"Frauen sind die besseren Angler!"

Angeln? Fischen? Angeln, das ist doch, wenn Mann am Wasser Bier trinkt! Und sie sitzt im gebührendem Abstand auf einem Gartenstuhl dahinter, um die scheuen Fische nicht mit dem Geklapper ihrer Stricknadeln zu verschrecken.
Nicht so auf der anderen Seite der Erde - in Neuseeland. Hier wird so gefischt, wie wir es von Brad Pitt in dem Film „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ kennen: Bis zu den Knien im klaren, rauschenden Wasser und immer in Bewegung. Eins mit der Natur. In Neuseeland wird die Sportfischerei ganz selbstverständlich auch von Frauen betrieben.
Neuseeland ist einer der erstaunlichsten Flecken Erde auf dieser Welt. Hier ist die Erde noch jung und heiß. Kaum 4000 Jahre ist es her, nach erdgeschichtlicher Zeitrechnung nicht einmal eine Sekunde, dass zwei gewaltige Eruptionen ein riesiges Loch in die Mitte der neuseeländischen Nordinsel gesprengt haben. In den folgenden Jahrhunderten kühlte der Schlund langsam ab und füllte sich mit dem Regen- und Schmelzwasser, das die Hänge der umliegenden, neu enstandenen Vulkane herabfließt.
Der so enstandene Lake Taupo ist heute 616 km³
groß, 50 km lang und 30 km breit, ein kleines Binnenmeer, in das circa 50 Bäche und Flüsse einmünden und den See in dem mächtigen Waikato River wieder verlassen.
Am Südrand des Lake Taupo, dort, wo der Tongariro River in den See mündet, lebt Carol Harwood mit ihrem Mann Frank in Turangi, Tongariro Road Nummer 8. Turangi ist ein kleiner Ort mit 5000 Einwohnern. Doch Turangi ist auch ein bedeutender Ort, der Nabel der Welt, jedenfalls was die Forellenangelei angeht. Das steht schon auf den beiden Ortsschildern am State Highway 1, der durch Turangi verläuft.
Carol Harwood ist „Kiwi“, gebürtige Neuseeländerin. Ihre Lebensart und ihr Denken sind geprägt durch ihre schottischen Vorfahren. Es waren diese frommen Einwanderer, die Mitte des 19. Jahrhunderts zu ihrer Erbauung die Bach- und die Regenbogenforelle in Neuseeland einführten. Diese Neubürger, „Browns“ und „Rainbows“, gediehen in der konkurrenzlosen Situation des Lake Taupo und seiner Zuflüsse hervorragend, viel besser als in ihrer angestammten Heimat. Die ersten Rekordfänge sind aus dem Jahr 1893 überliefert.
Und es waren auch diese frommen Schotten, die mit den Forellen die Gebote für die Sportfischerei nach Neuseeland brachten. Das erste Gebot lautet: Only Flyfishing! Und Fliegenfischen (Flugangeln müsste es korrekterweise im Deutschen heißen) bedeutet hier mehr als nur mit der „Fliege“ Beute machen. Fliegenfischen ist eine Lebenseinstellung, in der Ästhetik, Eleganz und Fairness einen hohen Stellenwert besitzen. Der Köder, die Fliege, hat immer einen Namen: Parson`s  Glory, Mrs. Simpson, Kakahi Queen oder Twilight Beauty.
Die Harwood Claret ist nach der Großmeisterin der edlen Fischwaid Carol Harwood benannt. Würmer haben keine Namen. Das Wissen, dass man Fische auch mit Würmern fangen kann, ist in Neuseeland vollkommen in Vergessenheit geraten.
Und das Fliegenfischen ist weiß Gott keine simple Angelei: Eine Schule des Geistes! Eine Kunst! Technisch schwierig und physisch eine Herausforderung.
Ein anderes Gebot lautet: Catch and Release! Gefangene Fische werden möglichst schonend behandelt und nach dem Fang behutsam in ihr Element zurückgesetzt.
Fünf Jahrzehnte demütigen Lernens hat die 56-jährige Carol auf dem Buckel, seit sie ihr Vater als Kind zum ersten Mal auf eine Wiese stellt, ihr die leichte Angelrute in die Hand gibt, den Rhythmus des komplexen Wurfes wie ein Mantra spricht, damit die Kleine die Schnur in die Luft bekommt: forward cast– break – backcast – break – 11 o clock – stop – 1 o clock – stop ... 

56 Jahre voller Fischwissen. 56 Jahre voller Glück – und Leid. Doch kein Anglerleben reicht aus, um alle Geheimnisse dieses Sports zu ergründen. Carol Harwood ist zur Begleiterin durch dieses Universum geworden.

Carol Harwood ist Guide, Fishing Guide, Mitglied im Verband der neusee- ländischen Fishing Guides.

8 Uhr, ein bedeckter Sommermorgen in Turangi. Ein roter Chevy Pickup fährt vor die Veranda des Hauses in der Tongariro Road in Turangi. Mit kurzen Hosen steigt Rachel Mitchell aus dem Wagen und setzt sich nach herzlicher Begrüßung mit Carol neben die bereit stehenden Becher mit Tee. Rachel ist überpünktlich. Rachel und Carol sind zum Fischen verabredet, und Rachel will fischen! „She´s a keen fisherman!“, redet Carol über Rachel, was wohl so viel heißt wie: Sie ist heiß aufs Fischen!

Sieben Jahre ist es her seit die 29-jährige Rachel mit ihrem Mann Andrew Edinburgh verlassen hat und nach Neuseeland ausgewandert ist. Heute betreiben die beiden eine Deer Farm auf dem Weg nach Roturua, die als Zuchtbetrieb einen Ruf in Neuseeland genießt.

„Natürlich hat Andrew auch schon zu Hause gefischt. In Schottland sind die Jagd und das Angeln ein ritualisiertes Männer- vergnügen. Doch hier in Neuseeland, wo es in jeder Hinsicht konventionsloser zugeht, angeln auch Frauen. Durch unser Land fließen allein drei Gewässer mit gutem Fischbestand, und für eine geringe 

Gebühr darf ich in allen unzähligen Still- und Fließgewässern in ganz Neuseeland fischen. Ich wollte nicht nur am Wasser spazieren gehen. Nach einem vielschichtigeren aproach zur Natur habe ich mich gerade hier in Neuseeland gesehnt, und da erschien mir die Angelei mit dem, was ich davon wusste und wie sie hier betrieben wird, genau das Richtige.
Leider war Andrew kein guter Lehrmeister im Fischen! Ihm fehlte die Geduld, mit mir bei Null anzufangen. Wenn schon fischen, dann wollte er lieber selber fischen und auch Fische fangen. Eine Tausend-Dollar-Angelrute, die überhaupt nicht meinen damaligen sportlichen Fähigkeiten entsprach, hat er mir noch geschenkt und mich damit allein am Wasser stehen lassen.“
Vor sechs Jahren hat Rachel zum ersten Mal Carol angerufen. Sie weiß nicht mehr, wie sie an die Nummer von Carol gekommen ist. Sie weiß aber noch, dass sie damals unbedingt von einer Frau das Fischen lernen wollte: „Frauen sind die besseren Angler!“ Denn Fliegenfischen hat nichts mit Kraft und einem rudimentären männlichen Jagdinstinkt zu tun, sondern mit Geduld, Beharrlichkeit, Dialogfähigkeit, Sinn und Gefühl, erklärt sie.
Rachel begann mit Carol von vorn, auf der Wiese: forward cast – break – backcast – break  ... Sie lernt  10 m, 15 m, 20 m der Flugschnur waagerecht zum Boden wie einen Strich in der Luft zu halten. Sie lernt, was „Präsentation“ ist und bedeutet. Das ruhige, behutsame Ablegen der gesamten Schnurlänge auf dem Wasser mit dem Schnurende, der „Fliege“, in einem imaginären Ziel. Mit Carol unterwegs am Wasser lernt Rachel den Fluss zu lesen, zu erkennen. Das kristallklare, durchsichtige Wasser. Die Strömung, den steinigen Grund und die Ufer. Die Entwicklungsstadien der Insekten.
Das Verhalten der Vögel über dem Wasser. Alles ist immer im Fluss, in Bewegung, nicht einfach zu lesen. Sie lernt das komplexe Bewegungsmuster einer Forelle im Wasser zu erkennen und danach zu suchen. Und die „Browns“ und „Rainbows“ wird nur gewahr, wer sich im Erlebenkönnen der Natur geübt hat!

Mit Carol unterwegs fängt Rachel ihre ersten Forellen. „Eine Schande“, gesteht sie heute ein, “habe ich diesen Fischen bereitet! Denn nichts ist schlimmer für einen Fisch, wenn der Angler nicht genau weiß, warum er ihn gefangen hat.“

In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereist der Western-Romanautor Zane Grey Neuseeland. Grey ist passonierter Angler. Wieder in den USA, schreibt Grey sein erfolgreichstes Buch, das bis heute verlegt wird: Tales of The Angler´s  Eldorado, New Zealand (New York, 1926). Das Südsee-Angelparadies am Rande der damals bekannten Welt ist entdeckt! Thronfolger und Staatsoberhäupter reisen von London nach Neuseeland und tunken während ihrer Staatsbesuche Kunstfliegen in den Tongariro River.
Mit 6 Jahren hat Frank Harwood in England seinen ersten Lachs gefangen. Eigentlich hatte der Vater den Sohn nur ans Wasser geschickt, um fingerlange Köderfische zu fangen. Mit 16 Jahren angelte Frank den größten Lachs (37 lbs) seines ganzen bisherigen Anglerlebens. 2 Stunden hat der Tanz seinerzeit gedauert, bis das stolze Tier auf den Schuppen lag. Und doch bitter, mit 16 Jahren sah Frank schon einem Leben ohne weitere anglerische Höhepunkte entgegen. Bis er eines Tages Greys Tales of The Angler´s Eldorado, New Zealand in die Hände bekommt.
Mit heißen Ohren verschlingt er die 250 Seiten des Buches. Immer wieder.

Vor 37 Jahren, nach bestandener Malerlehre, verlässt Frank mit 20 Jahren Lancashire in Richtung Neuseeland und kehrt nie wieder in seine Heimat England zurück. Am Ufer des Tongario River lernt Frank die junge Neuseeländerin Carol Calkin kennen.

Der zunehmende Fern- und Abenteuertourismus dieser Zeit ermöglicht den beiden ein Leben als Fishing Guides in Neuseeland. Der Verband der organisierten FishingGuides von Neuseeland hat heute über 500 qualifizierte Mitglieder. In dem kleinen Turangi leben allein schon 30 Menschen vom Guiding. Mit über 100 Millionen NZ$ hat die Sportfischerei einen nicht unbedeutenden Anteil am Sozialprodukt des dünn besiedelten Inselstaates in der südlichen Südsee.

Rachel hat ihre Füße auf den Tisch gelegt, nippt an ihrem Tee und hört Carol gespannt zu. Die referiert, was sie am Vorabend in Telefonaten mit Farmern, Kollegen und einheimischen Sportfischern in Erfahrung gebracht hat. Ihr Resümee: Es gibt bessere Gelegenheiten zum Fischen im Angelparadies Neuseeland, als sie zur Zeit vorherrschen, aber im Mittellauf des Tauranga-Taupo Rivers sollen die Bedingungen fair sein. Hoffnung besteht.

Von der Mündung des Tauranga-Taupo Rivers in den Lake Taupo geht es fünf Kilometer mit dem Pickup über einen Feldweg durch Farmland. Die Frauen stellen den Wagen ab und  bereiten sich auf die Wanderung zum Fluss vor. Polypros, lange Unterhosen aus Polypropylen, werden über die nackten Beine unter die Shorts gezogen.

Aus diesen Beinlingen fließt das Wasser schnell wieder heraus, und sie schützen vor Dornen und den lästigen Sandfliegen. Angelweste, Hut, Polaroidbrille und Rucksack werden angelegt, Sonnenschutzcreme aufgelegt. Los geht´s. Nach einer Stunde und fünf Kilometern Wanderung durch offenes Waldland kommen die beiden Frauen am Tauranga-Taupo River an. Weitere fünf Kilometer und zwei Stunden am wilden Fluss entlang liegen vor den beiden. Pfade entlang des Flusses gibt es hier nicht mehr. Auch und weil der Fluss nach Belieben sein Bett verlegt und die gesamte Landschaft umgestaltet.
10 Mal durchqueren Carol und Rachel untergehakt und gegenseitig abgesichert die Breite des Flusses auf ihrem Weg, weil es auf dem einem oder anderen Ufer nicht mehr weitergeht. Bei jeder Gelegenheit dreht Carol im Flussbett Steine herum, sucht nach den Insektenlarven, die auf der Unterseite der Steine haften, und vergleicht sie mit den Fliegenmustern in ihrer Fliegendose.
Stromauf, Rachel vorweg, gehen die beiden Frauen den Fluss entlang. Es geht über Sandbänke, Schotterbetten, Felsen, umgestürzte Bäume. Die Welt im Urzustand. Traumschön. 
Mit besonderer Aufmerksamkeit und an geeigneten Stellen wechseln die beiden Frauen durch den Flusslauf das Ufer. Carols Blick ist durch ihre Polaroidgläser immer auf das Wasser gerichtet. Hier wird nicht im Trüben gefischt. Sie sucht das Flussbett ab. Bis sie dann ganz unaufgeregt stehen bleibt. „Da, das könnte ein Fisch sein. Eine Rainbow, eine große, schiebt sich in der Strömung hin und her und nimmt Nahrung auf.“ Obwohl  übermotiviert, kann Rachel zwischen den Steinen und der gurgelnden Strömung nichts spezifisch Fischiges erkennen.
„Ruhe!“, verordnet Carol der jungen Frau. „Wir wollen mal schauen, ob das nicht ein Fisch ist.“ „Fangbar!“, diagnostiziert Carol,“der Fisch ist fangbar! Aber Du hast wahrscheinlich nur eine Chance, Rachel.“

12 bis 15 Meter hinter dem Fisch gehen die beiden Frauen behutsam in Stellung, genau in der Strömungslinie hinter dem Tier. Spannung. Rachel zieht 10 Meter Schnur von der Rolle ihrer Angel und bringt die Schnur in die Luft. „Gib noch einen Meter zu, noch etwas nach rechts und dann ganz vorsichtig!“, kommt es als leise Kurskorrektur für Rachel.

Die Schnur treibt auf die beiden Frauen zu ... und verschwindet nicht unter der Wasseroberfläche. „Es ist ein Fisch! Er ist noch da! Probier es noch einmal! Etwas weiter und etwas mehr nach rechts. Aber nicht zu weit. Wenn du den Fisch mit deiner roten Schnur überwirfst, dann ist er weg!“ Volle Konzentration. Die Schnur legt sich auf die strömende Wasseroberfläche. Eine Sekunde, zwei Sekunden ... Noch bevor die schwimmende Schnur im Wasser verschwindet, sieht auch Rachel den Fisch, sich bewegen, wohl mit ihrer Fliege im Maul. Die Schnur spannt sich, schon bevor sie die Rute sanft anhebt.

Endlich ist das lang ersehnte Ziehen an der Schnur, wie unsichtbares Leben, das Rachel sofort durch den ganzen Körper fährt. Entspannung.
In ihrer ganzen silbernen Pracht bricht die Forelle durch das spiegelnde Wasser, wirft sich zappelnd gegen die Schnur, taucht und zieht wieder Schnur ...

Carol schätzt das schöne Tier: „Durchschnitt. Hier gibt es noch größere Fische.“ Es folgt das obligatorische Foto. „Thanx heaps, Mrs. Trout“, und der Fisch schwimmt in die grüne Tiefe eines Pools zurück. Catch and Release ist hier erwünscht. „Bravo, well done, Rachel“, und ein Handshake.

Vor dem nächsten starken Fisch vergrämt Rachel einen Fisch durch einen unplacierten Wurf. Weg! Carol redet schon von Lunch, als die beiden Frauen noch ein wahres Monster in optimaler Deckung ausmachen. „Unfangbar!“, behauptet Carol provozierend. Der Versuch, ihr das Gegenteil zu beweisen, kostet Rachel sechs Fliegen und eine Menge Nerven beim Anbinden der kleinen Haken.

Nach dem Lunch geht Rachel wieder vorneweg. Den nächsten Fisch macht sie selbst aus. „Fangbar!“ Das gleiche Spiel. Ruhe. Ein Plan und die Durchführung. Hinter dem Tier steht sie in der Strömung des Flusses. Die rote Schnur legt sich auf dem Wasser ab. Carol hebt anerkennend den Daumen. Sekunden höchster Spannung. Kaum kann sie die Schnur auf der bewegten Wasseroberfläche vom Schaum unterscheiden. Dann ist sie plötzlich weg. Ein Ass! Erster Wurf und Biss. Am späten Nachmittag gelingt Rachel noch ein Ass.
Als Carol gegen 18 Uhr auf einer Uferbank frische Stiefelabdrücke sieht, beschließt sie, den Angelausflug hier zu beenden. Auf dem langen Rückweg resümiert Carol den Tag. 29 Forellen haben die beiden Frauen gesehen. Elf Fische hat Rachel davon beangelt und fünf gefangen. Carol ist zufrieden. Rachel ist glücklich. Ein Glück, für das es im Angellatein kein Wort gibt.
 
 

Copyright: Gebhard Krewitt
www.trout-bum.de


Ein Bericht von Gebhard Krewitt für www.fliegenfischer-forum.de
Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.
zurück zu Neuseeland... | zurück zu Reise & Report | zurück zur Startseite

Copyright © 2009 | www.fliegenfischer-forum.de  |  DAS Fliegenfischen Online Magazin |  Kontakt