An der Wilden Iser
Fliegenfischen im Nationalpark Riesengebirge
Eine Geschichte & Fotos von Jan Haman



Wir waren bereits vor Sonnenaufgang und noch im Morgengrauen aufgebrochen. Der Nebel lag tief über dem Flussbett, nur einige der großen Felsbrocken ragten grau hervor, der dunkle Fichtenwald an den Ufern war farblos und finster. Wir fröstelten alle ein wenig, als wir auf die schmale Holzbrücke traten. Unsere Schritte klangen dumpf und tonlos mit den dicksohligen Wanderschuhen auf verwitterten Eichenbohlen. Dann waren wir auf dem linken Ufer der Iser und folgten dem schmalen Weg stromaufwärts, immer hart am rauschenden Fluss entlang und die dicht bewaldete Schlucht hinauf…

Hinter uns lag das letzte kleine Dorf auf der tschechischen Seite, das Wurzeldorf und unsere gemütliche Pension, die im Stil der behauenen Blockhütten des Riesengebirges gebaut war, direkt am Fluss und an der alten Steinbrücke mit dem tiefen Gumpen.
Noch im Dunkeln waren wir an der kleinen Fabrik vorbei gekommen, die in den 20er Jahren zur Herstellung von Naturwurstdärmen gebaut worden war und die bis heute arbeitet und sogar erfolgreich exportiert. Die noch etwas romantische Industrie-Architektur aus der Zeit um die Jahrhundertwende erinnerte mich an das stilvolle Brauerei-Gebäude von „Urquell“ in Pilsen. Unter dem hoch aufragenden Schornstein mit der pilzförmigen Kappe, hingen drei Fahnen schwer und nass herunter an diesem windstillen Morgen. Im Halbdunkel erkannte ich die Tschechische Nationalfahne und die mir wohlbekannte Schottische Fahne der neuen Besitzer aus Glasgow. Dazwischen hing wohl die blaue Fahne der Europäischen Union im fahlen Morgenlicht.

Wir waren nur leicht bekleidet, wie ich meinen Freunden geraten hatte und hatten kleine Tagesrucksäcke sowie lange Bergstöcke dabei. Der Weg vor uns war recht beschwerlich und sobald die Sonne herauskommen würde an diesem klaren Junimorgen, sollte es uns schnell warm werden auf unserem Marsch.
Den schweren, wasserdichten Rucksack mit der modernen Digital-Fotoausrüstung von „Russell dem Älteren“ nahm ich auf meinen Rücken und gab ihm dafür meinen leichten Jagdrucksack aus luftigem Tiroler Loden. Wir hatten nur etwas Brotzeit dabei, trockene Hemden und Socken zum Wechseln und unsere Angelrollen und Fliegenschachteln. Die drei Engländer hatten noch ihre kurzen Jacken mitgenommen, falls wir in einen sommerlichen Regenschauer geraten sollten. Die Rutenrohre und Lederköcher mit unseren zerlegten Fliegenruten hatten wir auf die Rucksäcke geschnallt.
Der lange Simon Kidd, ein Wettkampf-Angler aus dem englischen Team, ging direkt hinter mir. Danach Russell Weston, der unermüdliche Chef von „Snowbee UK Fly-Fishing“ und schließlich der rüstige Fotograf Russell Hayward, der mit seinen 70 Jahren ohne Mühe mitlief. Alle Drei erfahrene Fliegenfischer und jetzt zum ersten mal in der Tschechischen Republik. Ich hatte die ernstzunehmende Aufgabe, meine englischen Freunde auf wilde Bachforellen, Äschen und Saiblinge zu führen, wobei möglichst gute Aufnahmen für den neuen Snowbee-Katalog entstehen sollten.
Zuerst gingen wir immer am linken Ufer entlang, der polnischen Grenze entgegen. Wir waren bereits weit entfernt von Harrachov, dem ruhigen Wintersportort mit den Skiflug-Schanzen und mit der alten Glashütte an der Mumlau, die so malerisch ist und die an unserer Pension unter der Steinbrücke in die Iser mündet.
Dann wandte sich der verschlungene Weg einen Berg empor und wir kamen endlich in ein offeneres Tal, in dem der Wald etwas lichter stand und wir öfter einen Blick auf den Fluss werfen konnten. Hier oben reichten die ersten Sonnenstrahlen schon in die Bergfichten und in die stattlichen Buchen um uns herum und als das weiche Morgenlicht schließlich bis in den Fluss fiel, sahen wir die rostbraune Farbe des Stromes aufleuchten. Dieses erzfarbene, satte, rostige Braun und Rot, welches dem Fluss schon vor Urzeiten seinen Namen gegeben hatte.
Das Rauschen des Stromes ging hier in ein freundliches Plätschern und Murmeln über, und der Fluss war jetzt umrahmt von einem angenehm warmen Ocker-Ton des Ufersandes, von mächtigen, gelbgrauen Granitblöcken am Wasser, von nassglänzenden, verschlungenen Wurzeln und von den frischen Grüntönen des Moses und der üppigen Farne am Ufer.
Darüber silbrige, alte Buchenriesen und Sträucher von Hirschholunder mit ihrem feinen Laub, dazwischen schattige Bergfichten mit tief herabhängenden, schweren Ästen am Flussufer. Einige große Fichten waren umgestürzt oder im Wind gebrochen und die grau gewordenen Stämme spiegelten das Steingrau der ausgewaschenen Granitblöcke im Wasser wieder. In den morschen, ausgefaulten Holzkernen der gesplitterten Stämme fand sich die selbe rostbraune Farbe, die ich auf den glatten Steinen am Grunde des Flussbettes sah.
Vor uns lag der Bergstrom in seiner ganzen urwüchsigen Schönheit und verzauberte uns auf eine Weise, wie es nur unberührte Flüsse, Wälder und Landschaften vermögen. Unsere Schritte wurden wieder leicht, unser Gespräch klang heiter und vergnügt, wir atmeten den frischen Duft des Bergwaldes auf unserem Weg hinauf zum Ursprung der wilden Iser.
Wir wanderten noch einige Stunden am meandernden Fluß entlang und die Sonne stand schon etwas höher, als wir zu einer Stelle des Tales kamen, an der die Iser ein wenig tiefer eingeschnitten ist. An dieser Biegung des Flusses kenne ich einen tiefen Gumpen unterhalb des Felsens, der vom Weg darüber nicht einzusehen ist.
Meine Engländer hatten sich eine Pause bereits verdient, vorsichtig stiegen wir die steile Böschung hinab und stützten uns dabei auf die Bergstöcke. Den Gumpen umging ich und an einer guten Stelle oberhalb des Felsens setzten wir uns nebeneinander auf den Stamm einer umgestürzten Fichte. Hier waren wir gedeckt und mit dem Wald im Rücken fast unsichtbar für die Forellen und Saiblinge unter uns. Den langgezogenen Gumpen konnten wir aber bequem einsehen.
Aus den Tiefen meines Jagdrucksacks holte ich eine meiner Schachteln hervor und schaute mir die Fliegen und Nymphen an. Die Engländer taten augenblicklich das Gleiche. Dann fand ich noch die Brotpakete im Rucksack und verteilte sie. Wir streckten die Beine vor uns aus, aßen unsere Butterbrote mit Rauchfleisch zum Frühstück und entspannt beobachteten wir das Wasser.

Der Gumpen war lang und ich hatte uns am Schwanzende und dem Auslauf zu angestellt.
Zuerst sahen wir nicht viel. In den kniehohen Büschen um uns herum wuchsen die ersten Heidelbeeren. Ich pflückte einige der blauen Beeren und ließ mir den sauren Saft auf der Zunge und im Gaumen zergehen. Die Forellen stiegen nicht. Doch überall in den Heidelbeersträuchern kletterten schlanke, schwarze Fliegen eifrig umher. Sie waren sehr klein und wenn sie auf meine blanken Knie krabbelten und auf den ausgebleichten, groben Leinenstoff meiner kurzen Hose, dann konnte ich sehen, daß es winzige Köcherfliegen waren mit schmalen, eng angelegten, dunklen Flügeln. Sie waren unglaublich schlank und gerade wie schwarze Nadeln und keine von ihnen konnte fliegen an diesem Morgen, dafür krabbelten sie sehr eilig irgendwohin, als hätten sie Zeit nur für diesen einen Tag…

Wir hatten die Butterbrote noch nicht aufgegessen, aber unsere Augen hatten sich bereits an das Wasser und an den Blick in die Tiefe gewöhnt.
„There´s one!“ kam bald der erste freudige Ausruf. 
„Und da eine... und noch eine!“

Ich reichte meinen Freunden noch je einen Apfel aus dem Rucksack, um sie zu beschäftigen und zu beruhigen. Direkt unter mir war eine ockergelbe Sandbank unter dem Felsen im Fluss. Die Morgensonne schien darauf und erwärmte den sandigen Grund. Zwei oder drei größere, dunkle Forellen kamen abwechselnd aus dem tiefen Flussbett und standen eine Weile gut sichtbar auf dem hellen Sand. Jetzt sah ich was sie taten und ab und zu blinkte sogar eine Flanke der Fische auf, wenn sie die schlüpfenden Nymphen über dem Grund aufnahmen.
„Russell the Boss“ und „Simon the Kidd“ ließ ich die Ruten herausholen und in aller Ruhe zusammenbauen. „Russ the Elder“ bat ich um noch etwas Geduld, er sollte von hier oben lieber einige Aufnahmen machen. Der Zugang zum Pool unterm Felsen war etwas steil und schlüpfrig. Ich dachte über die Taktik nach und wie ich die beiden Engländer am Besten anstelle...
Unterhalb des Felsens standen wir dann ganz bequem und sicher auf einer flachen, breiten Steinplatte am Schwanzende des auslaufenden Gumpens. Den kleineren „Russell the Boss“
mit seiner kurzen Rute für Trockenfliegen dirigierte ich weiter stromaufwärts an die besten Standplätze. Gebückt und fast an den nassen Felsen geschmiegt, pirschte er sich behutsam an den Mittellauf des dunklen Pools heran. Knieend löste er die kleine Trockenfliege vom Korkgriff seiner Rute und mit zwei kurzen, flachen Leerwürfen ließ er die winzige Fliege mit dem grauen, schlanken Körper und mit den dunklen Entenbürzel-Federn in der kräuselnden Strömung aufsetzen.
Der hochgewachsene „Simon the Kidd“ stand neben mir und knüpfte eine Mikro-Nymphe an sein feines Vorfach. Ich hatte eine dunkle Nymphe für ihn ausgesucht, mit winzigem Kuperkopf und einigen kurzen, spärlichen Schwanzspitzen aus Fasanenschwanz. Der Körper war sehr stramm und knapp gebunden auf einen Haken Größe 14 mit geradem Schenkel und mit einem weiten Bogen für sicheren Halt.
Sorgfältig achtete ich darauf, daß Simon sein Vorfach lang genug ließ und mit flachen Würfen stromauf, um nicht an dem überhängenden Blätterdach hängen zu bleiben, bekam er die Nymphe leicht hinaus und weit über die Haupströmung in der Mitte des Pools. Er „mendete“ geschickt und richtete die aufsetzende Schwimmschnur so gegen die Strömung, damit die absinkende und hinabtreibende Nymphe zuerst in das Blickfeld der Forellen kam und nicht das angeknüpfte Vorfach.
Bereits beim zweiten Wurf hatte Simon einen Anbiss. Er hob an, die Schnur schnellte spritzend aus dem Wasser und seine 9 Fuß Diamond Rute der Schnurklasse #4 bog sich tief durch. Mit der linken Hand zog er sofort Schnur ein und bewegte die angehakte Forelle zügig aus dem Gumpen heraus, um die übrigen Fische an dieser Stelle nicht zu beunruhigen. Die sensible Rute war jetzt lebendig geworden und ich konnte das Schütteln und Schlagen des sich wehrenden Fisches an der pulsierenden Rute ablesen.
Gegen den wütenden Widerstand des Fisches zog Simon den Rest der Schnur ein und hielt sie nun in der Rechten an den Korkgriff der Rute gedrückt. Er hob die Fliegenrute hoch über seinen Kopf, griff mit der Linken nach Hinten und zog seinen kleinen Holzkescher vom Rücken, ließ sich auf ein Knie nieder und versuchte den Fisch über den Kescher im Wasser zu ziehen. Dann hing der zappelnde, dunkle Fisch tief im Netz, als ihn Simon triefend heraushob und auf den Felsen legte. Es war ein Saibling. Ich hielt ihn fest und spürte die vollen, festen, kühlen Flanken in meinen nassen Händen. Wir befreiten ihn aus dem Netz und zogen die widerhakenlose Nymphe aus seinem Maul, welches der Fisch auf und zu schnappte, beim Versuch zu atmen.
Der Saibling war nicht groß, nur etwas über 30 cm lang, aber kräftig und wunderbar gefärbt mit einem dunkelgrün marmorierten Rücken und mit bläulich und violett schimmernden Flanken, die reich getupft waren. Wir bewunderten ihn noch eine Weile am Wasser, aber sobald ich ihn etwas tiefer in die Strömung hielt, befreite er sich sofort aus meiner Hand und verschwand wieder in der dunklen Tiefe.

Simon warf jetzt gerade stromauf und direkt in die Hauptströmung, die in der Mitte des Gumpens verlief. Das brachte keinen Erfolg und nach einigen Würfen forderte ich ihn höflich auf, sich um einige Schritte weiter gegen den Strom zu bewegen und etwas mehr von der Felsenkante des Ufers weg zu bleiben. Er begriff sofort und machte jetzt kürzere Würfe schräg stromauf, führte die Nymphe beinahe unter der Rutenspitze durch die tiefsten Stellen des Gumpens und blieb dabei fast völlig außerhalb des Gesichtsfeldes der tief liegenden Forellen. Bald landete er den nächsten prächtigen Saibling.

Danach band er eine zweite Nymphe des gleichen Musters knapp über die erste und verkürzte dabei sein Vorfach. Nun führte er die Nymphen gefühlvoll über die ockergelbe Sandbank im Fluss und mußte die Rutenspitze nicht mehr ganz so hoch halten, um in ständigem Kontakt mit den kleinen Nymphen zu bleiben, die frei und wie ganz zufällig über den Sand auf dem Grund kullerten.

Als er wieder mit einem kurzen Wurf die Nymphen stromauf wendete und absinken ließ, brachte er sie genau über die Kante, an der die Sandbank in eine tiefe, dunkle Rinne abfiel. Das Vorfach streckte sich unmerklich in dem kristallklaren Wasser und bewegte mit einem leisen Hauch den kurzen, hellgrünen Netzstrumpf, der als Verbindungsstück zwischen Schnur und Vorfach auf der Oberfläche schwamm. Der aufmerksame und geschulte Angler spürte den zaghaften Anbiss fast instinktiv und hob augenblicklich an. Simon landete eine gute Bachforelle, die dunkel war wie Kohle und bedeckt mit vielen großen, schwarzen und roten Tupfen auf den glänzenden Flanken.

Etwas weiter Oben, im Schatten der überhängenden Zweige und Blätter von Hirschholunder, warf Russell unbeirrt seine Trockenfliege in die Strömung. Seine Würfe waren meisterlich. Mit wenigen kunstvollen Schwüngen brachte er die Fliege präzise in den Futterkanal des Gumpens, ließ sie sanft aufsetzen und in der kräuselnden Strömung tänzelnd und verführerisch hinabgleiten. Doch die Forellen stiegen nicht.
Ich stellte mich hinter ihn und dann suchten wir gemeinsam eine andere Trockenfliege aus seiner schönen englischen Fliegendose heraus. Wir einigten uns auf eine größere Klinkhammer mit elegant gekrümmtem Körper aus rostbraunem Fasanenschwanz und mit Hecheln in der gleichen rostigen Farbe. Doch bei dieser „Klinkhammer Special“ war der Flügelbüschel aus dem auffällig weißen Schwanzhaar des Weißwedelhirsches gebunden und darunter noch mit einer kleinen Prise von vibrantem Scharlachrot aufgepeppt.
Wir verlängerten das Vorfach ein wenig und auf meinen Rat hin warf Russell etwas weiter stromauf in raueres Wasser, gerade unterhalb des Einlaufs in den Pool.

„Ay!“ riefen wir beide unwillkürlich aus, als das Wasser aufspritzte und eine Forelle die Fliege förmlich „niederhämmerte“, als die Klinkhammer kaum auf der Wasseroberfläche aufsetzte. Beim Aufschrecken hatte Russell reflexartig angehoben und die Forelle war gehakt, ohne daß er ihr die Fliege aus dem Maul gerissen hätte. Sie zog augenblicklich zurück in die Tiefe. Die kleine #4er Rute in 8 Fuß Länge bog sich durch und vibrierte jetzt lebhaft.
Russell drillte den Fisch ganz aus und genoss seinen entschlossenen Widerstand. Als er ihn schließlich heranbrachte und über seinen Kescher führte, sah ich, daß es wieder ein Saibling war. Der Größte bisher, gute 35 cm lang, und ich holte meine alte Nikon FM Spiegelreflex aus dem Rucksack, um einige Dias zu belichten mit Aufnahmen von dem prächtigen Fisch, zusammen mit seinem ersten stolzen Engländer an der malerischen Iser.

Einige Kilometer weiter stromaufwärts sahen wir dann vom Pfad aus die weißen Steinpflöcke auf dem anderen Ufer des Flusses. Wir waren an der polnischen Grenze. Der Lauf der Iser bildet hier die Landesgrenze bis hinauf zum Ursprung des Stroms. Bald kamen wir zu der hölzernen Brücke, die sich in dem stillen Hochtal über den Fluß spannt. Die wuchtige Brücke mit den verschränkten Balken aus Fichtenstämmen war neu, von den polnischen Nachbarn gebaut und als „Brücke der Freundschaft“ getauft. Also gingen wir über die Brücke der Freundschaft und setzten uns am anderen Ufer auf große Felsblöcke, um uns in der warmen Mittagssonne etwas auszuruhen.
Dabei erzählte ich meinen Freunden ein wenig über die Geschichte des Riesengebirges, über die vermutliche Entstehung des Namens und über die Besiedlung durch Bergbauern aus Tirol und aus den Bayerischen Alpen schon im 12. Jahrhundert. Diese harten und mit der Almwirtschaft vertrauten Bergbauern wurden von dem tschechischen König Otakar Premysl, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ins Land geholt, da sie wohl die Einzigen waren, die in diesem wilden und rauen Gebirge überhaupt überleben konnten. Der Volksstamm der slawischen Tschechen war schon im 5. Jhd. eingewandert, zur Zeit der großen Völkerwanderungen, aus der heutigen Ukraine und der russischen Steppe im Osten kommend, um sich als Ackerbauer zunächst im fruchtbaren Tiefland an der Elbe und am Zusammenfluss mit der Moldau anzusiedeln. Die Grenzgebirge Böhmerwald, Erzgebirge, Riesengebirge und Altvatergebirge blieben noch lange Zeit unwirtliche Wildnis und nur von Bären und Hirschen bewohnt. Aber bereits tausend Jahre vor den Slawen, waren keltische Stämme ebenfalls aus den Weiten des Ostens als vereinzelte Siedler oder Jäger in diese Berge gekommen auf ihrer langen Wanderung in den Westen Europas, und sie waren es auch, die dem Gebirge und den Flüssen ihre ursprünglichen Namen gaben.
Corcontoi“ ist der keltische Name des Riesengebirges, von den Römern als Corconica bezeichnet und als Krkonosche ins Tschechische übernommen. In der slawischen Sprache hat der Name aber keine Bedeutung und das Wissen um die Entstehung ist im Nebel der Geschichte verloren gegangen. Die ersten wirklichen Siedler aus den Alpen kannten wohl noch die Bedeutung, die in der keltisch-gaellischen Sprache vermutlich „Gebirge des Riesen“ lautet und von den deutschsprachigen Siedlern als Riesengebirge aufgenommen wurde. Auch der Name des Flusses, der als Jizera übernommen wurde, hat im Tschechischen keine Bedeutung. Das alte indogermanische Wort „Isen“ (Eisen) deutet aber auf die Entstehung hin und man kann sich leicht vorstellen, wie die keltischen Jäger und geschickten Handwerker schon vor vielleicht 3000 Jahren die Iser heraufwanderten, auf der Suche nach ausgespültem Eisen– und Kupfererz im Flussbett zwischen den Bergen, um daraus ihre kunstvollen Waffen, Werkzeuge und Schmuck zu schmieden. Tatsächlich war das Riesengebirge ungewöhnlich reich an Gold, vor allem aber an Kupfer und an Eisenerz und auch mein Großvater Hofmann, der stolz auf seine alte Herkunft aus den bayerischen Alpen war, arbeitete noch viele Jahre lang in einem Bergwerk im Riesengebirge. Heute ist das Riesengebirge nur noch reich an alten Sagen und Volksmärchen um den riesenhaften Rübezahl, den Krakonosch, der die vielen Schätze und Reichtümer der Berge beschützen sollte vor der Habgier der kaltherzigen Menschen. Und auch hier finden wir wieder leicht den Zusammenhang mit der keltischen Vorstellungswelt und ihrer künstlerischen Schöpferkraft von sagenhaften Gestalten und phantasievollen Geschichten, eingebettet in urwüchsige, nebelverhangene Naturlandschaften.
Nur welche Fliege hatten die erfinderischen Kelten damals wohl verwendet?
Die beschwerliche Suche nach Eisenerz macht müde und hungrig, und die Jagd auf Berghirsche ist anstrengend, wie ich aus eigener, mühevoller Erfahrung gelernt habe. Der Fluß war damals sicher voller Bachforellen, genau wie heute, und einen brauchbaren Haken aus Kupfer oder Bronzedraht zu schmieden, ist ein Kinderspiel. Mit ein paar Federsträhnen vom wilden Haselhuhn und etwas Hirschhaar umwickelt, an eine frische Darmsaite geknüpft und an einer biegsamen Eschengerte befestigt, ist eine passable Fliegenrute schnell hergestellt, wie jeder halbwegs anständige Wilderer noch vor wenigen Jahrzehnten wußte.
Eine Ahnung ging in mir auf, von dem besten Bindematerial das ich kenne, von den Federn des Großen Uhu und vom Auerhahn des Riesengebirges und von dem uralten Muster der „Hofland“ Naßfliege aus dem Erzgebirge. Meine Lieblingsfliege, spärlich gebunden in rostbraunen, natürlichen Farbtönen und mit einem kupfer- bis weinroten, schlanken Körper auf schwerem Haken. Diese dunkel geheimnisvolle, einfache Fliege hatte mir große Bachforellen und selbst Lachse gebracht überall dort, wo die Verhältnisse genauso rau, felsig, hart und gottverlassen waren wie im Riesengebirge, in Norwegen, in Wales und im schottischen Hochland.  Sogar am Rio Irati im Norden der baskischen Pyrenäen, nachdem alle anderen Fliegen versagt hatten.
Meine geschichtsbewußten Engländer hörten aufmerksam zu, aber die ganze Zeit über, als wir auf den warmen Flußsteinen in der Sonne hockten, hatte ich das Gefühl, daß mich jemand von schräg hinten beobachtet und ich fühlte einen bedrohlichen Schatten hinter mir.
Ich schaute zurück über meine Schulter und fuhr zusammen. Erschreckt sah ich einen Riesen hinter mir stehen! Die Engländer, die mir gegenüber saßen, lachten vergnügt auf. Es war ein großer hölzerner Heiliger, der da aus einem Baumstamm gemeißelt am polnischen Ufer bei der Brücke stand und mich aus weit offenen, weiß angemalten Augen anstarrte!  Kruzifix und Rosenkranz in den Händen. Was für ein seltsamer Scherz der katholischen Polen. Doch der Riese sollte wohl nicht den guten alten Krakonosch, sondern sicher den heiligen Jakob darstellen, den Schutzpatron des Wanderers.
Auf dem rechten Ufer der Iser folgten wir unserem Weg weiter Flussaufwärts. Der Pfad wurde jetzt breiter und bequemer, das leise Rauschen des Flußes begleitete uns beständig, als wir durch den Schatten des dichten Fichtenwaldes wanderten. Bevor wir nach einigen Kilometern aus dem Wald in das offene Hochmoor der großen Iserwiese traten, bog ich noch einmal vom Weg ab und hinunter zum Fluß. Die drei Engländer hinter mir zwängten sich durch das dichte Gestrüpp aus Fichtenzweigen und dann standen wir am Ufer. Wir blieben im Schatten der Bäume und betrachteten still das Wasser. Vor uns war eine besonders reizvolle Strecke des Flusses mit einem guten Gumpen zwischen großen Felsbrocken und umgestürzten Fichten. Weitere Gumpen stromabwärts und auch eine seichtere Stelle hinter der Flussbiegung, die sich durchwaten ließ. Wir berieten uns knapp und leise wie Jäger.
Die Reihe war jetzt an „Russ the Elder“ und der grauhaarige Fotograf bereitete ruhig und gelassen seine Rute vor. Ich blieb bei ihm und nahm seinen schweren Rucksack mit der Fotoausrüstung von meinem Rücken. „Simon the Kidd“ ging am Waldrand entlang zu der seichteren Stelle unterhalb des Knies und „Russell the Boss“ wollte es ein paar Schritte weiter stromauf versuchen. Wir suchten eine Trockenfliege aus und Russ stellte sich geschickt am Ufer an, gedeckt von einem brusthohen, runden Felsblock vor ihm. Mit einigen kurzen Schwüngen warf er seine Angel aus.
Der jüngere Russell hatte auch eine gute Stelle gefunden und ich sah, wie er sich auf einem großen, trockenen Uferstein flach auf den Bauch legte, den Kopf vorsichtig über den Rand streckte und forschend in die Tiefe des Wassers unter dem Felsen schaute...
Dann ließ ich die Beiden ihre Würfe mit der Trockenfliege genießen, stellte die Rucksäcke auf einen flachen, trockenen Stein in den Schatten und kramte meine Zigarren hervor. Über dem Knie des Flusses setzte ich mich auf den hohen Felsen und konnte von hier aus wunderbar beide Teilstrecken stromab und stromauf beobachten. Bequem lehnte ich mich mit dem Rücken an eine Fichte. Die Zigarre schnitt ich mit dem scharfen Taschenmesser ein und zündete sie langsam an.
Die Wärme der Sonne war angenehm auf meinem Gesicht und machte mich schläfrig. Durch das Hemd fühlte ich die raue, schuppige Rinde des Fichtenstammes auf meinem Rücken. Der würzige Geschmack des guten Tabaks in meinem Mund machte den Nachmittag beinah vollkommen und ich nahm ein paar kräftige Züge. Als der bläuliche Rauch langsam aufstieg, konnten meine englischen Gäste sehen, wo ich mich befand. Ich hörte sie lachen durch das freundliche Plätschern des Stromes hindurch. Nun kam auch „Simon the Kidd“ ins Bild unterhalb des Felsens. Mit seinen langen Beinen watete er in den Fluß hinaus wie auf Stelzen. Er hatte tatsächlich seine Wathose heimlich mitgenommen. Im Wald hat er die schwere Hose aus seinem Rucksack hervorgeholt und angezogen und watete jetzt zufrieden in der Mitte des Flusses stromaufwärts.
Von oben sah ich, wie Simon mit kurzen ruppigen Würfen, bei denen er kaum die Schwimmschnur verwendete, die Stellen um die Steine im Wasser vor sich bearbeitete. Bald kam er in Stimmung und landete eine Forelle nach der anderen in seinen kleinen hölzernen Kescher mit den schwarzen Netzmaschen, die aussahen wie die auffälligen Netzstrümpfe von aufgetakelten Damen und vor denen die scheuen Forellen immer zurückweichen. Ohne sie länger anzuschauen, setzte er die Forellen flink zurück und arbeitete routiniert weiter. Als er mit seinen Mikro-Nymphen alle Fische gehakt hatte, die unter den Steinen in der Mitte des Flusses standen, wendete er sich den Uferbänken zu und warf abwechselnd unter das linke und das rechte Ufer, während er sich sehr effektiv stromauf bewegte.
Russ der Ältere blieb seiner guten Stelle treu, hatte mehrmals die Trockenfliege gewechselt und bereits drei Forellen zurückgesetzt. Ähnlich arbeitete der Klassiker Russell mit seiner einzigen Klinkhammer Trockenfliege, aber er suchte gezielt Forellen, wechselte die Stellen und machte auch immer wieder schöne Würfe stromauf. Hier hatte ich einen representativen Vergleich klassischer und moderner Techniken des Fliegenfischens direkt vor mir am Fluß entfaltet und dabei konnte ich sogar noch meine gute Zigarre genießen. Mit seinem Nymphen und Wettkampf-Stil hatte Simon bei Weitem die meisten Forellen gefangen, 17 Fische in kaum mehr als 1 ½ Stunden. Es war auch eine größere Forelle dabei.
Russ der Ältere hatte 4 gefangen, aber in aller Ruhe und noch dabei fotografiert. Russell der Chef fing 8 Forellen mit seiner Trockenfliege und hatte wieder die Größte erbeutet, eine besonders feiste und dunkel gefärbte Bachforelle.
Jetzt hörte ich „Russ the Elder“ pfeifen und meinen Namen rufen. Ich sprang auf und lief zu ihm ans Ufer hinunter. Er hatte eine schön gezeichnete Forelle mit großen roten Tupfen an der Fliege und wollte sie mit Nahaufnahmen fotografieren und brauchte mich. Ich legte mich dazu mit dem Oberkörper über einen großen runden Flußstein am Ufer und hielt die Forelle am kurzen Vorfach in der Strömung. Mit der anderen Hand hielt ich eine faltbare Aufhelltafel aus Silberpapier und leuchtete damit den Forellenkopf auf und die rot-weiße, buschige Fliege, die geduldig in den Ringen der Wasseroberfläche schwammen. Russ kniete neben mir und fotografierte. Er war mit der Arbeit zufrieden und wir konnten die staunende Forelle schnell wieder in die Freiheit entlassen. Ich richtete mich auf und setzte mich auf einen der Ufersteine und zündete wieder meine Zigarre an, die ausgegangen war. Plaudernd und lachend saßen wir beide da, zufrieden mit dem Tag und mit dem Fliegenfischen und mit unseren Aufnahmen.
Dann steckte ich die Streichhölzer und das Lederetui mit den kurzen Robusto-Zigarren zurück in die rechte Brusttasche meines leichten Sommerhemdes und holte das Leinenfutteral mit der Smuggler Rute aus dem Lederköcher auf  meinem Rücken.
Ich hatte einen kleinen Teil des Flusses beobachtet, der noch nicht befischt worden war.
Die Steckverbindungen der 6-teiligen Hardy Gem Fliegenrute waren leicht eingewachst und passten satt und unverrückbar ineinander, als ich mit dem Teil der Rutenspitze zuerst anfing.
Nachdem ich bei dem Griffteil angekommen war, schaute ich mit dem rechten Auge über die 9 ½ Fuss Länge der zusammengebauten Rute wie über die Schiene eines Flintenlaufs, um die Geradlinigkeit der Ringe zu überprüfen. Dann schlüpfte die gute Perfect Rolle aus dem geschmeidigen Futteral aus Hirschleder, welches am Rutenköcher befestigt war, in meine linke Hand und an den Rollensattel der Rute in meiner Rechten. Die schwere Messingrolle knarrte leise und klang metallisch, als ich die Schwimmschnur der Gewichtsklasse #6 herauszog und durch die Ringe führte. Diesen hellen Klang des Federstahls im Messinggehäuse mochte ich und es tat mir gut, den vertrauten Klang der Rolle wieder zu hören. Ich machte einige Leerschwünge ohne Fliege und fühlte die perfekte Ausgewogenheit der schweren Rolle an der langen Rute in meiner Wurfhand.
An das geflochtene, verjüngte Vorfach knüpfte ich ein 0,20 Fluorcarbon mit 6 Pfund Tragkraft und beließ das gesamte Vorfach auf das etwa 1½-fache der Rutenlänge. Aus meiner Bambusdose suchte ich eine mittelgroße Nassfliege und eine kleine Nymphe heraus und steckte die flache Dose wieder zurück in die linke Brusttasche am Hemd. Die schlanke, olivgrüne Nassfliege mit spärlichen braunen Hecheln knüpfte ich oben frei an einen kurzen Seitenarm, und die unbeschwerte kleine Nymphe aus Fasanenschwanz auf massivem, kurzen Haken etwa 3 Fuss darunter an die Spitze.  Für das kristallklare und nicht allzu tiefe Wasser der Iser am Oberlauf verwende ich gerne meine leichteste Ausrüstung. Am Unterlauf trage ich am liebsten meine 10 Fuss Hardy Origin Rute in der Schnurklasse #7, mit einem kräftigen Vorfach von etwa 2 Rutenlängen für große Forellen und Äschen.
Nachdem ich meine ledernen Wanderstiefel ausgezogen und mit den leichten Watschuhen aus dem Rucksack gewechselt hatte, stieg ich langsam und behutsam in den Fluss und fühlte den eiskalten Strom des Wassers um meine Waden. Es ist zuerst ein Schrecken für die Haut und man spürt, wie sich das Gewebe zusammenzieht, aber nach einer Weile wird das kalte Wasser erfrischend und angenehm an den müden Beinen, die sich nun lebhaft durchbluten und dann entspannen nach dem langen Marsch. Das Böker Taschenmesser mit den guten, doppelten Trapperklingen aus nicht rostfreiem Kohlenstoffstahl nahm ich aus der Hosentasche meiner Shorts und steckte es in die Brusttasche zu den Zigarren, um es nicht nass werden zu lassen.
Meine Hände streckte ich in den kühlenden Strom, befeuchtete mein Gesicht und machte auch den langen Korkgriff der Rute nass. Die schlanke Zigarrenform fühlte sich fest und sicher an in meiner Hand. Als ich bis zu den Oberschenkeln im Fluss stand, verharrte ich eine Zeitlang unbeweglich und beobachtete das Wasser und das gegenüberliegende Ufer.
Dann machte ich einige Leerwürfe, um mich aufzuwärmen. Zufrieden fühlte ich die Geschmeidigkeit der Rute und den spannenden Zug der Schnur beim Rückwurf. An einer Stelle die mir gefiel, ließ ich die beiden Fliegen schräg stromabwärts aufsetzen. Nachdem auch die Nassfliege abgesunken war, streifte ich ein wenig Schnur ein und führte die Fliegen mit tiefer Rutenspitze durch die Strömung, die Schnur in der Linken, aber gefühlvoll über die Fingerspitzen von Zeige– und Mittelfinger der Rutenhand gestreift.
Als die Schnur in einem Bogen herumkam und sich in der Strömung spannte, wurde die Nymphe angehoben und kam wieder vom Grund herauf. Die Nassfliege darüber zeigte sich auch wieder an der Oberfläche, als ich die Rutenspitze sachte anhob. Bevor ich langsam ein wenig Schnur einzog, ließ ich die gut sichtbare Fliege noch einen Augenblick frei auf der riffeligen Strömung tanzen. Die nasse Fliege funkelte verführerisch im Sonnenlicht. Dann vollendete ich das seitliche Anheben der Schnur auf der Wasseroberfläche, ließ die Fliege noch einmal in Zeitlupe die Strömung küssen, als sich die Rute bereits auflud und der Rollwurf mit einer Änderung der Richtung gegen den Strom die Fliegen wieder nach vorne und unter das gegenüberliegende Ufer brachte.
Beim nächsten Einstreifen der Schnur watete ich noch zwei Schritte weiter hinaus. Ich stand jetzt bis zu den Lenden im Wasser und das ist auch mein Höhenmaß, wie weit ich in einen Pool mit mäßiger Strömung hinauswate. Ich fühlte die angenehme und gesunde Kühlung an meiner eigenen Grenzlinie, die ich mir gesetzt hatte und an der die Durchblutung für Männer besonders wichtig und der Fruchtbarkeit förderlich ist. Wir nennen es die kalte Durchblutung für das „dritte Bein“. An diesem sonnigen Nachmittag konnten größere Forellen nur an dem tiefen Ufer im Schatten gegenüber stehen und kleinen Forellen stelle ich schon lange nicht mehr nach. Mit dem nächsten Rollwurf hatte ich die richtige Länge der Schnur erreicht und konnte jetzt die tiefen Stellen in der Strömung zwischen den Felsblöcken bearbeiten. Mir gefiel die Mühelosigkeit des Rollwurfs und ich hatte schon früh gelernt, daß diese Leichtigkeit beim Abheben von Schnur und Fliege am wenigsten Unruhe auf der Wasseroberfläche verursacht. Und man vermeidet unnötig viele Rückwürfe, bei denen die glanzlackierte Rute weit sichtbar über dem Fischgumpen funkelt oder bei denen man mit dem langen Vorfach im Ufergestrüpp hängen bleibt.

Lange Vorfächer sind großartig und helfen dabei, um auch große alte Forellen zu überlisten. Die oben angehängte, größere Trocken- oder Nassfliege greift tagsüber meist nur eine kleine Forelle oder ein agressiver Saibling an, während die winzige, oft noch beschwerte Nymphe darunter, manchmal auch von einer Großforelle angenommen wird, die sich über die große Fliege nur ärgert. Der Ärger der sonst vorsichtigen Forelle wird oft so groß, daß sie wenigstens über die kleine, harmlos aussehende Nymphe darunter herfällt. Diese Taktik wende ich gern und in vielen Varianten mit verschiedenen Kombinationen von Fliegen an Flüssen und Seen an. Zumeist versuche ich dabei, aus dem Wasser draußen zu bleiben, damit mich der Fisch nicht fühlen kann und ich bewege mich so wenig wie möglich.
Ich pirschte wieder ein paar Schritte weiter stromabwärts und machte den nächsten Rollwurf über die rechte Schulter. Mein Bergstock mit der griffigen Gummikappe am Fußende hing an einer groben Kordel quer über die Schulter und schwamm an meiner linken Seite. Die Fliegen arbeiteten schön in der Strömung und an besonders fischverdächtigen Stellen hob ich die Rutenspitze unmerklich an oder gab den Fliegen eine leise Bewegung über die Schnur in den Fingern meiner linken Hand. Obwohl ich versuchte, mich auf meine fischenden Fliegen zu konzentrieren, hatte ich wieder das Gefühl, dass jemand meinen Rücken anstarrt. Ich blickte zurück über die Schulter. Auf der Uferbank hinter mir standen meine drei englischen Freunde nebeneinander wie die Drei Musketiere und schauten mir zu, ihre Fliegenruten in den Händen und bequem auf die Bergstöcke gestützt...
Wir traten aus dem Wald heraus und auf die offene Wiese der Iser und folgten dem Weg weiter auf der polnischen Seite des Flußufers. Der weite Himmel über uns hatte sich zugezogen und dunkle Regenwolken trieben uns von Norden her entgegen. Die Iserwiese ist eine Hochland-Moorwiese und nur hier und da von niedrigen Latschenkiefern bewachsen. Der lockere, inselhafte Bewuchs der Kiefernbüsche verdichtet sich und wird zu einem undurchdringlichen Dickicht, je weiter man zum Urspung des Flußes hinaufsteigt. Die Natur ist rauer hier oben, der Wind bläst kälter und die Berge ringsum sind brockenförmig abgeschliffen von den Gletschern der letzten Eiszeit, die hier erst vor rund 11500 Jahren zu Ende ging. Es wachsen seltene Bergblumen, Kräuter, Flechten und Moose, es leben heimliche Waldvögel hier und seltsame Lurche, Kleingetier und Insekten, wie man sie sonst nur noch in den norwegischen Bergen findet, die von ganz ähnlichem Charakter sind und wohin sich die eisigen Gletscher zurückgezogen haben. Nur vereinzelt stehen einige kleinwüchsige Fichten wie Kerzen um die Wiese herum und immer wieder einsame, solitäre Felsen aus Granitstein, die irgendwie von den Kräften der Natur zu bizarren Skulpturen geformt worden waren und  die der Volksmund als „Trolle“ kennt. Das Riesengebirge und der Harz und das Altvatergebirge sind sehr alte Gebirge und die nördlichsten Mittelgebirge in Zentral-Europa, und hinter der letzten Berglinie vor uns am Horizont fällt das Gebirge in jähe Schluchten ab und auf die polnische, schlesische Seite hinunter. Dann bleibt das ganze große Land flach bis hinauf zur Ostsee, und erst weit hinter dem Meer erheben sich wieder die skandinavischen Berge aus dem gleichen, harten Granitgestein empor. Tatsächlich hat das Riesengebirge viele Gemeinsamkeiten mit dem Schottischen Hochland und mit den erzhaltigen Bergen Norwegens und sogar mit dem weiten, russischen Ural.
Der Nordwind schlug uns entgegen und es begann zu regnen und vor uns lag der lange Schotterweg über die Moorwiese in gleichförmigen, welligen Hügelkämmen, die nicht enden wollten. Die Engländer hatten ihre leichten Regenjacken übergeworfen und gingen stur hinter mir her, stumm in ihr Schicksal ergeben und fragten nur hin und wieder leise, wie weit es noch sei. Dann kamen wir über den letzten Hügelkamm und ich zeigte auf die Berglinie am Horizont vor uns, die jetzt näher gekommen war. Es hatte wieder aufgehört zu regnen und man konnte ein verwittertes Holzhäuschen in der Ferne erkennen, welches sich klar abzeichnete vor dem dunklen Fichtenwald und dem Berg dahinter. Sie nahmen ihre nassen Kapuzen ab und schauten sich mit bleichen Gesichtern an und konnten nicht glauben, daß ich noch so weit mit ihnen zu Fuß laufen wollte. Ich hatte inzwischen mein Hemd gegen ein Trockenes gewechselt und das Nasse über dem Rucksack auf den Rücken gehängt...
Durch die enge Tür traten wir in den kleinen, niedrigen Gastraum der „Alten Schule“. Schwere, grob behauene Tische und gehobelte Bänke standen an den Wänden. Vor dem großen offenen Kamin aus Feldstein stand ein knorriger Fichtenstamm als Stützpfeiler mitten im Raum, und ich hängte meinen Rucksack und den Lederköcher mit der Smuggler-Rute an den Haken darauf. Ich schaute mich um. Einige polnische Wanderer saßen still in einer Ecke und aßen. An den Wänden hingen die alten, schwarz-weißen Fotografien und vergilbte Landkarten mit deutschen Aufschriften. Das Hirschgeweih über dem Kamin. Es hatte sich nichts verändert. Ludmila, die Wirtin, kam lachend aus der Küche und trocknete sich die Hände an ihrer Schürze ab. "Lang bist du nicht mehr hier gewesen, Jan". Gern sah ich ihr offenes, gutherziges Gesicht und ihre geröteten, gesunden Wangen. Wir begrüßten uns herzlich. „Ich habe diesmal Freunde mitgebracht. Es sind Engländer. Auch Fliegenfischer. Hast du tschechisches Bier da?“ „Leider nur unser polnisches“, antwortete Ludmila, „aber gutes Bier, wird euch schon schmecken, ihr müßt ja durstig sein!“ 
Wir setzten uns an den großen Tisch am Fenster und „Russ the Elder“ betrachtete die vielen Schwarz/Weiß-Fotografien an den Wänden. Die Aufnahmen zeigten die „Alte Schule“ vor dem Krieg, in den 20er und 30er Jahren, und den früheren Klassenraum, in dem wir jetzt saßen. Die weit verstreuten Gehöfte und Bergbauden in dem Hochtal der Iserwiese, an die heute nur noch einige überwucherte Steinmauern und Fundamente entlang des Flußes erinnern und an die völlig unabhängige Almwirtschaft, die es hier oben einmal gab. Dazwischen Portraits von zünftigen Charakterköpfen und strammen Originalen mit Schnurbärten, einige in Pose mit Hosenträgern und hochgekrempelten Hemdsärmeln bei der Arbeit, mit Hacken oder langstieligen Äxten in den harten Händen und sehnigen Unterarmen. Darunter typische Familiennamen wie Zermann, Hofmann, Erlebach, Tauchmann, Langer, Ulver und Hofer, die bis heute im Riesengebirge gegenwärtig sind. Eine große Fotografie in der Mitte zeigte die alte deutsche Lehrerin mit Kopftuch, die jeden Morgen die Glocke in dem Türmchen auf dem Dach läutete, um die Schulkinder aus den weit entfernten Gehöften zur Schule zu rufen.
Das Bier kam wie ein Gottessegen in großen Glaskrügen mit Henkel, weizengelb und gut gekühlt. Wir stießen an und bestellten gleich die nächste Runde. „Habt ihr Wild auf der Hütte, einen Hirschgulasch vielleicht?“ fragte ich Ludmila.
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. "Nein, seit du hier nicht mehr zur Jagd gehst, bringt uns niemand mehr Wild. Die Förster behalten alles für sich oder verkaufen das Hochwild am ganzen Stück in die großen Hotels, und die Rehe kommen jetzt bis in meinen Garten hinter dem Haus.“ „Gut, dann versuche ich für heute Abend ein paar Forellen mitzubringen,“ antwortete ich ihr. „Aber ich kann euch jetzt Pfannkuchen mit frischen Heidelbeeren machen. Die magst du doch,“ bot Ludmila an. Ich bestellte und beriet mich mit der Wirtin über das Abendessen und die Getränke, wenn wir später vom Fliegenfischen am Abend zurückkommen würden.
Die großen runden Pfannkuchen lagen vor uns auf dem Tisch und waren auf schweren Holztellern serviert. Sie waren noch heiss und dufteten. Wenn man sie aufschnitt, liefen die dampfenden Blaubeeren heraus.
„Russ the Elder“ wollte sich erheben, um nach dem Bier und vor dem Essen noch auf die Toilette zu gehen, aber seine steifgewordenen Beine und der Rücken schmerzten ihn, so wie uns alle. Auf der dicken Tischplatte wollte er sich abstützen und traf dabei mit der Hand auf den großen Holzteller mit dem runden Blaubeerkuchen, der etwas über die Tischkante ragte.
Er legte soviel Gewicht auf seinen Arm, um von der Bank hochzukommen, daß der schwere Holzteller wie aus einem Katapult über die Kante hochschnellte, sich mitsamt dem Kuchen überschlug und in einem fantastischen Bogen an den Nachbartisch flog. Die wenigen polnischen Wanderer im Wirtshaus schreckten auf, als der Teller gegen den Nachbartisch schlug. 
Einen Moment lang war es Totenstill im Raum, nur der harte Aufschlag des schweren Holztellers auf Tisch, Bank und Holzboden klang noch nach...
„Russell the Boss“ drehte sich empört ab und schüttelte den Kopf. Dann prustete jemand laut auf und konnte seine Schadenfreude nicht mehr zurückhalten. Wir mußten alle lachen und auch die Polen am Nebentisch und die Köchin am Küchenfenster lachten über das Zirkus-Kunststück. „Russ the Elder“ lief nur ein wenig rot an, aber sonst behielt er als echter Engländer völlig die Fassung und ging aufrecht zur Toilette hinaus, wie er es vorgehabt hatte.
Wir nannten es dann „Blueberry Pie Flipping“ und Russ den Älteren „The Flipping Fly-Man.“
Ich ging hinüber zu dem polnischen Tisch und entschuldigte uns, die Köchin kam mit einem Eimer und räumte den warmen, duftenden Kuchen vom Fußboden auf.
Als Russ zurück kam, mußte ich einmal mehr den englischen Humor bewundern und die sympathische Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können. Brüderlich teilte ich meinen Heidelbeer-Pfannkuchen mit Russ, denn die Heidelbeeren waren gerade ausgegangen und die Köchin konnte keinen weiteren mehr backen. Es war noch früh in der Saison für Blaubeeren. Und auch noch zu früh für einen „Flipping Fly-Man.“
Nach dem polnischen Landkaffee schauten wir aus dem weiten Fenster an unserem Tisch hinaus und auf den Fluss weit unten im Tal vor uns. Die Abendsonne stand schon tief und würde bald hinter dem finsteren Fichtenwald neben der Baude verschwinden. Es war jetzt klar und windstill und ein herrlicher Juniabend zum Fliegenfischen. Unsere müden Beine wollten aber dennoch nicht aufstehen. Ich ließ ein Tablett mit Gläsern und mit dem guten polnischen Slivovic kommen, um unserem Mut auf die Beine zu helfen. Das schöne bunte Etikett hatte die gemalten Pflaumen auf der Flasche. Die vier kleinen Schnapsgläser füllte ich bis zum Rand und stieß mit meinen Freunden an:
„In das rechte Bein!“ Nach einer Weile füllte ich nach und wir tranken auf das linke Bein.
Das fühlte sich jetzt besser an und die Engländer mußten noch einen Drink
„In das dritte Bein!“ zu sich nehmen. 

Dann konnten wir aufstehen und steif unsere Rucksäcke vom Haken herunter nehmen. Mit den Rutenrohren in der Hand traten wir hinaus vor die Hütte. Deshalb waren wir doch hier herauf gekommen. Es war sehr still draußen und die Luft roch kühl und frisch nach dem kurzen Regenschauer.
Wir gingen hintereinander über die nasse Wiese und überquerten den Fußweg und folgten einem schmalen Wildpfad hinunter zum Fluß, der in dem gleißenden Abendlicht still vor uns lag ...







Ein Bericht von Jan Haman für www.fliegenfischer-forum.de - September 2013. 
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