Bonefish before Breakfast

ein kleiner Muntermacher für Morgenmuffel

Es liegt wohl am Einfluß der tropischen Sonne, daß hier bei uns alles etwas langsamer geschieht als anderswo. Die Menschen gehen ihr Tagewerk gemeinhin mit einer sympathischen Gelassenheit an. Liz bereitet gerade mit gemächlichen Bewegungen das Frühstück für unsere Gäste vor und summt dazu einen Gospelsong. Aus den Gästezimmern dringt ein gedämpfter Schnarch-Kanon herüber. Es ist fünf Uhr morgens und der Mond begibt sich soeben zur Ruhe. Seine Sichel liegt hier übrigens gemütlich auf dem Rücken, wie es sich für einen echten Bahamesen gehört... Wenn wir nachher mit den Booten zum Fischen nach Lovely Bay rausfahren, werden sicher wieder die rosa Flamingos auf ihrer sonnenüberfluteten Sandbank stehen. Mit stoischer Gelassenheit. Wie üblich.

Diese allgegenwärtige Ruhe und das typisch bahamesische Phlegma herrscht allerdings nur außerhalb des Wassers. Unter Wasser sieht es ganz anders aus. Da nämlich leben die schnellsten Schwimmer der Welt. Und darüber möchte ich Ihnen heute etwas erzählen. Kommen Sie doch einfach mit, wenn ich gleich mit Peter für ein gutes Stündchen vor dem Frühstück zum Fischen auf unseren "Boneyard" gehe.

Fünf Minuten Fußmarsch liegen vor uns. Über einen holperigen Pfad durch den Busch. Links vor uns raschelt etwas im Unterholz. Eine Landkrabbe mit gelben Scheren, wohl zwanzig eindrucksvolle Zentimeter mißt ihr roter Panzer im Durchmesser, verschwindet scherenklappernd unter einer Wurzel. Um Peters Kopf summt ein blauglänzender Kolibri, bleibt für einen Augenblick in der Luft stehen und huscht dann wie der Blitz davon. Durch den immergrünen Dschungel sehen wir schon das Wasser glitzern und flimmern. Nur noch ein paar knirschende Schritte über schwarzversteinerte, millionen Jahre alte Korallenbänke und unsere Füße stehen auf feuchtem, cremefarbenem Sandboden. Vor uns erstreckt sich eine riesige Wasserfläche. Hauchdünn und spiegelglatt liegt das kristallklare Wasser über dem Sandboden. Weiter draußen, vor der grünen Mangroveninsel, erscheint das Wasser babyblau.

Es ist völlig windstill und noch versuchen einige vorwitzige Moskitos, ihren Stachel durch unsere Haut zu bohren. Also raus aus dem Ufergebüsch und vorsichtig auf´s Flat waten. Da gibt es diese Plagegeister nicht. Während Peter Schnur von der Rolle zieht und sich wurfbereit macht, ziehe ich die Schuhe aus und hänge sie an meinen Gürtel. Es geht einfach nichts über barfüßiges Waten. (Vorausgesetzt man kennt den Untergrund genau und tritt nicht auf einen Stingray.) Peter ist vernünftig und behält sicherheitshalber die Neoprene-Booties an, denn er ist zum ersten Mal auf einem Flat und möchte keine hautnahe Bekanntschaft mit einem Stachelrochen machen.

Gute zwanzig Meter sind wir ins Wasser hineingelaufen. Es reicht uns nun gerade bis über die Knöchel. Ich bedeute Peter, er möge auf meiner rechten Seite so in etwa zwei Metern Abstand laufen. Damit ich außerhalb der Gefahrenzone bin, wenn er einen Wurf macht. Er hält die Fliege, eine dunkle unbeschwerte "Sump'n Else" auf Hakengröße 6, am Hakenbogen zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand. In extrem flachem Wasser reagieren die Fische besonders scheu auf laut einschlagende Fliegen. Deshalb hat die Fliege keine schweren Kettenaugen. Und weil in den frühen Morgenstunden das Sonnenlicht noch nicht bis auf den Gewässerboden strahlt, haben wir ein dunkles Muster gewählt. Das dreieinhalb Meter lange Vorfach und fast die ganze Keule der Flugschnur hängt aus dem Spitzenring der Rute, damit sofort genügend Gewicht zum Aufladen der Fliegenrute für einen schnellen Wurf vorhanden ist. Etwa 10 Meter Flugschnur hat Peter zusätzlich von der Rolle gezogen. Diese Schnur liegt jetzt in einer langen Schlaufe hinter ihm auf dem Wasser. Er wird sie brauchen, um schnell die Fliege auf die erforderliche Distanz schießen zu können. Obwohl er noch nie auf Bonefish geangelt hat, macht Peter das wie ein Profi. So ist er optimal vorbereitet für eine blitzschnelle Präsentation.

Die Sonne steht noch ziemlich tief. Peters Polaroidbrille mit kontrasterhöhenden, gelben Gläsern ist für diese Lichtverhältnisse optimal. Im Zeitupentempo waten wir voran. Das Wasser gluckert bei jedem Schritt um unsere Füße herum und ich zeige Peter, wie man möglichst geräuschlos watet. Das Bein mit nach unten abgewinkelter Fußspitze aus dem Wasser heben und genauso wieder mit der Fußspitze voran ins Wasser eintauchen. Wie ein Reiher. Das sieht ulkig aus, ist aber ungemein effektiv. "Siehst Du schon was?" fragt Peter. " Ja," antworte ich "jede Menge Wasser." Stumm und voll konzentriert suchen wir weiter. So etwas wie Blindwürfe und das Abfischen von "verdächtig fischigen" Stellen gibt es beim Bonefishing auf den Flats nicht. So lange wir keinen Fisch sehen, wird auch nicht geworfen. Wohin auch?!

Gute fünfzig Meter sind wir nun schon vom Strand entfernt und das Wasser reicht uns bis zur Mitte der Wade. Das ist optimale Bonefish-Tiefe. Da! Ein winzigkleiner Lichtreflex. Ich bleibe stehen. Ducke mich, um einen besseren Blickwinkel zum Wasserspiegel zu bekommen. Ja, es ist ein Fisch. Zirka fünfzig Meter vor uns. In der Nähe der Mangroveninsel. Die Spitze der Schwanzflosse lugt aus dem Wasser hervor und wackelt munter hin und her. Eine zweite Flosse, links neben der ersten. Und noch eine. Vor den ersten beiden. Tailing Bonefish. Die Fische, ich schätze die Schule auf fünf bis sieben Exemplare, bewegt sich ganz langsam in unsere Richtung. Sie widmen sich hingebungsvoll dem Ausbuddeln kleiner Krustentierchen und sind nur darauf konzentriert, was unmittelbar vor ihren Mäulchen passiert. Jetzt gilt es, in eine optimale Wurfposition zu kommen. Ohne die bisher völlig arglosen Bones zu verscheuchen.

Geduckt schleichen wir der Schule entgegen bis wir auf etwa dreißig Meter an sie herangekommen sind. "Runter auf die Knie, Peter" flüstere ich. Die Fische kommen näher. Jetzt biegen sie nach rechts ab. "Wieder hoch und weiter nach rechts laufen. Leise !!!" Ich glaube zu sehen, wie Peters Hände zittern. "Wo sind sie? Siehst Du sie noch?" fragt Peter. "Sind noch da. Direkt vor uns." sage ich. Aber Peter schüttelt den Kopf: "Ich seh' nur Wasser." Da hilft nur eins. "Zeig mit der Rutenspitze nach vorne. Weiter rechts, weiter rechts. Noch weiter. Jetzt stop." Peters Augen werden wohl gleich die Brillengläser sprengen. "Das da?" fragt er. "Dieses Geglitzer da?" Ich nicke und werde nun auch unruhig, denn das Geglitzer ist nur noch etwa fünfzehn Meter von uns entfernt. Peter duckt sich wieder. Gut macht er das. "Du mußt jetzt werfen, Peter. Leg die Fliege etwa drei bis vier Meter vor die Fische." Peter blickt zu mir herüber, als würde er nicht verstehen. "Mach schon. Und leg sanft ab. Wie eine Trockenfliege..."

Peter schwingt die Rute nach vorn und switcht die Schnur in die Luft. Die Fliege wird zwischen seinen Fingern weggezogen. Dann ein Rückschwung und nach hinten Schnur schießen lassen. Vorschwung und wieder schießen lassen. Leicht abstoppen und die Fliege segelt wie an einem Fallschirm auf's Wasser. Gut, daß wir gestern noch ein wenig geübt haben. Plitsch... macht die Fliege. Schon fängt Peter an, sie einzuzupfen. "Stop! Lass die Fliege zu Boden sinken. Außerdem sind die Fische noch zu weit weg. Warte." Peter wartet. Die Nerven zum Zerreißen gespannt. Immer näher kommen die gläsern schimmernden Flossen. Jetzt sind die Fische direkt vor der Fliege. "Zupf!" Peter zupft. "Stop". Peter stopt. "Zupf." Die vorderste Schwanzflosse taucht unter. Ein zartes "V" schiebt durch´s Wasser, direkt auf die Fliege zu. "Stop." Die ganze Schwanzflosse kommt aus dem Wasser, ja fast das hintere Viertel des Fisches ragt in die Luft. "Schlag an!" rufe ich. Peter zieht mit der Schnurhand einmal kräftig nach hinten durch und strafft die Schnur. Kontakt! Die Rutenspitze wird schwer und folgt dem dumpfen Stoßen am anderen Ende der Schnur. "Rute hoch!" Das Kommando kommt keine Sekunde zu spät. Denn schon hat der Fisch den ersten Schreck überwunden und gibt Vollgas.

Die lose Flugschnur schießt wie eine Kobra vom Wasser empor und Peter hat seine geregelte Mühe, die Schnur sauber durch den Führungsring laufen zu lassen. "Sieh nur auf die Schnur, nicht auf den Fisch." Als das letzte Wort meinen Mund verlassen hat, ist der Fisch schon im Backing. Die Rolle singt ein langes hohes C. Die ersten fünfzig Meter Nachschnur sind draußen und Peter steht mit hoch erhobener Fliegenrute und weit offenem Mund da. Die Rollenarie steigert sich noch um eine halbe Oktave, als die nächsten 70 Meter mit wahnwitziger Geschwindigkeit durch die Ringe gerissen werden. Endlich bleibt der Fisch stehen. Und Peter nimmt die Atmung wieder auf. "Pfuuhhh..." stöhnt er. "Das gibt's ja gar nicht. Wie groß ist denn der?" Ich antworte: "Das ist ein ganz guter Fisch. So fünf bis sechs Pfund schätze ich." Peter beginnt, Schnur aufzukurbeln.

Er kurbelt und kurbelt, die Schnur hängt durch. "Der ist ab!" meint Peter. "Jetzt kurbel mal ein bißchen schneller. Der Fisch ist noch dran." Und Peter kurbelt wie wild. Auf den Flats ist keine Strömung. Wenn der Fisch eine Verschnaufpause einlegt, hängt deshalb die Schnur durch. Also muß man sehr schnell einkurben und die Schnur auf Spannung halten. Wie zur Bestätigung setzt der Fisch zur zweiten Flucht an. In vielleicht 6 Sekunden ist alles, was Peter aufgekurbelt hat, wieder von der Rolle gezogen. Und nochmal gute 20 Meter mehr. Jetzt macht der Bonefish die Trickkiste auf und schwimmt auf uns zu. Peter kurbelt was das Zeug hält und läuft dabei rückwärts. Es gelingt ihm, den Fisch unter Kontrolle zu bringen. Aber nur für einen kurzen Moment. Denn schon folgt die dritte Flucht. Nicht mehr so lang wie die vorangegangene, aber immer noch sehr kraftvoll. Es ist Zeit für meine Beruhigungszigarette (Nichtraucher mögen meine Sucht entschuldigen). Nach ein paar genußvollen Zügen hat Peter den Bonefish auf Sichtweite herangedrillt. Der Fisch wird müde und beginnt, im Kreis um Peter herumzuschwimmen. Dabei stößt er mit dem Kopf störrisch nach unten. Drei, vier kurze Spurts legt er noch ein, ohne dabei jedoch mehr als zehn Meter Schnur zu gewinnen. Schließlich kann Peter den Kopf des Fisches aus dem Wasser heben und ihn zu sich heranziehen. Wie ein Silberbarren liegt der Fisch vor ihm im Wasser. Vorsichtig löst Peter die widerhakenlose Fliege. Sein erster Bonefish... er kann nicht widerstehen, den Fisch aus seinem Element zu heben und ihn sich genau anzuschauen.

Die Tigerstreifen auf dem Rücken haben sich dunkel gefärbt und die Flossensäume schillern irgendwo zwischen rosa und purpur. "Küß ihn" schmunzele ich. Den ersten Bonefish im Leben muß man küssen. Das ist Brauch bei uns. "Uhh, ist der schleimig" sagt Peter, wischt mit dem Handrücken über seinen Mund, setzt den Fisch behutsam zurück und blickt ihm lange hinterher. Bis der Bonefish wieder eins geworden ist mit seinem Lebensraum und sich wie ein Gespenst zwischen dem Flimmern und Flackern des Kristallwassers in Nichts aufgelöst hat. "Ich hab mich verschätzt, Peter. Der hatte nur etwa vier Pfund." "Macht nix," antwortet Peter "der zählt doppelt." Schweigend stapfen wir zurück zum Ufer. Im Camp wartet heißer Kaffee und Rührei mit Speck auf uns. Und danach... danach fahren wir mit den Booten raus. Zum Fischen. Auf die Großen.

Mein Name ist Thomas Michael. Ein paar Freunde bezeichnen mich auch als bonefish-fool. Seit nunmehr sechszehn Jahren bin ich mit dem Salzwasser-Virus infiziert und mache Jagd auf Bonefish, Permit, Barrakuda und Co. Im Dezember 1998 habe ich einen lang gehegten Traum verwirklicht: Acklins Island Bonefish Camp, mein kleines Paradies für abenteuerlustige Angler tief unten im Südosten der Inselkette der Bahamas. Hier kann man in völlig unberührter Natur die Geister der Flats, den raketenschnellen Barrakuda, bullenstarke Permit, Haie und viele andere faszierende Fische mit der Fliege fangen. Mit oder ohne Boot. Mit oder ohne Guide.

Wenn Ihr Euch für diese Fischerei interessiert, dann schaut doch einfach mal wieder rein ins Fliegenfischer-Forum. Ein paar Beiträge über die anderen Fischarten auf den Flats und auch zum Thema "Tackle, Technik und Taktik" werden demnächst folgen.

Und bei speziellen Fragen (Gerät, Knoten, Fliegenwahl und Präsentation etc...) schreibt mir einfach eine mail an tom @ steelfin.com

Hot Drag Plates

Thomas