meinen ersten Mécatina-Lachs. Das ging dann in dieser Frequenz so weiter. Nach dem dritten Lachs fragte mich Keith, ob ich schon mal was von „Catch and Release“ gehört hätte? Ich hatte und so musste Keith noch zwei Mal ins Wasser greifen um Fliege und Lachs voneinander zu trennen.
Auf dem Rückweg fragte ich ihn: „Wie heißt das komische Ding, auf das die Lachse hier reihenweise reinfallen? „Eldon Bobbitt spezial“ antwortete er grinsend und ohne die aufgeweichte Zigarillo aus dem Mund zu nehmen.
Oben: Allein am Mécatina
Links: Nass, aber happy! (Keith, Merlyn und Norman Bobbitt mit dem Abendessen.)
 

Am gleichen Tag fischte Norman Bobbitt, der Eigentümer vom Mecatina – gerade von Montreal eingeflogen - mit seiner Frau Merlyn weiter oberhalb von uns und kam auch mit zwei guten Fischen zurück.

1 Morgen, 2 Angler, 5 Mécatina Lachse – kein schlechtes Ergebnis !

Zum Abendessen gab es dann – ich bitte um Entschuldigung für den Slogan vom Fischgeschäft – „fangfrischen“ Lachs und Hummer. Das Ganze abgerundet mit einem Rheingauer Riesling  und Angler-Latein.
Die nächsten Tage am Mecatina waren gleichsam aufregend und eintönig.
Wir fingen und setzten mehr Lachse und Meerforellen zurück als in den letzten Jahren zusammen.
Sie glauben mir nicht? Ich habe es selbst kaum geglaubt. Aber fragen Sie doch mal Keith oder Eldon oder Norman.
Als Eldon nach Mutton Bay zum Einkaufen musste, beschlossen wir, mit ihm zurück zu fahren.

Da aber das „Au revoir“ in Quebec ein zeitaufwendiges Ritual ist, habe ich mich schnell noch für ein paar Minuten verdrückt und mit einer der Hausruten, die ermunternd neben der Camptür aufgereiht sind und ohne allzu viel Konzentration noch ein bisschen im unteren Seapool herumgefischt.
Plötzlich ein harter Schlag ins Handgelenk und eine fassungslose Nichtreaktion. 
Die Hauptschnur ist weg, die Nachschnur halb. Bevor ich die Bremse finde, springt ein dicker Brocken kurz vor dem Auslauf des Pools, der in einen wenig einladenden Wasserfall mündet.

Das Duell beginnt !

Ich fange mit zittrigen Knien an, Schnur einzuholen. Backing ist durch die Ringe, halbe Hauptschnur auch. Nichts. Doch dann, oh Wunder, die Leine strafft sich und zeigt mitten in die  Strömung auf der anderen Poolseite. Von da ab ignorierte mich mein Freund am anderen Ende der Leine. Also habe ich den Druck verstärkt und den Winkel im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten verändert. Nichts! Dann kamen Gattin und Freunde zu Hilfe. Mach dies, mach jenes. Der Lachs am anderen Ende schaltete weiter auf stur. Ungeachtet meiner zittrigen Knie brachte ich ihn aber irgendwann aus der Strömung. Kein Problem für ihn. Er zog sofort wieder auf seinen alten Platz. Das Spiel spielten wir für eine gute halbe Stunde. Keine Flucht, kein Sprung. Er tat so, als ob nichts passiert sei und ignorierte mich weiterhin. 
Die späte Erklärung? Ich hatte einen 15 Pfund schweren Atlanischen Lachs an der Brustflosse gehakt und er war zu Recht empört über dieses unsportliche Verhalten. Irgendwann haben wir ihn dann rausgekriegt und …  mussten ihn erstmal wiederbeleben. Er war genau so fertig wie ich. Wieder bei Kräften, wurde er in seinen Pool und wir nach Mutton Bay entlassen.
 

15 Pfund an der Brustflosse von außen gehakt.

Was ist gelogen an dieser Episode? Nichts, außer dass ich dieses Abenteuer an den Mecatina vorverlegt habe, bevor ich auf dem Rückweg nach Montreal den Lachs im Petit Saguenay in der Nähe vonTadoussac an der Flosse gehakt hatte. Es hätte aber auch am Mécatina passieren können. Dort sind Lachse über 10 Pfund keine Seltenheit. Und wer mir nicht glaubt, ist eingeladen, im Mecatina zu fischen, wo die Erfolgsrate ganz locker zwischen 1 und 2 Lachsen pro Tag liegt.

Die Webseite vom Mécatina ist http://mecatina.qc.ca und da gibt es jede Menge Informationen über diesen außergewöhnlichen Fluss und eine Familie, deren oberstes Ziel der Erhalt dieses Paradieses ist.
Und wer den 15 Pfund und dem Haken in der Brustflosse mißtraut, der möge doch bitte meine Frau oder den Direktor von der Fischerei in Petit Saguenay fragen.

Heinz Koch, im März 2009, Entrelacs (Quebec) Kanada
(die eMail-Adresse können Interessierte über die FF-Redaktion bekommen)

Fotos: © Keith Bobbitt (3), Heinz Koch (8)

*) Elmar und Brigitte Engel sind hoch geschätzte deutsche Reise- und Abenteuerschriftsteller, die den Norden Kanadas per Kanu erkundet und beschrieben haben. Elmar Engel’s Buch „Nördlich von Nirgendwo“ (Umschau Verlag 1981) beinhaltet  authentische Passagen über Land und Leute in Mutton Bay, wo er und seine Frau Brigitte sesshaft wurden. Brigitte Engel ist Autorin mehrerer Kochbücher, u.a.“Indianisch kochen, Gerichte und Ihre Geschichte (Verlag die Werkstatt, 2000). Elmar Engel ist 2001 verstorben und fand seine letzte Ruhestätte auf „Graveyard Island“, dem alten Friedhof von Mutton Bay.


Ein Bericht von Heinz Koch für www.fliegenfischer-forum.de
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