Ein Reisebericht von Clemens Ratschan
Über das Sichote-Alin Gebirge
Teil 2: Auf dem Koppi bis zum Meer
Nach den Kalamitäten bei der Anreise bin ich am Traumfluss Koppi angelangt, und zwar viel schneller, als ich mir das vorgestellt habe (siehe Teil 1). Das verspricht ausreichend Zeit, das gesamte Flusssystem ausgiebig zu befischen und auch die umliegenden Hügel zu erkunden. Die Herausforderung der nächsten Tage wird darin bestehen, herauszufinden, wo man die Zielfischart Nr. 1 findet, den Sachalin-Taimen oder Wanderhuchen, und wie bzw. wann er zu überlisten ist. Bei einer natürlicherweise eher seltenen, und vor allem nur periodisch und vielleicht auch selektiv fressenden Raubfischart kann sich das deutlich schwieriger gestalten als etwa bei den bereits gefangenen Saiblingen und Äschen. Man findet zur Fischerei auf Parahucho nur sehr wenig Informationen, was die Sache besonders interessant macht. Die Strecke von der Mündung des Iggu, wo ich an den Koppi herangekommen bin, bis zur Mündung des Koppi ins Japanische Meer beträgt ca. 150 km, wobei der Fluss im gesamten Ober- und Mittellauf durch menschenleere Wildnis fließt. 40 km vor dem Meer führt eine Brücke über den Koppi, hier hat sich auch eine kleine Ansiedlung gebildet, ebenso direkt an der Mündung. Fischerei findet im Wesentlichen nur auf diesen 40 km Unterlauf statt. 
Die besten Einstände und günstigsten Fangmöglichkeiten für den Sachalin-Taimen finden sich angeblich zwischen den Zubringern Dzhausa und Byapoli, die etwa 25 bis 40 km stromab der Iggu-Mündung liegen. Als Strategie habe ich mir zurechtgelegt, schon vom Iggu weg die Augen offen zu halten und ab den ersten Hinweisen auf Vorkommen von Taimen intensiv zu fischen. Der Koppi weist ab der Mündung des Iggu eine größere Breite auf als die Höhe der umliegenden Bäume und verklaust folglich nicht mehr ständig. Er pendelt in einem kiesigen Bett und verzweigt sich im Oberlauf nur manchmal in mehrere Arme. Hat man einen guten Riecher für den richtigen Flussarm, bereitet die Befahrung also keine Probleme mehr. 
Nach der Mündung des nächsten Zubringers namens Ioli nähere ich mich eindrucksvollen, über dem Fluss thronenden Felsen, die in Nebelschwaden gehüllt eine mystische Ausstrahlung haben. Diese „Omoko-Mamaga Felsen“ hat auch der Forscher Arsenjew erwähnt, der hier bei seiner Expedition von Sovjetsgaja Gavan nach Chabarowsk im Jahr 1927 ein Lager aufschlug, um von den Eingeborenen Proviant zu besorgen. In diesem Gebiet lebte der kleine Volksstamm der Orochen, während an den großen Flüssen Amur und Ussuri die Nanai siedelten, die hauptsächlich vom Fischfang lebten. Den Lebensraum eines weiteren Volks mit eigener Sprache, der Udege, bildete hingegen eher der Wald, und diese Menschen führten eine jagende und sammelnde Lebensweise. Auch heute noch leben Nachfahren dieser dunkelhäutigen, mandeläugigen Völker, vor allem in kleinen Dörfern in abgelegenen Teilen des Sichote Alin Gebirges bzw. der Region Primorje. 
Arsenjew beschrieb, dass die Felsen einer von üppigem Pflanzenwuchs überwucherten Burgruine gleichen. Diesen Eindruck finde ich sehr treffend, und der größte, nadelförmige Omoko-Mamaga Felsen selbst wirkt wie ein Burgfried. Ich besteige die zu Füßen liegende Schutthalde und kann durch eine teils dornige, teils mit lichtem Espenwald bewachsenen Schulter bis auf die halbe Höhe aufsteigen. Der Ausblick auf die Flusslandschaft stromab und die Felsen stromauf entpuppt sich als überaus lohnend. Wo die Schutthalden bereits durch eine lichte, grasige Vegetation überwuchert wurden, stehen wunderschön feuerrote Daurische Lilien in großer Zahl.
Die Omoko-Mamaga Felsen
Blick von der Blockhalde auf den Fluss
Daurische Lilie
Herrliches Koppi-Ufer im Abendlicht
Fischereilich erscheinen mir die Bereiche am vielversprechendsten, wo am Ende einer gleithang-seitigen Kiesbank große Buchten ähnlich wie Altarme entstanden sind. An solchen Stellen mischt sich der überaus rasch fließende Fluss mit dem stehenden Wasser, es entsteht eine ausgeprägte Strömungskante und am Ende eine Kehrströmung. Diese Plätze kann man mit der Fliege sehr leicht und effektiv befischen, indem man auf der flachen Kiesbank stehend ins rasch fließende Wasser wirft, einen Streamer abtreiben lässt und an der Strömungskante zurück zupft. Schon mehrfach konnte ich so Dolly Varden Saiblinge überlisten. Neugierig, ob sich auch im stehenden Wasser Fische aufhalten, decke ich den Altarm selbst mit ein paar Würfen ab. Schon windet sich ein Fisch am Haken, der deutlich kampfstärker und größer wirkt. Erfreut kann ich einen silbrigen 60 cm Sachalin-Taimen landen, den ultimativen Zielfisch dieser Reise. Ich hätte so weit stromauf noch nicht damit gerechnet – gilt als Lebensraum von Parahucho perryi doch vor allem der Abschnitt stromab der Mündung des Zubringers Dzhausa. Es ist bekannt, dass diese Fischart gerne etwas weniger stark strömende Einstände besetzt als andere Salmoniden, was mir angesichts der 3° kalten Wassertemperatur sehr plausibel erscheint.
Der erste Sachalin-Taimen, bei 60 cm noch ein Jungfisch

Bisher wurde davon ausgegangen, dass der Sachalin-Taimen als Adultfisch ins Meer abwandert und sich am reichen Nahrungsangebot mästet, bis er zum Laichen wieder ins Süßwasser zieht. Darum lautet eine Variante eines deutschen Namens für diesen Fisch auch Wanderhuchen und ein englischer Name Sea-run Taimen. Durch Isotopenanalyse von Gehörsteinchen hat man aber herausgefunden, dass sich in manchen Flüssen ein Großteil der Population inkl. großer Adultfische nie für längere Zeit im Meer aufgehalten hat, sondern offenbar zeitlebens im Fluss gelebt hat. Der Wanderhuchen ist also eine fakultativ anadrome Fischart, keine obligatorisch anadrome wie typische Lachsarten. Am Koppi dürften die Taimen zur Laichzeit – vermutlich im Mai, vielleicht noch Anfang Juni – zu den Laichplätzen ziehen. Wo diese am Koppi genau liegen, ist der Wissenschaft nach wie vor unbekannt. Im Sommer wandert ein Teil der Population Richtung Ästuar oder ins offene Meer, ein Teil bleibt im Fluss. Als Überwinterungshabitat dürfte der Unterlauf bzw. vor allem die tiefe Mündungslagune dienen, weil sich die Fänge im Herbst hier häufen.
Auch bezüglich der Systematik hat sich das Wissen deutlich weiterentwickelt: Wurde diese Art bis vor einigen Jahren noch als Hucho perryi geführt und als naher Verwandter des Sibirischen Taimen und Donau-Huchen angesehen, so weiß man heute aufgrund genetischer Untersuchungen, dass er – anders als aufgrund des ähnlichen Äußeren zu erwarten – zu den Mitgliedern der Gattung Hucho gar nicht näher verwandt ist, sondern eher noch zu den Lachsen im engeren Sinn, und als Mitglied der monotypischen Gattung Parahucho einzustufen ist. 
Als Ziel für diese Reise hatte ich angepeilt, einen deutlich über einen Meter langen Sachalin-Taimen zu fangen, ein Fisch um 1,10 m wäre ein Traum. Diese Fische wurden ursprünglich zwar noch viel größer, bis etwa 1,50 m lang, aber in der heutigen Zeit sind die Bestände auf einen Bruchteil der historischen zurückgegangen und eine gute Fischerei ist im gesamten, stark zusammengeschrumpften Verbreitungsgebiet überhaupt nur mehr in einer Handvoll Flüssen möglich. Mit welchen Ködern fängt man also einen Fisch, der sich im Sommer unter anderem von Buckellachsen in Größen von 2 Pfund aufwärts ernährt? Meine Antwort auf diese Frage sind große Streamer, aber auch Spinngerät mit verschiedenen Wobblern und Blinkern.
Großstreamer im „pink salmon look"
Am Abend des ersten Bootstags am Koppi mache ich an einer Stelle Lager, wo der Fluss an einen Felsen prallt und sich oberhalb ein tiefer Altarm gebildet hat. Die abendliche Fischerei bringt hier keinen Erfolg, doch als ich in der Früh mit dem Packraft über den Altarm fahre, flüchten zwei oder drei sehr große Fische, die seltsam rotbraun gefärbt sind. Sind etwa schon Hundslachse aufgestiegen, aber nein, dafür ist es jetzt Ende Juni noch deutlich zu früh! Es gibt nur eine Erklärung: Es muss sich um Sachalin-Taimen handeln! Zittrig fahre ich ans Prallufer, verhefte das Boot und beginne den Altarm abzustreamern. Leider folgt überhaupt keine Reaktion, habe ich die Fische zu sehr gescheucht? Der Einsatz der Spinnrute führt zu demselben Ergebnis. Abschließend möchte ich noch den obersten Teil der Strömungskante anfischen, wo ich aufgrund der Hängergefahr durch einen Holzstamm zuvor nicht hinwerfen wollte. Prompt habe ich starken Widerstand, denke zuerst das Holz gehakt zu haben, doch dann gibt ein Taimen am Ende der Leine Gas! Das Landen gestaltet sich durch Holz auch auf meinem Ufer etwas schwierig, und ich werde ganz nervös, als ich das auf deutlich über einen Meter geschätzte Monstrum endlich erblicke. Ich habe schon so früh auf dieser Tour den Jackpot geknackt, was für ein Glück! Das Maßband bringt das erfreuliche Ergebnis, dass der Sachalin-Taimen sogar 1,17 m lang ist! Der Fisch ist auffallend rot-violett gefärbt, also wohl ein Milchner mit abklingender Laichfärbung, für Parahucho recht schlank und weist zahlreiche Narben auf. Der Kopf ist art-typisch dicht mit wunderschönen schwarzen Flecken gezeichnet, und auch das massive Kiefer beeindruckt. Offensichtlich erholen sich diese Fische hier im Altarm vom Laichgeschehen, das einige Wochen zuvor stattgefunden haben dürfte. Es muss also auch im Bereich der Ioli-Mündung oder noch weiter stromauf Laichaktivitäten geben.
Was für ein Fisch!
117 cm Parahucho perryi!
Der Kopf des alten Haudegens
Gebiss des alten Haudegens
Mit vorgehaltenem Kopf schaut der Kapitale wie ein Monster aus
Fangstelle des großen Taimen
Nach diesem extrem erfreulichen, unerwartet frühen Fang fahre und fische ich also frohen Mutes den Fluss hinunter. Den fischereilichen Fokus lege ich durchwegs auf Altarmmündungen bzw. Strömungskanten, aber auch tiefe Kolke und Rinner, ganz besonders solche vor anstehendem Fels lasse ich nicht aus. Solche Stellen sind etwas mühsam anzufischen, weil man mit dem Boot am steilen Ufer anlegt und über Felsen und Gestrüpp stromauf klettern muss. Prompt bekomme ich in so einem tiefen Zug einen Biss eines großen Taimen, der sich durch starke Schläge in der Schnur zu erkennen gibt. Ich übe mit der Rute Druck aus und denke, das müsste für das Eindringen des Hakens ja reichen. Leider ein Fehler, denn nach wenigen Sekunden fliegt mir der Streamer entgegen. Mist! Das nächste spannende Erlebnis bietet eine Bucht, wo glasklares Wasser aus der Kiesbank ausströmt. Obwohl ich die Bucht nur teilweise überblicke, kann ich etwa zwei Dutzend teils große Taimen entdecken, die sich hier ausruhen. Leider reagieren sie entweder gar nicht oder ausweichend auf all meine Köder-Angebote.
Heiße Stelle mit felsigem Grund
Auch sehr heiß: Kolk mit Totholz
Bucht kurz vor der Dzhausa: Voller Parahuchos!
Etwa auf halber Strecke zwischen dem Omoko-Mamaga Felsen und der Dzhausa-Mündung beschließe ich, einen Hügel zu besteigen, der eine gute Aussicht auf den Fluss verspricht. Der Aufstieg führt zuerst über eine Blockhalde, durch lichten Birken- und Espenwald, und schließlich über eine Schulter durch trockenen Eichenwald. Plötzlich höre ich lautes Schnauben und Knacken von Zweigen, und kurz sehe oder eher erahne ich etwas schwarzes, mittelgroßes durch den Wald flüchten. Szenen aus dem Film „The Revenant“, wo Leonardo DiCaprio durch eine führende Bärenmutter zerfleischt wird, schießen durch mein Hirn. Sofort lege ich einen langsamen Rückwärtsgang ein, gebe mich sprechend als Mensch zu erkennen und krame hektisch den Pfefferspray hervor, den ich vom Forstarbeiter geschenkt bekommen habe. Dann bleibe ich stehen und lausche, ob sich ein zweiter Bär – im worst case ein großes Muttertier – zu erkennen gibt.
Da sehe ich den geflüchteten Bären auf eine Pappel klettern, dem Tier ist Todesangst anzumerken. Handelt es sich um einen ausgewachsenen Schwarzbären – bekanntermaßen gute Kletterer und wenig gefährlich – oder doch um einen jungen Braunbären, sodass zu befürchten wäre, dass er von einer nahen Mutterbärin beschützt wird? Sicherheitshalber bleibe ich ruhig noch 5 bis 10 Minuten stehen, um zu überlegen, was zu tun sei, und um sicher zu gehen, dass der kleine Bär allein ist. Schließlich wage ich näher zu kommen, was den Bären animiert noch höher zu klettern. Er verklemmt sich in einer Astgabel und blickt ängstlich zu mir hinunter. Würde er zu einer Flucht vom Baum herunter ansetzen? Ich denke nicht und kann ganz in Ruhe eine ausgiebige Fotosession starten. Ich versuche, das Tier mit Rufen dazu zu bewegen, her zu blicken, was dazu führt, dass es voller Angst noch höher klettert, bis sich die dünne Pappel schließlich sogar zu biegen beginnt. Ich kann mir nicht helfen und muss laut lachen. Als wehrloser Zweibeiner fühlt man sich irgendwie geschmeichelt, einem großen und wehrhaften Säugetier solche Angst einzuflößen.
Braunbär oder Schwarzbär?

Später zuhause recherchiere ich und schreibe zwei russische Bärenexperten an. Hier kommen erstens Braunbären vor, die in diesem Gebiet fast schwarz gefärbt sind, und zweitens Kragenbären der Unterart Ursus thibetanus ussuricus (Ussurischer Schwarzbär), die ihren Namen von einem weißen Fleck auf der Brust haben (auf meinen Fotos leider aufgrund der Position nicht sicht- bzw. überprüfbar). Ironischerweise bestimmt einer der Experten den Bären als jungen Braunbären (pfuh, Glück gehabt, siehe The Revenant!), der zweite als Schwarzbären, sodass ich bis heute ratlos bin, ob mein Verhalten bei der Begegnung adäquat war.
Soweit das Auge reicht Urwald und Wildfluss

Backfisch vom Saibling
Die nächsten Tage klart das Wetter etwas auf und teils wird es sogar sonnig und heiß. Den Fluss ganz unbeschwert zu befahren und jede verdächtige Stelle zu befischen macht richtig Spaß. Die Kombination aus unendlich scheinendem Urwald und glasklarem Fluss, in dem richtige Traumfische schwimmen, kommt meinen Vorstellungen von den Ewigen Jagdgründen schon ziemlich nahe. Die Größe und Struktur des Gewässers wie auch die Fischereimethodik ähnelt der Huchenfischerei zu Hause an der Mur. Nur leider könnte der Fangerfolg besser sein: Pro Tag bekomme ich im Durchschnitt ein oder zwei Bisse eines großen Fisches, aber kann diese auch weiterhin nicht verwerten und bringe keinen einzigen mehr an Land. Zum Nahrungserwerb ist am Abend rasch eine Äsche oder ein Saibling gefangen, man braucht dazu nur einen Pooleinlauf mit einer Nymphe zu befischen. Dabei bleiben immer wieder auch Junglachse mit auffallend hohem Körper und starken Jugendflecken hängen. Es handelt sich dabei um Smolts des Kirschlachses, Oncorhynchus masou.
Zweihandfischen auf Parahucho
Totholz-reicher Koppi
Masu-Smolt
Diese sechste Art der Pazifischen Lachse ist in Europa weitgehend unbekannt, weil sie nur im Fernen Osten (Russland, Japan, Korea) vorkommt, nicht aber an der amerikanischen Pazifikküste. Der Kirschlachs oder Masu-Lachs beginnt als erste Lachsart hier seinen Laichaufstieg und wandert am Koppi bis in die Oberläufe, gefolgt von Buckellachsen und Hundslachsen. Der Silberlachs steigt nur in sehr geringer Zahl im Herbst auf, während es in den Zuflüssen des Japanischen Meers überhaupt keine Königslachse oder Rotlachse gibt. Anders als in den umliegenden Flusssystemen wie Tumnin und Samarga fehlen im Koppi auch Lenoks („Sibirische Forellen“) vollständig, bzw. wird die Fischfauna generell stark durch anadrome Arten geprägt. Beim Kirschlachs handelt es sich um eine vergleichsweise stark ans Süßwasser gebundene pazifische Lachsart. Die Jungfische wandern erst nach ein oder zwei Jahren ins Meer ab, während juvenile Buckel- und Hundslachse schon unmittelbar nach der Emergenz aus dem Kiesbett Richtung Ästuar ziehen. Auch die rückkehrenden Kirschlachse halten sich relativ lang in den Flüssen auf und laichen erst im August. Die kommerzielle Fischerei auf Kirschlachse ist verboten, aber es lässt sich nicht verhindern, dass die überfischten Bestände als Beifang der Buckellachs-Fischerei weiter dezimiert werden. Hier im Koppi kommen ungewöhnlich große Masu-Lachse vor: Während sie typischerweise in weiter südlich gelegenen Gewässern nur ca. 2 bis 3 kg erreichen, beträgt das Maximalgewicht im Koppi bis zu 9 kg.
Portrait eines starken Masu-Milchners
Masu-Lachs aus illegalem Kiemennetz im Unterlauf
Eines Abends – ich bin leicht frustriert, weil den ganzen Tag über kein einziger Taimen zu einem Biss zu bewegen war – schlage ich am Einlauf eines Pools mein Lager auf. Hier treffe ich das erste Mal auf geschnittenes Holz, das sich als Sitz und Tisch verwenden lässt, die Stelle ist also bereits mit Motorbooten erreichbar. Kurz vor der Dämmerung stelle ich mich ans Ufer, um ein flüssiges Geschäft zu verrichten, und kann es fast nicht glauben, schemenhaft im ganz seichten Wasser einen silbergrauen Fisch stehen zu sehen. Das Tier dürfte fast einen Meter lang sein. Flugs trete ich mit der Rute an, doch leider reagiert es weder auf Streamer noch auf Spinngerät. Als ich es schließlich sehr aggressiv mit einem Wobbler traktiere, beißt es endlich fast beiläufig drauf, krümmt sich, das Wasser schäumt, doch leider bleibt der Traumfisch nicht hängen. Hat der Taimen in der beginnenden Dämmerung beim Pooleinlauf Beute gesucht? Erst mehrere Tage später, als ich den ersten Kirschlachs fange, wird mir klar, dass es sich bei diesem Fisch höchstwahrscheinlich nicht um einen Taimen gehandelt hat, sondern um einen besonders großen, blitzblanken Kirschlachs. Hätte ich dieses Kraftpaket gehakt, was wäre für ein Tanz abgegangen!
Bumm! Bumm! Schon eine Woche lang hatte ich keinerlei Kontakt zu anderen Menschen und bin richtig in meine Welt im Urwald versunken, da erschrecken mich zwei ohrenbetäubend laute Knalle. Die Schüsse in der Dämmerung müssen ganz nah am gegenüberliegenden Ufer gefallen sein. Ein ungutes Gefühl, auf der Schotterbank so richtig auf dem Präsentierteller zu stehen, ich eile zum Feuer, lege Holz nach und bleibe im Schein des Feuers, um klar als Mensch erkennbar zu sein. Wer wird hier im Niemandsland wohl auf die Jagd gehen? Ich habe bisher weder Boote, frische Feuerstellen noch andere Hinweise auf Menschen wahrgenommen. Erst nach zwei weiteren Tage ohne Kontakte kommt ein Langboot den Fluss herunter. Zwei Russen – sie hatten vom Unterlauf aus einen Fischereiausflug hierher unternommen – steigen aus und wir unterhalten uns. Als ich sie auf die Schüsse anspreche, klären sie mich auf: Es waren knallende Böller (darum so extrem laut!), die sie gezündet hatten, um einen Bären aus dem Lager zu vertreiben. Sie hätten mich aus dem Unterholz auch am anderen Ufer fischen gesehen. Das war die einzige Begegnung mit anderen Menschen im gesamten Ober- und Mittellauf. Herrlich, dass es so einsame Landstriche auch so weit im Süden noch gibt!
Leuchtfeuer
Russischer Fischer mit Langboot und jeder Menge Treibstoff
Die Witterung bleibt weiterhin nass, es wird aber durchaus heiß und manchmal bricht auch die Sonne durch. Am Nachmittag setzen häufig Gewitter ein und Regen prasselt auf die heißen Steine, sodass ein Klima fast wie in einer russischen Sauna (banja) entsteht. Innerhalb weniger Augenblicke bildet sich über dem kalten Fluss ein sonderbar dichter Nebel, der so fein ist, dass er nicht nass wirkt, sondern eher wie Rauch. An mehreren Tagen muss ich dann die Flussfahrt unterbrechen, weil Bootfahren bei der minimalen Sichtweite wegen der Gefahr durch Verklausungen und überhängende Bäume unmöglich wird.
Nach dem Regen bildet sich Nebel
Die Abendsonne löst den Nebel wieder auf
Stromab der Dzhausa bleibe ich beim Einlauf eines voluminösen Kolkes stehen. Der schaut extrem Taimen-verdächtig aus, aber auch der Rinner stromauf, der in einer Vertiefung einen schönen Einstand für raubende Fische bieten könnte. Ich beackere zuerst erfolglos den Kolk, und dann versuche ich noch mein Glück im Rinner, der sich wunderbar mit der Fliege abdecken lässt. Prompt rummst es und ein gewaltiger Widerstand lässt nur einen Schluss zu: Es hat sich ein sehr großen Taimen auf den Köder gestürzt. Doch es ist wie verflucht, auch dieser Fisch kommt – trotz eines sehr kräftigen Anschlags – nach wenigen Sekunden ab. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, zwischenzeitlich habe ich auf eine Vorfachstärke von 0,60 mm gewechselt, um ungehemmt anschlagen zu können, und lege auf scharfe Haken größten Wert. Trotzdem schon wieder ein abgekommener Fisch! Der Standplatz lässt auf einen aktiv raubenden Taimen hoffen, bei dem ich noch eine Chance bekommen könnte. Ich entscheide mich für einen deutlich kleineren Streamer, der den Fisch vielleicht reizen könnte und bessere Hak-Eigenschaften hat. Tatsächlich kommt schon nach wenigen Würfen ein Biss, ich setze erneut einen unverhältnismäßig starken Anhieb, doch die folgende Flucht wirkt erstaunlich schwach. Hat ein Saibling den Streamer genommen? Schon bin ich mir sicher dass es so ist, als der gehakte Fisch eine Urgewalt entwickelt und auch mit Pumpen an der 10er Zweihandrute kaum mehr stromauf zu bewegen ist. Endlich wird mir klar: Tatsächlich hat ein Kilosaibling gebissen, den hat aber gleich nach meinem Anschlag der große Taimen gepackt. Er schwimmt jetzt stromauf, ich kann den Koloss wenige Meter vor meinen Füßen sehen. Leider lässt er den Saibling los – vermutlich hat er mich gesehen – und dreht wieder ab. Alle nachfolgenden Versuche, den Riesen doch noch zu überlisten, bleiben leider ohne Erfolg.
Koppi im Abendlicht
Typische Flußstruktur im Mittellauf
Herrliche Stelle mit anstehendem Fels
Auf den Felsen findet man Unmengen von Exuvien großer Steinfliegen
.. dementsprechend findet eine Steinfliegennymphe rasch einen Abnehmer
Tags darauf verliere ich einen weiteren guten Fisch – diesmal am Ende des Drills direkt vor den Füßen – und beginne mich langsam darauf einzustellen, dass das mit dem Fang eines weiteren großen Taimen nichts mehr wird. Durch Beifänge einiger größerer, extrem kampfstarker Kirschlachse gestaltet sich die Fischerei zwar als kurzweilig, zu gerne hätte ich aber noch ein paar Aufnahmen von Parahucho bei gutem Fotowetter gemacht. Glücklicherweise steigt in einem voluminösen Kolk dann doch noch ein immerhin 85cm langer Taimen ein, den ich endlich auch landen und mit Selbstauslöser über und unter Wasser fotografieren kann.
Hier habe ich einen weiteren Taimen verloren
Fangplatz des 85ers
Silbriger Wanderhuchen über Wasser …
… und unter Wasser
Ich steh‘ auf diese Punkte
Daurische Lilie
Waldbrand kurz vor der Brücke
Nun ist es nicht mehr weit bis zur Brücke, wo 40 km vor der Mündung die Schotterpiste über den Koppi führt. Hier beginnt aufgrund der Zugänglichkeit eine andere Welt. Das merkt man nicht nur am Wald – anstelle des weitläufigen Urwaldes breiten sich hier riesige, im Zuge von Waldbränden devastierte Flächen aus. Die verkohlten Stämme vermitteln einen tristen Eindruck, aufgehellt durch weiß blühende Jasmin-Sträucher und gelb-orange Lilien. Eine Vielzahl an Möwen, aber auch Reiher, Säger und ein einzelner Riesenseeadler zeugen von einem reichen Fischbestand und von der Nähe zum Meer. Auf dem Wasser passieren laufend Motorboote, mit denen Guides Touristen (vor allem Russen, Japaner und Koreaner) zu den Angelplätzen bringen. Wildnisfeeling kommt hier nicht mehr auf, und ich mache in einem seichteren Nebenarm Lager, wo ich hoffe in Ruhe gelassen zu werden. Am nächsten Tag spreche ich mit den Guides, die einen aufgrund der kalten Witterung für die Jahreszeit schwachen Lachsaufstieg beklagen. Trotzdem geht’s bei der Fischerei an den richtigen Stellen eigentlich Schlag auf Schlag. Abwechselnd gehen Buckellachse und die – wie ich finde deutlich attraktiveren – silbrigen Kirschlachse auf die Fliege. Methodisch ist die Lachsfischerei hier unten – kleine, wenig beschwerte Fliegen in knalligen Farben sind äußerst fängig – zwar deutlich angenehmer als das Werfen „halber Hühner“ bei der Taimenpirsch. Es gestaltet sich aber zu einfach und rasch geht der Reiz am Fangen dieser zu tausenden aufsteigenden Lachse verloren. Wie sehr habe ich auf jeden Biss eines Taimen hin gefiebert, während bei der Lachsfischerei insbesondere die kleinen Buckellachse wenig Fangfreude aufkommen lassen. Die Chancen, hier noch einen Taimen an die Leine zu bekommen, sind zu dieser Jahreszeit in diesem Flussabschnitt nur gering, sodass ich es gar nicht mehr versuche.
Blitzblanker, kleiner Kirschlachs
Starker, männlicher Kirschlachs
Charakteristische Zeichnung eines Masu-Lachses
„Pink Salmon“ mit pinker Fliege
Das Gefälle des Koppi bleibt auch im Unterlauf noch hoch, und abschnittsweise bilden sich sehr eindrucksvolle, hoch dynamische Abschnitte mit jeder Menge Totholz und hunderte Meter breiten Kiesflächen. Wie immer in „Sibirien“, hier auf gemäßigter Breite von 48,5° Nord exakt wie das österreichische Alpenvorland aber ganz besonders gut vergleichbar, kann man sich wertvolle Eindrücke verschaffen, wie heimische Flüsse vor den einschneidenden wasserbaulichen Veränderungen ausgesehen haben. Ähnliches trifft für den Flussbegleitenden Urwald im Vergleich zu den heimischen Nutzwäldern zu.
Dynamischer Abschnitt im Unterlauf
Selfie beim Boot fahren im Unterlauf
Versuch eines Selbstauslöser-Fotos
Blitzblanker Sima
Etwa sechs Kilometer vor der Mündung ändert sich der Charakter rapide, die Wassertiefe nimmt zu und die Strömung ab. Schließlich erreiche ich die gewundene Mündungslagune, die mit einer Breite bis 300 m wie der Staubereich eines Wasserkraftwerks wirkt. Ich verstehe zuerst nicht, wieso man hier keinen Einfluss von Ebbe und Flut merkt und das Wasser nicht brackig wird. Als ich später am Abend unmittelbar an der Mündung ankomme findet sich die Lösung: Durch die wütende Brandung wird hier ein Kieswall aufgeschoben, den der Fluss nur an einer schmalen Stelle durchschneidet. Hier entsteht ein erhebliches Fließgefälle, sodass der Wasserstand in der Lagune auch bei Ebbe weitgehend erhalten bleibt und bei Flut kaum Salzwasser einströmt. 

Kurs Richtung Fischerhütten in der Mündungslagune 
Blick zurück zu den waldigen Hügeln
Hier mündet der Koppi aus der Lagune endgültig ins Meer
Ufer in der Bucht, im Hintergrund typische Steilküste
Ein Guide hatte mir eines der in der Mündungslagune gelegenen, verstreuten Blockhäuser beschrieben, wo ich mich an einen Berufsfischer namens Oleg wenden solle. Die Befahrung des Meeres in meinem Packraft sei unmöglich, weil schon seit Tagen auf der See Sturm herrscht. Oleg nimmt mich freundlich auf, bewirtet mich mit diversen Fisch-Spezialitäten und bis weit in die Nacht hinein unterhalten wir uns in der banja zuerst über die Fischerei hier am Unterlauf und dann über Gott und die Welt. Am nächsten Tag geht’s mit seinem schnellen Boot samt Jetmotor zurück zur Brücke und mit einem Geländewagen nach Sovjetsgaja Gavan. Dann per Nachtbus zurück über die Lidoga-Vanino Straße, die ich zu Beginn der Reise ein Stück mit dem Rad befahren hatte, und schon am frühen Morgen stehe ich am Flughafen in Chabarowsk. Der Rückweg gestaltet sich also genauso überraschend schnell wie die Hinreise. Insgesamt war diese Tour durch sehr markante Höhen und Tiefen geprägt, sodass ich den Heimweg abermals um viele wertvolle Eindrücke und einige lehrreiche Lektionen reicher antrete.
***
Quellen:
Arsenjew, W. (1953): In den Bergen des Sichote-Alin. Forschungsreisen zwischen Amur und Japanischem Meer. Sachsenverlag, 342 S.
Knizhin, I. B., Antonov, A. L. & Weiss, S. J. (2006): A New Subspecies of the Amur Grayling
Thymallus grubii flavomaculatus ssp. nova (Thymallidae). J. Ichthyol. 46(8): 555–562.
Zimmerman, C. E., Rand, P. S., Fukushima, M., & Zolotukhin, S. (2012): Migration of Sakhalintaimen (Parahucho perryi): Evidence of freshwater resident life history types. Environ Biol Fish 93: 223-232.
Zolotukhin, S. (2003): Koppi River Watershed Rapid Assessment Short Report. Prepared for The Wild Salmon Center. Oregon. 13 S.


Teil 1 dieses Russisch Fernost Reiseabenteuers finden Sie hier: 



Ein Reisebericht in zwei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - Februar/März 2019. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.
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